Das Geheimnis der Findlinge

Kultur und Wissen
30.10.2025


Sagenhafte Steine

Das Geheimnis der Findlinge

Sind es nur unscheinbare Felsbrocken im Wald oder doch sagenhafte Teufelssteine mit übernatürlichem Hintergrund? Die Findlinge gehören wohl zu den am wenigsten wahrgenommenen geologischen Sehenswürdigkeiten Oberbayerns.
    

Bei Tannern in der Jachenau verbirgt sich ein kaum bekannter Findling im Wald. Bei Tannern in der Jachenau verbirgt sich ein kaum bekannter Findling im Wald. Foto: © Burghardt

Für die einen sind es Felsbrocken, die im Wald herumliegen, uninteressant und nicht der Rede wert. Für die anderen sind es geheimnisvolle Objekte, die die Fantasie beflügeln. Schon ihr Name verrät: Findlinge sind Fundstücke, haben also Seltenheitswert. Doch woher kommen diese vereinzelt in der Landschaft liegenden Felsen? Und was macht sie so faszinierend?  

Wagen wir eine gedankliche Reise in die Vergangenheit und begleiten eine Gruppe frühmittelalterlicher Menschen, die eine bislang unbesiedelte Gegend im oberbayerischen Voralpenland durchstreifen. Es sind Naturburschen, die aus ihrer täglichen Erfahrung bestens mit Heilkräutern, Wildtieren, Mondphasen und den Eigenheiten von Wald und Boden vertraut sind. Doch was sie nun entdeckt haben, passt nicht in ihr Weltbild. Sie stehen in einer Mischung aus Überraschung, Ehrfurcht und Misstrauen vor einem einzelnen großen Felsblock – weit außerhalb des Gebirges, fernab von Schluchten und Steilwänden. Und spüren sofort: Der gehört eigentlich nicht hierher.

Wie kommt dieser Felsblock hierher?

Zwei Fragen drängen sich ihnen auf: Wie kommt dieser tonnenschwere Felsblock an diese Stelle mitten im Flachland? Und warum besteht er aus einem kristallinen Gestein wie Gneis oder Glimmerschiefer, wie es weder im Voralpenland noch in den bayerischen Bergen sonst vorkommt? Für unsere „Urbayern“, die grübelnd vor dem Findling stehen und in einer voraufgeklärten Welt der Sagen und Mythen leben, liegt der Gedanke nicht fern, die Existenz des Felsblocks mit übernatürlichem, ja teuflischem Eingreifen zu erklären und eine Geschichte um ihn herum zu spinnen. So ist es oft geschehen, in vorchristlicher wie auch später in christlicher Zeit, wobei sich heidnische Vorstellungen und christliche Gehalte immer wieder vermischt haben.  

Ein Beispiel dafür ist der Teufelsstein, ein Felsblock, der zwischen Grafrath und Inning am Ammersee am Waldrand liegt. Der Sage nach ärgerte sich der Teufel einst so sehr über die ganz in der Nähe des Teufelssteins gelegene Grafrather Wallfahrtskirche St. Rasso, dass er sich in den Alpen einen Felsbrocken suchte und sich auf den Weg zur Kirche machte, um sie mit dem Felsen zu zerstören. Doch einer geistesgegenwärtigen alten Bäuerin, die er nach dem Weg fragte, gelang es, ihn davon zu überzeugen, dass das Gotteshaus unerreichbar weit entfernt sei, woraufhin der Teufel den Felsen an Ort und Stelle jähzornig auf den Boden schmiss und liegen ließ – seitdem wird er Teufelsstein genannt.

Der Teufelsstein bei Grafrath liegt am Rand eines Wander- und Radwegs. Der Teufelsstein bei Grafrath liegt am Rand eines Wander- und Radwegs. Foto: © Burghardt

Gletscher reichten bis ins Alpenvorland

Doch woher kommt der Teufelsstein wirklich? Die Erklärung ist 20.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung zu finden – und die Geschichte des Steins ist die Geschichte eines Klimawandels: Die Würm-Eiszeit ist gerade auf dem Höhepunkt, die Durchschnittstemperaturen in Europa liegen weit unter den heutigen. Das hat zur Folge, dass die Niederschläge in den Alpen meist als Schnee fallen. Und da ständig mehr Schnee nachkommt, als wegschmilzt, bleibt dieser das ganze Jahr liegen, häuft sich an, verdichtet sich, wird unter dem eigenen Gewicht zu Eis gepresst und fließt als Gletscher von den höchsten Bergen des Alpenhauptkamms langsam talwärts. Die Alpentäler sind ganz von Gletschern ausgefüllt, die Bayerischen Voralpen von gigantischen Eismassen fast völlig bedeckt, nur ein paar höhere Gipfel spitzen heraus. Die Gletscher fließen weit ins wärmere Alpenvorland hinaus, bis zu der Stelle, an der mehr Eis abschmilzt, als nachkommt.  

Eine der am weitesten vordringenden Gletscherzungen schafft es bis kurz vor Fürstenfeldbruck und reicht damit etwa so weit nördlich wie der Münchner Marienplatz. Als die Eiszeit abklingt, schmilzt die Gletscherzunge und zieht sich zurück. Was übrigbleibt, ist ein ausgeschürftes Tal – das Becken des heutigen Ammersees, aus dem die Amper abfließt – und rundherum Moränen, aufgehäufte Hügel aus dem vom Gletscher herangeschafften Geröll und Sand. Zurück bleibt aber auch ein einzelner großer Felsbrocken, der zuvor in den Zentralalpen von einem Berg abgebrochen, auf den Gletscher gefallen und von diesem in langer Reise aus dem Gebirge ins Flachland transportiert worden war. Sobald sich das eisige Fließband unter ihm in Wasser auflöste, blieb er liegen – und rührte sich bis heute nicht mehr vom Fleck: der Teufelsstein. 

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Dutzende Findlinge in Oberbayern

So lautet die wissenschaftliche Erklärung für diese eiszeitlichen „erratischen Blöcke“, wie die Findlinge in der Fachsprache auch genannt werden – felsige „Irrgänger“ also, die an einer Stelle liegen, wo sie eigentlich nicht hingehören. Geht man im Internet die Listen der Naturdenkmäler der oberbayerischen Landkreise durch, entdeckt man Dutzende von Findlingen in unterschiedlichsten Größen und Lagen: Da ist zum Beispiel der Bräundlstein, ein Koloss von etwa 70 Kubikmetern im Wald zwischen Wasserburg am Inn und Schnaitsee.  

Um ihn rankt sich ebenfalls eine Teufelssage: Eine Stalldirn verschlug es eines Tages beim Kühehüten in den Wald, wo sie den Teufel persönlich auf dem Bräundlstein sitzen sah. Auf seinem Schoß hatte er einen Haufen Pferdemist, den er in mehrere Schüsseln verteilte, und auch die Stalldirn musste einen Teil davon in ihre Schürzentasche stecken. Hierauf verschwand der Teufel, und der Mist verwandelte sich in pures Gold, das aber kein Glück brachte. Noch heute sollen an den Stellen auf dem Stein, wo die Schüsseln des Teufels gestanden hatten, muldenförmige Vertiefungen zu sehen sein. 

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Hausgroße Findlinge am Königssee 

Im Leitzachtal liegt der Fuchsstein, bei Oberaudorf der Graue Stein, bei Traunreut der Bitterstein, und zu den größten oberbayerischen Findlingen zählen der Große Stangenstein und der Löwenstein an der Zufahrt zum Königssee, beide so groß wie ein Haus. Die große Mehrzahl der erratischen Blöcke ist jedoch namenlos und kaum bekannt, wie der im Wald versteckte Findling bei Tannern in der Jachenau. Viele liegen sogar unsichtbar unter der Erdoberfläche verborgen und kommen erst im Zuge von Bauarbeiten ans Licht der Welt – wie vor wenigen Jahren in Bad Tölz, wo man einen 35 Tonnen schweren Findling freigelegt hat, der nun als Attraktion im Eingangsbereich eines neu gestalteten Parks am Isarufer dient.  

In früheren Jahrhunderten nutzten die Menschen die Findlinge als Kultorte, versahen sie mit Namen und sagenhaften Geschichten, brachten christliche Kreuze und Heiligenfiguren auf ihnen an oder bauten sogar ganze Kirchen um sie herum: So befindet sich in der Wallfahrtskirche St. Wolfgang im gleichnamigen Ort bei Altenmarkt an der Alz offen sichtbar unter dem Altar ein Findling mit Vertiefungen, die man als Abdrücke des auf ihm rastenden heiligen Wolfgang deutete. Doch nicht alle Findlinge galten als unantastbar – manche wurden auch ganz profan als Steinbruch genutzt und dabei zerstört.  

Denkmale an öffentlichen Plätzen 

Heute, in einer Zeit, in der Granitblöcke und Marmorplatten quer über die ganze Welt gehandelt und transportiert werden, haben die Findlinge zwar vieles von ihrer sagenhaften Aura eingebüßt. Aber immerhin gelten sie als geologisch wertvoll und werden gern als Denkmalsteine an öffentlichen Plätzen aufgestellt – zum Beispiel in Hanfeld bei Starnberg, in Degerndorf bei Münsing sowie vor Schulen in Ebersberg und im nahe gelegenen Forstern.  

Wer der uralten Faszination der Findlinge nachspüren will, sollte sie aber in freier Natur in Augenschein nehmen – dort, wo der Gletscher sie abgelegt hat. Gut zugänglich ist etwa der sogar von der Autobahn aus sichtbare Hohe Stein von Percha bei Starnberg. Am Rand einer Wiese spitzt dieser Urgesteins-Block aus dem Wald. Längst ist bekannt, wie er in der Eiszeit auf natürliche Weise dorthin gelangte – und sein Gestein verrät sogar, aus welchem Alpental er stammt. Doch noch heute ist auf ihm, wie zum Schutz gegen böse Mächte, ein christliches Kreuz befestigt. Sicher ist sicher.

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Joachim Burghardt
Artikel von Joachim Burghardt
Redakteur
Immer auf der Suche nach spannenden, kontroversen und kuriosen Themen rund um Glauben und Wissen.