„Frauen leisten die Hauptarbeit“
Anja Karliczek (CDU) ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags, von 2018 bis 2021 war sie Bundesministerin für Bildung und Forschung. Seit 2023 ist sie Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB). Wir sprachen mit ihr über Frauenthemen und Politik.
![Anja Karliczek im Gespräch mit [inne]halten-Redakteur Joachim Burghardt.](https://static.michaelsbund.de/out/pictures/ddmedia/20250502_karliczek_frauen.jpg)
Stellen Sie sich vor, jemand sagt: „Frauen haben doch alle Möglichkeiten, Freiheiten und Rechte, wir haben in Deutschland Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit“ – wo würden Sie zustimmen, wo würden Sie widersprechen?
Als junges Mädchen habe ich das auch geglaubt. Aber im wirklichen Leben, auch in der Politik, ist es oft so, dass die Strukturen darauf ausgerichtet sind, wie Männer es brauchen und wie sie sich wohlfühlen. Und gerade jetzt, wo die Situation immer rauer, aggressiver und konfrontativer wird, ziehen sich Frauen immer mehr zurück. Früher hätte ich auch gesagt, dass wir keine Frauenquote brauchen. Aber wenn man sieht, wie viele Strukturen auf Männer ausgerichtet sind, braucht man eine kritische Größe von Frauenstimmen, um die Strukturen zu ändern. Das ist kein Selbstläufer. Natürlich haben wir in den letzten hundert Jahren viele Fortschritte gemacht – Frauenwahlrecht, freie Berufswahl und so weiter –, aber trotzdem ist noch immer viel zu tun, damit Frauen sich frei entfalten können.
Können Sie ein konkretes Beispiel für eine männliche Struktur geben, die Sie gern ändern würden?
In der Öffentlichkeit, in der Politik, in den Medien ist vieles darauf ausgerichtet, dass es um martialische Kraft geht, da werden zugespitzte Begriffe verwendet, oft setzt sich der Lauteste durch. Das ist nicht unsere Art, und wir Frauen geraten dadurch schnell ins Hintertreffen.
Als Präsidentin des KDFB vertreten Sie, wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben, „die Interessen von 145.000 Frauen im kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskurs“. Was sind denn aktuell die wichtigsten Interessen der Frauen?
Im kirchlichen Bereich wollen wir erreichen, dass Frauen auch Weiheämter ausüben dürfen. Frauen sind genauso qualifiziert, genauso in der Lage, sich in der Seelsorge zu behaupten. Auf politischer Ebene kümmern wir uns um rechtliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel beim Mutterschutz, im gesellschaftlichen Bereich engagieren wir uns unter anderem für zugewanderte Frauen, damit sie Aufnahme in die Gesellschaft finden. In all diesen Fragen leistet auch und gerade der KDFB einen großen und wertvollen Beitrag, der nicht zu unterschätzen ist.
Wo spielen Frauen eine tragende Rolle in unserer Gesellschaft, die nicht ausreichend wahrgenommen oder gewürdigt wird?
Auf jeden Fall immer noch im familiären Bereich. Da sind die Frauen immer noch diejenigen, die die Hauptarbeit leisten. Aber ich finde, diese Frage ist zu eng gestellt. Entscheidend ist doch, dass wir für Frauen dieselben Möglichkeiten wie für Männer schaffen, sich ein individuelles Leben zu gestalten und die eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können. Dazu gehört Arbeit, Familie, Ehrenamt … Nur wer selbst ein gutes und zufriedenes Leben führt, ist auch in der Lage, anderen zu helfen. Und hier geht es nicht nur um die geltende Gesetzeslage, sondern um echte Solidarität gegenüber Frauen und um die Frage, ob man all das auch wirklich thematisiert.
[inne]halten - das Magazin 10/2025

Schlüsselübergabe
In die Trauer mischt sich Aufbruchstimmung, die Welt blickt auf die Papstwahl.
Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe hat das Konklave in Rom begonnen. Welche Aufgaben muss der Nachfolger von Papst Franziskus angehen? Wie kann er die Kirche überzeugend führen? Vatikan-Experte Ludwig Ring-Eifel gibt Antworten.
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Frauen wollen also nicht nur mehr wertgeschätzt werden für das, was sie tun, sondern sie wollen das vielleicht gar nicht in der Form tun?
Richtig! Früher war man als Frau wie selbstverständlich dazu verpflichtet, sich um andere zu kümmern. Man wurde gar nicht gefragt, ob man das wollte. Heute haben wir andere Möglichkeiten, müssen uns aber auch über unser eigenes Leben viel mehr Gedanken machen, weil wir ganz andere Chancen und Möglichkeiten haben. Das ist Verpflichtung und Freiheit zugleich. Wir müssen in unseren Strukturen dafür sorgen, dass die Frau die Freiheit hat, sich zu entscheiden – dann hat sie die Verantwortung, diese Freiheit zu nutzen. Das bedeutet z. B., dass nicht jeder sein Kind schon in der frühestens Kindheit in die Kita geben muss, sondern jede Familie entscheidet, wie es am besten für sie passt.
Der Rechtspopulismus ist in Deutschland seit einigen Jahren im Aufwind. Ist das vor allem ein männliches Phänomen? Sind Frauen vielleicht sogar weniger anfällig für Extremismus? Die AfD hat im Bundestag den niedrigsten Frauenanteil mit 11,8 % …
Ganz so einfach können wir es uns nicht machen. Zwar ist es bei der Frage, wie man sich emotionalisiert und sich radikalisiert, schon so, dass Männer manchmal schneller auf etwas anspringen. Wir Frauen sind da etwas abwägender, vorsichtiger. Aber nur zu sagen, das ist ein Männerproblem, ist zu einfach. Populistische Positionen sind momentan auch deswegen wieder auf dem Vormarsch, weil sich offenbar viele Menschen von der Geschwindigkeit der Veränderung in unserer Gesellschaft und auf der Welt überfordert fühlen. Dazu kommen ganz viele Ängste – vor Verlust, vor Abstieg. All dies spielt den Radikalen mit ihren scheinbar einfachen Lösungen in die Karten. Wir müssen die Mitte stärken, in der Politik, der Gesellschaft. Dafür setze ich mich ein, als Abgeordnete und natürlich auch als Präsidentin des KDFB.
Sie haben angedeutet, dass es in Deutschland immer aggressiver und konfrontativer zugehe. Wie und wo erleben Sie das? Und ist das ein neues Phänomen?
Wo es persönliche Kontakte gibt, wo man miteinander am Tisch sitzt, redet und auch streitet, hat sich die Situation – glaube ich – über die Jahre nicht so sehr verändert. Aber wo man sich nicht kennt – auf der Straße, an Wahlkampfständen, im Netz –, ist die Aggressivität schon deutlich höher geworden als früher. Ich nehme auch wahr, dass sich Menschen immer öfter in „Blasen“ mit ihresgleichen bewegen und andere Meinungen gar nicht mehr wahrnehmen. Ich bin noch damit groß geworden, dass man mir immer gesagt hat: „Denk dran, auch der andere könnte Recht haben!“ Wenn wir nur noch eine Aufmerksamkeitsspanne von wenigen Sekunden haben und meinen, in dieser kurzen Zeit gleich alles zu verstehen, kann das nicht funktionieren. Zuhören ist wichtig – genauso wie das unermüdliche Eintreten für unsere Demokratie und unsere Freiheit.
Der Frauenanteil im Bundestag ist seit der Wahl am 23. Februar 2025 wieder gesunken. Im Jahr 2017 war er noch bei 37,1 Prozent, 2021 bei 34,8 Prozent, jetzt nur noch bei 32,4 Prozent. Ist das ein Problem?
Ja und nein. Wir stehen im Frauenbund zwar für das Paritätsprinzip, es ist aber auch so, dass sich nicht jede Frau im Bundestag automatisch für Frauenthemen engagiert. Ich habe einen guten Kollegen, der mich bei den Frauenthemen sehr unterstützt. Als Mann! Zudem wollen Frauen auch gar nicht immer alle dasselbe. Für mich persönlich ist die zahlenmäßige Parität der Frauen im Deutschen Bundestag das eine, das andere ist unsere Arbeit im Frauenbund, wo wir in demokratischen Prozessen herausarbeiten, was für eine Mehrheit der Frauen wirklich wichtig ist.