Glaubenswelten
07.05.2024


Apostelgeschichte

„Wir sind keine Buchreligion“

Abt Johannes Eckert von der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München und Andechs hat die verschlungenen Pfade und schillernden Episoden der Apostelgeschichte erkundet und ein Buch darüber geschrieben. Er spürt darin nicht nur dem Geist der Urkirche nach, sondern gewinnt auch Erkenntnisse für Kirche und Glaubensleben heute.

„Gottes Geist wirkt auch in der Konfrontation“ 
(Abt Johannes Eckert)

Joachim Burghardt: Die Evangelien, die uns das Leben und die Botschaft des Jesus von Nazaret verkünden, zählen wohl zu den bekanntesten Büchern der Bibel. Ganz anders als die darauf folgende Apostelgeschichte. Worum geht es da und warum sollten wir sie lesen?

ABT JOHANNES ECKERT: Es ist eigenartig und einzigartig, dass der Evangelist Lukas uns mit der Apostelgeschichte noch ein Zweitwerk vorlegt. Anders, als der Titel vermuten lässt, geht es da weniger um die Apostel, sondern eher um die junge Kirche, die Jesusbewegung. Es wird erzählt, wie der Geist Gottes vielfältig wirkt und Menschen bewegt. Beim Lesen stößt man tatsächlich auf viel Neues: wenn zum Beispiel Paulus in Philippi bei Lydia einkehrt, wenn auf Zypern ein Falschprophet bekehrt wird oder wenn der Heilige Geist verwehrt, dass Paulus in der Provinz Asien missioniert. Spannend ist, wenn diese Episoden auch etwas über uns heute zu sagen haben.

Die Jesus-Bewegung wird in der Apostelgeschichte mehrfach als „Weg“ bezeichnet und nicht etwa als Wahrheit. Inwiefern ist unser Glaube ein Weg?

ECKERT: Unser Glaube nährt sich aus dem jüdischen Glauben, der eine Wegreligion ist – man denke an Abraham, den Auszug der Israeliten aus Ägypten, die Propheten … Aber auch Jesus selbst wandert durch Galiläa, und als Auferstandener begegnet er den ebenfalls wandernden Emmausjüngern. Das Wegmotiv ist uns mitgegeben. Es ist nichts Statisches. Wir sind keine Buchreligion, sondern wir sind auf dem Weg.


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Man kann die Apostelgeschichte als die Geschichte feiern, die davon erzählt, dass die Frohe Botschaft bis an die Grenzen der Erde gebracht wird. Aber enthält sie nicht auch die bedauerliche Geschichte der Trennung von Judentum und Christentum?

ECKERT: Unser Glaube nährt sich aus dem jüdischen Glauben, der eine Wegreligion ist – man denke an Abraham, den Auszug der Israeliten aus Ägypten, die Propheten … Aber auch Jesus selbst wandert durch Galiläa, und als Auferstandener begegnet er den ebenfalls wandernden Emmausjüngern. Das Wegmotiv ist uns mitgegeben. Es ist nichts Statisches. Wir sind keine Buchreligion, sondern wir sind auf dem Weg.

Man kann die Apostelgeschichte als die Geschichte feiern, die davon erzählt, dass die Frohe Botschaft bis an die Grenzen der Erde gebracht wird. Aber enthält sie nicht auch die bedauerliche Geschichte der Trennung von Judentum und Christentum?

ECKERT: Ich würde nicht sagen, dass es eine harte Trennung ist. Es sind parallele Wege, die zusammengehören. Die Apostelgeschichte ist wie das Lukasevangelium durchtränkt mit Schriftzitaten aus dem sogenannten Alten Testament. Als die Jesusbewegung beschließt, auf die Beschneidung und auf Speisevorschriften zu verzichten, geht sie an dieser Stelle freilich einen eigenen Weg. Bei Paulus fällt auf, dass er auf seinen Reisen immer in der Synagoge ansetzt, er sucht sozusagen immer das Gespräch mit seiner Religion und versteht sich als Jude. Und er findet Menschen, die sich für den Ein-Gott-Glauben Israels begeistern lassen, aber zum Beispiel Beschneidung und Speisevorschriften nicht auf sich nehmen wollen. Die Jesusbewegung sucht hier einen einfachen Weg – und das ist auch eine Frage für die Kirche heute: Wo müssten wir aus dem Geist der Urkirche lernen? Was ist heilsnotwendig und was nicht?

Die Apostelgeschichte lässt uns etwas davon erahnen, wie die Urkirche war. Gibt es heute eigentlich noch einen urkirchlichen Kern, der sich knapp 2000 Jahre hindurch erhalten hat, oder sind wir eine ganz andere Religion geworden?

ECKERT: Nein, glaube ich nicht. Wenn ich mir anschaue, wie sich manche Gemeinden engagieren für Menschen, die auf der Flucht zu uns kommen, oder wenn ich sehe, mit wie viel Liebe sich Frauen, Männer und Jugendliche in der Erstkommunion- und Firmvorbereitung engagieren, oder wie Ministranten auf die Wallfahrt nach Rom im Sommer hinfiebern – da spüre ich etwas von diesem ursprünglichen Geist, der auch heute lebendig ist und wirkt.

Die Frohe Botschaft wurde damals bis an die Ränder der bekannten Welt getragen – wo sind denn heute die Ränder, bis zu denen wir gehen müssen?

ECKERT: Es müssen keine Ränder aus einem „alteuropäischen“ Blickwinkel sein; wir müssen nicht unbedingt nach Feuerland oder Sibirien gehen. Sondern wir könnten uns überlegen: Wo kann ich eine Grenze überschreiten? Zum Beispiel indem ich meinen Nachbarn aktiv Hilfe anbiete. Oder in der Seelsorge, indem ich auch Menschen ernst nehme, die nicht christlich beheimatet, aber auf der Suche sind. Es geht darum, sensibel zu sein für Menschen, die an den Rand gestellt wurden, zum Beispiel auch homosexuelle Paare oder wiederverheiratete Geschiedene.

Noch ein Wort zum heimlichen Protagonisten der Apostelgeschichte, dem Heiligen Geist. Wo ist er? Und wie können wir ihn spüren?

ECKERT: Manche haben die Apostelgeschichte das „Evangelium des Heiligen Geistes“ genannt – ein schöner Titel! Ich glaube, er ist überall dort am Wirken, wo Begeisterung spürbar ist, wo Menschen zueinander finden, wo Versöhnung möglich ist; auch dort, wo Menschen um die Kirche ringen, zum Beispiel beim Synodalen Weg. Gottes Geist wirkt auch in der Konfrontation! Für mich ist die Apostelgeschichte eine Ermutigung, den Geist Gottes ernst zu nehmen in meinem Leben, auf Spurensuche zu gehen und auch zu ihm zu beten, denn in unserem Gebetsleben kommt der Heilige Geist bisweilen zu kurz. Und die Apostelgeschichte endet mit dem schönen Wort, dass Paulus in der römischen Mietswohnung als Gefangener „mit allem Freimut, ungehindert“ das Reich Gottes verkündet. Überall dort, wo dieser Freimut zu spüren ist, dort wirkt Gottes Geist.

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Joachim Burghardt
Artikel von Joachim Burghardt
Redakteur
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