Über achtsames Sprechen
Die Sprache wird zum Medium der Nächstenliebe, zumindest wenn wir sie achtsam nutzen. Wie das geht, weiß Frank Berzbach.
Vor einigen Jahren besuchte ich einen Kongress der Deutschen
Buddhistischen Union. Die Referate wurden meist frei gehalten, diese
Leute können sich konzentrieren. Die Vortragenden wählten achtsam ihre
Worte und vermieden es, provozierende, kritische oder nur negative
Gedanken zu äußern. Der Buddhismus kennt, im Gegensatz zu anderen
Religionen, eine Ethik der rechten Rede, des achtsamen Sprechens. Sie
ist sogar Teil des elementaren Edlen Achtfachen Pfades.
Der Zen-Meister Thích Nhat Hanh beschrieb unser Sprechen einmal als Tätigkeit, in der wir anderen die gewählten Worte als Nahrung auftischen. Diese Worte können heilsam sein oder destruktiv; sie können giftig sein, narkotisierend oder liebevoll.
Das Sprechen hat jedenfalls immer Wirkungen und Nebenwirkungen, also ist Vorsicht geboten.
Achtsames Sprechen ist konstruktiv
Der Pfarrer unserer Gemeinde erwähnte neulich in seiner Predigt, er werde immer wieder angerufen und maßlos beschimpft. Das sei kein Interesse an Dialog oder ernsthafter Kritik, sondern einfach nur destruktive Beschimpfung.
Das private, ungezügelte Aussprechen von Hass war selten so verbreitet wie heute. Doch es wäre ein Missverständnis zu meinen, in der zärtlichen Art zu sprechen wird etwas verheimlicht oder unterdrückt; die Botschaft wird nur eleganter verpackt. Eine Ethik des Sprechens sollten sich daher auch Christen ins Gedächtnis rufen! Wer achtsam spricht, wendet sich eher den positiven Aspekten zu und verlässt das, was ihn stört. Ich finde, dieser Stil steht gläubigen Menschen recht gut – so zeigt sich die Nächstenliebe in der Alltagssprache.
Es ist heilsam, für etwas zu sein und nicht nur dagegen.
Auch können wir davon ausgehen, dass die Verstärkung des einen für eine Minderung des anderen sorgt. So können wir uns für einen offenen Glauben aussprechen und sagen damit indirekt, aber deutlich, dass wir gegen Fundamentalismus sind. Wir können uns für die Demokratie aussprechen oder für das christlich-jüdische Miteinander. Wer das tut, schließt antisemitische Menschenfeindlichkeit aus. Eigentlich tut man, was man auch mit groben Worten tut – nur eben eleganter.
Es braucht Innehalten und Warten-Können
Worte können zu Werken der Barmherzigkeit werden. Wer achtsam kommuniziert, der verweigert das Einstimmen in destruktive Sprechweisen. Es geht nicht darum, Wut zu unterdrücken, aber müssen wir sie ungefiltert verteilen und verstärken?
Zur achtsamen Rede gehört das Innehalten, das Vor- und Nachdenken, die Fähigkeit, eine Zeit lang das noch Ungesagte auszuhalten. Die guten Worte in uns müssen erst entstehen, geformt werden. Wenn mich ein Gefühl beschäftigt, wenn mich ein Gedanke verfolgt, dann ist nicht sofort der fertige Text dazu in meinem Kopf. Ich warte also. Vieles ist am nächsten Tag klarer und differenzierter. Ich suche dann, mit Blick auf die Situation meines Gegenübers, den rechten Moment, um zu reden.
Das alles hat keine „strategische“ Dimension, hier geht es nicht um effektivere Rede. Es hat, wie ich es sehe, eine religiöse Dimension. Wir verwandeln das leere Gerede durch Bedachtheit zu etwas existenziell Wichtigem; wir verwandeln schnelle sprachliche Impulse in Ausdrücke der Nächstenliebe. Und nein, das läuft nicht auf lieblich-frommes Gerede hinaus, nicht auf Beschönigung.
Es kann achtsam sein, deutliche Worte zu finden, aufzustehen und sie laut auszusprechen.
Es geht weniger um das Aussprechen versus das Verschweigen – es geht um den Stil der Formulierung. Nur die bedachte Rede hat die Kraft, konstruktiv zu wirken. Die achtsame Rede erzeugt die Stille, in der wahre Worte hörbarer werden. Es wäre an der Zeit, innezuhalten – die Herausforderungen des irdischen Lebens und der irdischen Zeit werden viele Worte brauchen. Es müssen die richtigen sein.