Kolumne
Mama und Papa aus dem 3-D-Drucker
Victor möchte seine Eltern immer greifbar haben, schließlich sollen sie da sein, wenn er mit ihnen spielen will oder Trost braucht. Wie das gehen könnte, hat der Vierjährige unserem Kolumnisten Alois Bierl erklärt.
Ein 3-D-Drucker soll es sein. Den wünscht sich Victor ganz dringend. Wenn ihn das Christkindl schon nicht zu Weihnachten gebracht hat, dann soll der Apparat wenigstens zu seinem Geburtstag auf dem Geschenketisch stehen. Victor ist mein Enkel und vier Jahre alt. Von 3-D-Druckern hat er von seinen Eltern gehört, die mit solchen Geräten ab und zu arbeiten. Warum ein solches Ding auch unbedingt in sein Kinderzimmer muss? Victor erklärt mir das: mit einem solchen Apparat könnte er sich Mama und Papa ausdrucken und immer zum Spielen oder zum Trösten in die Hand nehmen. Dass er nicht auch seinen tollen Opa aus der Maschine kommen lassen möchte - geschenkt, auch wenn ich das unverständlich finde.
Vergiftet Technik Kinderseelen?
Als ich einer Bekannten von Victors Wunsch erzähle, ist sie entsetzt: technologischer Machbarkeitswahn, der nun schon auch unschuldige Kinderseelen vergiftet! Eltern vom 3-D-Drucker nachschnitzen lassen, das sei ja fast schon klonen, und um meinen Enkel sollte ich mir ernsthaft Sorgen machen. Ich kann Victor dagegen gut verstehen. So richtig aus Fleisch und Blut müssten Mama und Papa aus der Maschine gar nicht sein, erklärt mir Victor: „Das kann der 3-Drucker ja gar nicht“. Aber er hätte seine Eltern halt „gerne in klein, und dass sie genauso aussehen wie in echt“. Er könnte sie sogar mitnehmen, wenn er bei seinen Großeltern übernachtet, was er dann noch lieber täte als jetzt schon.
Ich halte Victors Idee gar nicht für so kindlich und schon gar nicht für kindisch. Im Gegenteil. Ich glaube, er hat für sich eine uralte, wie soll ich sagen, religiöse oder spirituelle Kulturtechnik entdeckt. In einem Gegenstand, einer Figur, einer Puppe wird etwas Abwesendes greifbar. In Dingen lässt sich eine Beziehung anfassen, auch wenn das geliebte „Objekt“, die Mama, der Papa, nicht richtig da ist. Wenn die Sehnsucht nach ihnen so groß ist, weil jemand zum Spielen oder zum Trösten gebraucht wird, dann gibt es wenigstens ihr Abbild für das Auge oder noch besser dreidimensional für die Hände.
Victor tickt katholisch
Eigentlich tickt Victor sehr katholisch, selbst wenn er das noch nicht ahnen kann. Die amerikanische Malerin und Bildhauerin Kiki Smith hat einmal gesagt, dass Kunst und Katholizismus an die „körperliche Manifestation der geistlichen Welt“ glauben, „dass man durch die materielle Welt ein spirituelles Leben hat“. Und ist es etwa nicht spirituell, dass Victor seine Eltern so liebhat, dass er sie immer irgendwie bei sich haben möchte, nicht nur abstrakt, sondern handfest? Das ist gar nicht so weit entfernt von den kleinen Heiligenfigürchen, die in Altötting oder Kevelaer zu kaufen sind. „Zakheiligdommetjes “, Hosentaschen-Heiligtümchen, sagen die Niederländer so rührend dazu. Ich liebe dieses Wort! Ein kleines Heiligtum, das mich ganz selbstverständlich im Alltag mit einer anderen Welt verknüpft.
Ein Ding vergegenwärtigt Beziehung
Selbst wenn ich gar nicht daran denke, trage ich die Erinnerung daran am Leib. Es ist ein Amulett, von dem ich glaube, dass es mich mit jemanden verbindet, der mich schützen will, bei dem ich geborgen und dem ich unbedingt wichtig bin. Für Victor sind das zuallererst Mama und Papa, klar. Ich frage ihn, ob er sie auch deshalb aus dem 3-D-Drucker haben möchte, damit er sie immer bei sich hat. „Genau, hab´ ich doch schon erklärt“, sagt er, „und mit dir und Oma könnte ich das dann auch machen.“ Gut geantwortet, Victor! Ein Blick ins Internet unterrichtet mich, dass es tatsächlich schon 3-D-Drucker für Kinder gibt – und die sind nicht einmal so teuer.