Alltagsspiritualität
Was im Leben wichtig ist: der Alltag und der Atem
Pierre Stutz, Bestsellerautor und spiritueller Lehrer, antwortet auf spirituelle Fragen von Michelle Mink. Dieses Interview basiert auf der ersten Folge des Video-Podcasts „Was im Leben wichtig ist“.

Michelle Mink: Pierre kennst Du das auch, dass du über Tage hinweg nicht innehalten kannst? Ich spüre manchmal eine so öde Leere am Abend, wenn ich stundenlang an meinem Rechner gearbeitet und auf dem Weg von und zur Arbeit ständig an meinem Smartphone herum wische und schreibe, sogar noch beim Abendessen?
Pierre Stutz: Das ist mir vertraut. So etwas war bei mir der Ursprung für einen längeren Burnout. Damals habe ich gemerkt: ich habe überhaupt nicht gelernt für mich zu sorgen und dafür habe ich lange nachsitzen müssen. Noch heute merke ich, dass ich manchmal zu schnell „hektisiere“ und in einen Aktionismus hineingerate. Aber da denke ich mir, das ist auch gut so, weil ich so auf dem Boden bleibe. Es wäre ja auch nicht richtig, abgehoben von den Realitäten des Lebens bleiben zu wollen, das nun einmal vielschichtig ist. Aber es geht halt um eine Balance.
Ich merke, mir tun kleine Rituale gut, wenn ich überdreht oder sauer bin. Also ich summe dann diese kleinen Taizélieder mit den einfachen Melodien vor mich hin.
Stutz: Gute Idee! Wir Menschen sind darauf angelegt, dass wir in Wiederholungen, Ritualen Sicherheit finden. Das kann manchmal ein mechanisches Tamtam sein und nur etwas überspielen. Aber die Kraft der Rituale liegt darin, dass du spürst: ich bin mehr als dieser Ärger, ich kann ihm etwas entgegenhalten. Allein bewusst zu atmen, bedeutet innezuhalten und sich wieder zu spüren. Das lässt sich einüben und pflegen. Genauso, wie du dir eine Kurzatmigkeit angewöhnen kannst, die alles beschwerlich und mühsam macht.
Wie gehst Du dieser Kurzatmigkeit aus dem Weg?
Stutz: Beim Aufstehen versuche ich immer einen Moment auf beiden Beinen stehen zu bleiben und atme tief ein und aus. Damit beginnt der Tag schon einmal mit einer Ruheübung. Ich habe einige Monate gebraucht, dieses Ritual zu lernen! Denn ich bin so ein Subito-Typ, schon am Morgen sofort die nächsten Aufgaben anpacken, Das ist eine gute Fähigkeit! Doch sie darf nicht dazu führen, dass der Leib schon bei so etwas Elementarem wie dem Atmen zu kurz kommt. Atmen ist überhaupt der Ursprung der Spiritualität, die ja nicht abgehoben oder elitär ist. Spiritualität kommt von „spirare“, das heißt atmen.
(Redaktion: Alois Bierl)