Interview über Alkohol
„Maßvoll genossen ist es in Ordnung“. Wie ein Abt über Alkohol denkt.
Johannes Eckert ist Abt des Benediktinerklosters St. Bonifaz in München und Andechs – wozu auch eine Brauerei und ein Bräustüberl gehören. Bei einer Halben Bier sprachen wir mit ihm darüber, warum Jesus gern Wein trank und ob Alkohol zu einer gesunden Lebensweise passt.

Können Sie sich an Ihre ersten persönlichen Erfahrungen mit alkoholischen Getränken, womöglich sogar an den ersten Rausch erinnern?
Meinen ersten Rausch hatte ich als Kind, ungefähr mit sechs Jahren. Mein Vater stammt aus einer Landwirtschaft, zu der er am Samstag immer gefahren ist, um mitzuhelfen. Ich war dabei, und einmal hatte ich furchtbar Durst und habe dann den Apfelsaft getrunken, der auf dem Tisch stand. Naja, der Apfelsaft war in Wirklichkeit Most. Es hat mir geschmeckt, und niemand nahm davon Notiz. Nachmittags saß ich dann so da und kippte ständig um. Mein Vater hat mich wieder aufgerichtet und gesagt: „Bub, du hast einen Rausch.“ Und ich erwiderte: „Papa, geht der Rausch jetzt nimmer weg?“ Ich hatte also die Befürchtung, dass dieser Zustand ein Dauerzustand wird …
Erinnern kann ich mich auch daran, dass es bei uns zu Hause am Gründonnerstagabend nach dem Abendmahlsgottesdienst immer Brot und Wein gab und dass wir Kinder da auch einen kleinen Schluck Wein trinken durften. Das wurde nicht so streng gehandhabt. Heute würde man damit wohl ganz anders umgehen.
Bevorzugen Sie heute eher ein gutes Glas Wein oder eine frische Halbe Bier?
Sowohl als auch! Es kommt immer auf den Anlass und die Stimmung an. Ich trinke gern unser Andechser Bier, aber ich komme ja aus einer Gegend, in der Wein wächst und angebaut wird – mein Großvater hatte seinen eigenen Weinberg –, von daher ist mir beides lieb.
In der Bibel kommt unter den alkoholischen Getränken vor allem der Wein vor – an rund 200 Stellen und in verschiedenen Rollen: als Trankopfer, als wertvoller Lebensmittelvorrat, als Zahlungsmittel zum Begleichen des Zehnten, als Heilmittel, als festliches Genussmittel, aber auch als Rauschmittel. Die bekannteste Geschichte ist wohl die Hochzeit zu Kana, wo Jesus Wasser in Wein verwandelt. Welche Botschaften stecken in diesem vom Herrn selbst geschenkten und veredelten Wein?
Der Evangelist Johannes beschreibt die Hochzeit zu Kana als erstes Zeichen Jesu, indem er dort Wasser in Wein, Leere in Fülle verwandelt. Dieses Evangelium kennt übrigens keine Geburtsszene, somit ist die Hochzeit zu Kana gewissermaßen das Weihnachtsevangelium nach Johannes. Seine Mutter führt Jesus in die Welt ein, die keinen Wein, keine Lebensfreude, keine Fülle mehr hat, und mit diesem ersten Zeichenwird deutlich: Dieser Jesus von Nazaret schenkt Leben in Fülle – man denke hier auch an die spätere Stelle Joh 10,10: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“
Und welche Hochzeit wird hier eigentlich gefeiert? Die Braut tritt nicht auf, der Bräutigam nur ganz am Schluss – es ist letztlich die Hochzeit Gottes mit den Menschen. Wer sich also auf Gott einlässt, auf diesen Jesus von Nazaret, der hat Leben in Fülle.
Beim Wein denken viele auch an das letzte Abendmahl. Dabei nennen die vier Evangelien den Wein nicht explizit, es ist nur die Rede vom Kelch, und Jesus spricht darüber, von der „Frucht des Weinstocks“ zu trinken. Könnte in der Eucharistiefeier also nicht auch alkoholfreier Wein oder Traubensaft verwendet werden?
Das letzte Abendmahl erinnert freilich ans Paschamahl, wo auch der Wein auf dem Tisch steht, von daher ist anzunehmen, dass in diesem Kelch Wein war. Aber natürlich kann man zum Beispiel bei alkoholkranken Menschen in der Eucharistiefeier auch Traubensaft verwenden. In manchen Gemeinden ist auch üblich, dass bei der Erstkommunion für die Kinder Traubensaft gereicht wird.
Hinweisen möchte ich auf das vierte Evangelium, wo es heißt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15,5). Die lebendige Verbindung mit Gott soll Frucht bringen. Und ich finde auch schön: Das Brot steht für den Alltag, der Wien für das Fest. In der Eucharistiefeier kommen beide zusammen und werden gewandelt – wie bei der Hochzeit zu Kana.
Interessant ist, dass das vierte Evangelium keine Einsetzungsworte kennt – vielleicht weil beides, Brot und Wein, schon zuvor gegeben worden ist: Wein in Fülle bei der Hochzeit zu Kana, Brot in Fülle bei der wundersamen Brotvermehrung.
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Bleiben wir bei der Bibel: Wir haben sechs Stellen aus der Heiligen Schrift herausgesucht und würden Sie bitten, jede kurz zu kommentieren. Wir beginnen mit Gen 9,21: „Noah trank von dem Wein, wurde davon betrunken und entblößte sich drinnen in seinem Zelt.“
Vielleicht war die lange Zeit auf der Arche doch ein harter Entzug, sodass er nichts mehr vertragen hat … (lacht). Zur Ehrenrettung des Patriarchen Noah würde ich das mal so deuten, und hoffe, dass er beim zweiten Mal besser damit umgehen konnte.
Koh 9,7: „Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel.“
Das ist wunderbar, ein Ausdruck der Lebensfreude, eben auch des Gottvertrauens: Ich darf Gott vertrauen, und deswegen darf ich mich auch des Lebensfreuen.
Spr 20,1: „Ein Zuchtloser ist der Wein, ein Lärmer das Bier; wer sich hierin verfehlt, wird nie weise.“
Hier geht es darum, dass man das Maß nicht findet. Klar: Die Maßlosigkeit kann zu lautstarken Sprüchen und weiß Gott was führen. Das kennen wir hier in Andechs auch … Daher der Appell zu maßvollem Genuss.
Jes 56,12: „Kommt, ich hole Wein und wir wollen uns mit Bier betrinken! Und morgen wird es ebenso sein: großartig über die Maßen!“
Mir ist hier der Kontext nicht bekannt, aber Jesaja hat ja auch viele dunkle Töne, und vielleicht sagt er hier: Wir kommen aus dem Exil, wir kommen heim, und diese Freude muss rauschend gefeiert werden. Wenn wir sagen, Glück ist ein Synonym für Gott, dann gehört auch das Überschreiten der Grenze manchmal dazu, diesem Glück zu begegnen. Freilich dann auch wieder die Ernüchterung.
Ez 44,21: „Kein Priester darf Wein trinken, wenn er den inneren Vorhof betreten muss.“
Hier geht es um die kultische Reinheit. Man muss sich immer bewusst sein, dass man als Priester im Dienst für einen anderen steht. Das soll man sehr konzentriert und gesammelt tun. Es kann zwar schon mal sein, dass man abends noch einen Gottesdienst hält, nachdem man nachmittags ein Glas Wein getrunken hat, aber man muss sich seiner Aufgabe und seines Diensts an Gott und den Menschen immer bewusst sein.
Lk 7,34: „Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt und ihr sagt: Siehe, ein Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!“
Ich glaube, das ist der erste christologische Hoheitstitel: ein Fresser, ein Säufer, ein Freund der Sünder! Wenn einer gern isst und trinkt und mit den Menschenfeiert – und das hat Jesus gern getan –, dann ist das Ausdruck von Lebensfreude. Essen und Trinken schafft Gemeinschaft: Jesus holt Ausgestoßene wieder in die Gemeinschaft, er sucht die Nähe zu den Menschen. Für einen streng asketischen Menschen oder für einen mit hohen moralischen Ansprüchen – diese Paarung ist übrigens auch ganz spannend! – ist das alles nicht akzeptabel.
Der alkoholbedingte Rausch, das bewusste Sich-Betrinken mit Bier oder Wein, wird in der Bibel nicht nur negativ, sondern manchmal auch positiv dargestellt, etwa als überschäumende Lebensfreude, verschwenderische Festlichkeit und Ausdruck des Jubels. Gibt es so etwas wie einen „guten Rausch“?
Ich glaube: Die Sehnsucht des Menschen, seine eigene Grenze zu überschreiten, ist immer da. Das gab es immer, in allen Religionen. Priester haben Opium oder berauschende Getränke zu sich genommen. Auch die Tempelprostitution ist Ausdruck dieser Sehnsucht, aus der eigenen Begrenztheit in das absolute Glück hineinzugehen. So also auch der mit Alkohol herbeigeführte Rausch. Aber zu uns Menschen gehört auch die Ernüchterung; immer wieder zu dem zurückkehren zu müssen, was wir sind. Es ist also wichtig, dass der Rausch nicht zur Sucht wird. Ich bin Mensch, und ich muss auf meine Grenze achten.
Das theoretische Wissen um die Gefahren des Alkohols ist das eine – aber haben Sie bei sich selbst oder bei Menschen in Ihrem Umfeld diese Gefahren auch in der Praxis schon einmal deutlich erlebt?
In der Obdachlosenarbeit in St. Bonifaz haben wir tagtäglich Menschen, die zu uns kommen und alkoholkrank sind. Da sieht man, wo die Sucht hinführen kann. Wir wissen es auch aus der Pastoral, wo es immer wieder vorkommt, dass Menschen von Alkohol oder Medikamenten abhängig sind. Manche finden da nicht mehr heraus, ihr Leben wird regelrecht zerstört – das ist teuflisch. Es ist dann schwer, den Schritt zu gehen und zu sagen: „Ich fange neu an.“ Diesen Schritt muss erst mal die Person selbst wollen und gehen, erst dann kann das Umfeld unterstützen.
Mit Blick auf Ihre eigene Ordensgemeinschaft oder auch auf Priester in Ihrem Bekanntenkreis: Würden Sie sagen, dass zölibatär lebende Menschen besonders gefährdet sind, dem Alkohol zuzusprechen, weil sie aufgrund ihrer Lebensweise öfter einsam sind?
Das würde ich nicht so sagen. Bei uns Benediktinern in St. Bonifaz und Andechs trinkt mittags niemand Bier, abends unter der Woche auch relativ selten. Und zölibatär zu leben, bedeutet ja gar nicht, einsam zu sein! Aber wenn jemand einsam ist, in dem Sinne, dass ihm etwas fehlt, dann schafft das natürlich eine Disposition, schneller ein Suchtverhalten zu entwickeln. Auch zölibatär lebende Menschen sollten ein stabiles soziales Netz pflegen. Und zu unserem Glauben gehört wesentlich das Feiern dazu, aber zum Feiern braucht es immer mindestens zwei …
Hier im Andechser Bräustüberl, wo sich Pilger seit jeher mit Bier und insbesondere auch mit Starkbier von ihren Reisestrapazen erholen, hängt ein Schild an der Wand, auf dem steht: „Lärmen und Singen nicht gestattet“. Kommt es auch hin und wieder zu alkoholbedingten Eskapaden?
Uns ist wichtig: Auch wenn hier viele Menschen und ganze Gruppen zusammenkommen, soll immer noch sichtbar bleiben, dass wir ein Kloster sind. Ein Kloster mit Bräustüberl und nicht ein Bräustüberl mit Kloster! Natürlich dürfen Menschen hier glücklich sein, gern beieinander sein und Brotzeit machen – und nach einem Wallfahrtsgottesdienst hört man oft: „Jetzt haben wir uns aber eine Mass verdient!“, und das finde ich schön, ein schönes Lebensgefühl –, aber es soll eben maßvoll geschehen und in einer Art und Weise, die dem Ort entspricht. Deswegen haben wir auch Sicherheitspersonal, das darauf aufmerksam macht, wenn man merkt: Jetzt kippt die Stimmung. Aber die Zeiten der Exzesse, die es hier in den 70er Jahren gab, die sind lange vorbei. Wir schließen ja auch abends um 20 Uhr den Ausschank – ökonomisch ein Unsinn, aber im Kloster soll abends Ruhe einkehren.
Seit neun Jahren wird in Andechs ein alkoholfreies Weißbier gebraut, seit einem Jahr auch ein alkoholfreies Helles. Wie ist die Resonanz auf diese beiden Biersorten?
Sehr gut! Wenn wir ein neues Produkt angehen, versuchen wir, alle Beteiligten mit einzubinden. Ein neues Bier ist für die Brauer spannend, aber auch für die Kunden und für uns als Konvent. Beide alkoholfreien Biere sind auf der Basis bestehender Sorten entstanden, sind also bestehenden Bieren im Geschmack recht nah. Deswegen erfreuen sich beide großer Beliebtheit. Das Konsumverhalten hat sich ja auch verändert.
Diesen aktuellen Trend hin zum alkoholfreien Bier hat ein Psychologe in einem Medienbericht unlängst so erklärt: Alkohol passe immer weniger zur Selbstoptimierung der Verbraucher. Anstelle des klar definierten Feierabends und einer gewissen darauffolgenden Weißbierseligkeit greife immer mehr eine Dauerbereitschaft um sich; die Leute hielten sich jederzeit offen, auch abends noch Erledigungen zu machen oder gar auf Mails vom Chef zu antworten. Ist der Trend zur alkoholfreien Lebensweise also gar nicht wirklich ein Ausdruck von gesünderem Leben, sondern Symptom einer tiefer liegenden Problematik der Rastlosigkeit?
Zunächst einmal finde ich an der aktuellen Entwicklung gut, wenn wir mit größerer Sensibilität als früher auf unsere Gesundheit achten. Aber was ist gesund? Ständige Erreichbarkeit gehört für mich nicht zu einer gesunden Lebensweise. Heißt gesund nicht vielmehr, eine Grenze einzuhalten? So machen wir es als Mönche: Um 18 Uhr ist mit der Vesper der Tag beschlossen, dann ist Feierabend. Man darf zur Ruhe kommen, sich erholen, und wenn da für einen eine Halbe Bier dazugehört, ist das auch etwas Schönes; ein anderer treibt vielleicht Sport oder macht einen Spaziergang. „Gesund“ heißt für mich, ausgewogen und maßvoll zu leben, und dabei Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen. Natürlich gibt es Situationen, wo man auch abends noch erreichbar sein muss, dann bleibe ich auch nüchtern – aber wenn das jeden Abend ist, geht das rechte Maß verloren.
Alkoholgegner argumentieren mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, laut denen Ethanol ein krebserregendes Zellgift und somit schon ein einzelnes Glas Bier schädlich sei – man solle daher besser komplett darauf verzichten. Demgegenüber vertritt die Andechser Klosterbrauerei das Motto „Genuss für Leib und Seele“. Welches Menschenbild steckt hinter dieser Formulierung?
In der Benediktsregel sieht der heilige Benedikt eigentlich vor, dass die Mönche überhaupt keinen Wein trinken sollen. Er schreibt aber auch, dass die Mönche „unserer Tage“ davon nicht mehr zu überzeugen sind. Und er legt fest, dass maßvoll getrunken werden soll und dass Trunkenheit schadet.
Es ist sicher gut, zu wissen, was unserer Gesundheit guttut, aber man sollte immer den ganzen Menschen sehen. Bier ist ein Kulturgut in unserem Land, und maßvoll genossen ist es in Ordnung. Man kann auch mit allem Verzicht die Lebensfreude verlieren – und ob das dann gesund ist?
Interview: Florian Ertl und Joachim Burghardt