Achtsamkeit
18.10.2025


Kolumne

Ganz schön einsam! 

Auf der einen Seite sind Menschen stolz darauf, einmalig und ganz besonders zu sein. Andreas Knapp weist auf eine Kehrseite dieser Einmaligkeit hin: das Erleben von Einsamkeit. 
  

Ich erinnere mich, wie ich als Schüler versucht habe, meiner Unterschrift eine besondere Note zu verleihen. Immer wieder habe ich meinen Namen hingekritzelt, bis ich mit einem bestimmten Schriftzug zufrieden war: Das soll jetzt meine unverwechselbare Unterschrift sein. Und lange ging ich davon aus, dass auch mein Name „Andreas Knapp“ ganz einmalig ist.

Ich bin doch einmalig!

Doch spätestens das Internet zerstörte diese Illusion. Dort musste ich entdecken, dass es eine ganze Reihe von „Andreas Knapp“ gibt. Und es kam auch schon zu einer Verwechslung … Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass auf diesem Planeten noch eine Reihe von anderen Individuen mit demselben Namen herumlaufen.

Jeder Mensch ist ein Original und so einmalig wie sein Fingerabdruck. Wir sind keine Kopien oder Klone, sondern originell und einzigartig. Jede Person wird von bestimmten Eigenschaften geprägt und durch ihre Geschichte geformt. Jeder und jede kennt aber auch eine Verletzungsgeschichte, die sich in einer ganz individuellen Empfindsamkeit niederschlägt. Daher sieht und erlebt jeder Mensch die Welt in einer ganz spezifischen Weise.

Diese wunderbare Einmaligkeit bringt aber auch Einsamkeit mit sich. Denn es gibt zum Beispiel Eigenheiten, die nur mir eigentümlich sind und die auf andere fremd oder befremdlich wirken. Was ich erlebe, wie ich empfinde, was ich erträume und erhoffe – all das ist so besonders, dass ich vieles davon mit anderen nicht teilen kann. Wir verstehen andere immer nur bedingt und begrenzt – und manchmal gar nicht. So sehr ich auf meine Einmaligkeit Wert lege, so schmerzlich kann bisweilen die Einsamkeit nagen.
     

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Die Spannung zwischen Ich und Wir

Die Entwicklung unserer modernen Gesellschaft scheint die Einsamkeit vieler Menschen noch zu mehren. Dies hängt mit der ausgeprägten Individualisierung zusammen. Verschiedenste Lebensformen, Stile und Berufsmöglichkeiten fächern unsere Gesellschaft weiter auf. Soziale Zwänge haben abgenommen, und man löst sich leichter aus überkommenen Strukturen und Gewohnheiten. Damit lösen sich aber auch soziale Netze auf, die uns Menschen gehalten und einen festen Platz zugewiesen haben. Der schützende Mantel des sozialen Milieus, etwa eines Berufs oder einer Rolle, wird löchrig und wärmt nicht mehr. Jetzt muss man sich selbst stärker um einen Ort in der Gesellschaft kümmern, der Halt und Heimat gibt.

Auch die Strukturen von Familie und Verwandtschaft tragen nicht mehr so stark. Zerbrochene Beziehungen oder die beruflich geforderte Mobilität machen das soziale Netz noch rissiger. Andere Netze (Internet, Kommunikationsmedien) werden in Anspruch genommen, um neue Beziehungen zu knüpfen. Der große Boom an Netzwerken macht deutlich, wie mächtig sich in einer individualisierten Gesellschaft das Bedürfnis nach Gemeinschaft zu Wort meldet – und dass es Vernetzungen braucht, um Menschen in ihrer Vereinsamung aufzufangen.

Ohne ihr Handy fühlen sich viele Menschen abgenabelt vom Rest der Welt. Ein junger Mann, der mich als Praktikant in der Gefängnisseelsorge begleitete und an der Pforte sein Handy abgeben musste, sagte spontan: „Ich fühle mich jetzt ganz nackt.“ Man braucht die ständig eintreffenden elektronischen Signale, die einen beruhigen: Jemand denkt an mich. Ich bin noch nicht vergessen. Ich bin jemand.

[inne]halten - das Magazin 23/2025

Glauben wir an denselben?

Ein christlicher, ein jüdischer und ein muslimischer Theologe im Gespräch

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Wer schaut nach mir?

Die Bibel erzählt von Menschen, die entdecken konnten, dass sie im Tiefsten nicht allein, sondern von Gott gekannt und geliebt sind. Ein Beispiel: Abrahams Frau Sara fürchtet ihre Magd Hagar als Nebenbuhlerin, weil diese von Abraham schwanger geworden ist und sich daher Sara überlegen fühlt. Als Reaktion darauf jagt Sara ihre Magd in die Wüste. Hagar ist verzweifelt und dem Tod nah.

Doch dann hört sie, wie der Engel Gottes sie anspricht und ihr Mut macht, wieder zu Abraham und Sara zurückzukehren. Die zentrale Erfahrung besteht darin, dass sie in ihrer Einsamkeit und Not spüren kann, dass sie von Gott nicht vergessen ist. Sie nennt Gott „denjenigen, der nach mir schaut“. Und dieser erste Gottesname in der Bibel wird in Verbindung gebracht mit einem Brunnen, dem sie den Namen El-Roï gibt: Die Ahnung, dass Gott sie liebevoll anschaut, wird zur Quelle neuer Lebenskraft. Sie ist nicht allein, sondern lebt aus der Zuwendung Gottes.

Dieser älteste Gottesname der Bibel will eine Anregung sein: Ein kurzes Innehalten, ein kleines Stoßgebet kann auch uns daran erinnern: Wo immer ich auch bin – ich lebe in Gottes Augen-Blick.

Innehalten-Leseempfehlung
Andreas Knapp
Artikel von Andreas Knapp
Priester und Dichter
Gehört zur Ordensgemeinschaft der "Kleinen Brüder vom Evangelium". Tätig als Putzkraft, Joghurt-Verkäufer, Saisonarbeiter, Gefängnisseelsorger und in der Flüchtlingshilfe. Andreas Knapp ist einer der bekanntesten christlichen Lyriker im deutschsprachigen Raum.