Kultur und Wissen
03.07.2025

Architektur zum Streicheln - die Lehmbauexpertin Anna Heringer

Anna Heringers Häuser sind aus Lehm. Von Gebäuden aus Glas, Beton und Stahl will die Architektin nichts wissen. Stattdessen soll der traditionelle Baustoff dazu beitragen, dass Menschen wieder einen Bezug zur Erde finden – und zu ihren Mitmenschen.
    

„Geerdete Architektur“ – Bildungszentrum in Ghana. „Geerdete Architektur“ – Bildungszentrum in Ghana. Foto: © StudioAHeringer

Manchmal kommen unvermittelt Passanten in das Büro von Anna Heringer, weil sie es für einen Eine-Welt-Laden halten – wegen der vielen bunten Wandbehänge aus Bangladesch. Wer sich genauer in dem mittelalterlichen Gewölbe im oberbayerischen Laufen an der Salzach umschaut, findet neben einem Klavier, Computern und Tonmodellen runder Häuser nur gelegentlich Heringer selbst. Denn die ist viel unterwegs. Es ist schon etwas dran mit der Einen Welt und ihrem Architekturbüro: Die 47-Jährige baut in Asien, Afrika oder den USA – und mittlerweile auch in Deutschland.  

In der Branche ist sie trotz vieler Preise eine Außenseiterin, weil sie die Vorstellungen, wie Architektur heute auszusehen hat, gehörig durcheinanderwirbelt. Heringer arbeitet nicht mit Beton, Stahl und Glas, sondern mit „Dreck“, wie sie selbst lachend sagt. Vornehmer ausgedrückt: Sie baut mit ungebranntem Lehm, also nicht einmal mit Ziegelsteinen.

Weitergabe traditioneller Techniken

Zurzeit errichtet sie im Auftrag des Salesianerordens ein Ausbildungszentrum für Maurer, Zimmerleute, Landwirte und andere Berufe im Nordosten Ghanas. Besonders traditionelle Techniken sollen dort an junge Menschen weitergegeben werden. Das beginnt schon mit den Gebäuden, an denen die Einheimischen mitarbeiten. Anfangs war es nicht ganz einfach, sie von dem Baumaterial zu überzeugen, obwohl es in ihrer Kultur tief verankert ist.  

Heringer kann sich richtig darüber aufregen, „wie diesen Menschen über Jahrzehnte eingehämmert worden ist, dass ein öffentliches Gebäude aus Beton sein muss, damit es auch repräsentativ ist“. Also aus einem mit viel Energie hergestellten Baustoff, an dem gewinnorientierte Konzerne hängen und der oft lange Transportwege hinter sich hat. „Erde ist dagegen überall vorhanden“, sagt Heringer und preist das Material. Es gewährleiste einen gleichmäßigen Feuchtigkeitsaustausch, sei deshalb nicht schimmelanfällig, ungiftig, billig und nachhaltig. Wird ein Lehmhaus abgebrochen, braucht es nur Wasser, um den Baustoff aufzulösen und in einem Kreislaufsystem wiederzuverwerten. Den üblichen Bauschutt müssen Spezialunternehmen dagegen mit viel Energie aufbereiten und entgiften, wenn er denn überhaupt wieder Verwendung findet und nicht gleich auf einer Deponie landet. 
     

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Lehmbaustellen laden viele ein  

Den Einwand, dass ein kräftiger Regen die schönen nachhaltigen Lehmbauten wegschwemmt und sie deshalb höchstens in Trockenregionen funktionieren, kennt Heringer. Dabei ist selbst in Deutschland in vielen historischen Fachwerkhäusern jede Menge Lehm verbaut und der Witterung ausgesetzt. Die Architektin arbeitet mit „Lehmputzmischungen, in denen die Erfahrungen vieler Handwerkergenerationen steckt“, sagt sie.  

Für das Ausbildungszentrum in Ghana wenden Frauen dieses überlieferte Wissen an und verfeinern es. Denn Lehmbaustellen sind keine reine Männersache. Auch deshalb liebt Heringer das Baumaterial, „weil es so viele zum Mitarbeiten einlädt“, sagt sie. Als sie zusammen mit dem Künstler Martin Rauch einen neuen Altar aus Lehm für den Wormser Dom errichtete, „haben Ordensschwestern, Kindergartenkinder, der Kirchenchor und sogar überzeugte Atheisten mitgewerkelt“.

[inne]halten - das Magazin 15/2025

Meditation im Museum

Im Berliner Bode-Museum kann man seit einiger Zeit meditieren. Heilendes Museum heißt das Konzept. Zwischen Jesusfiguren, Madonnen und Buddhas sitzen Menschen auf Kissen, um einen Moment lang mit sich und der Welt eins zu sein.

Lesen Sie im [inne]halten-Magazin unseren Themenschwerpunkt und weitere Geschichten und Berichte aus dem kirchlichen Leben.

Spiritualität des Lehms 

Der Baustoff „fordert einfach heraus, miteinander etwas zu machen, es steckt etwas Spirituelles darin“, sagt die Architektin. Oft streicheln Vorübergehende die Lehmmauern an den von ihr entworfenen Gebäuden, als drückten sie ihre Beziehung zur Erde aus, die den Menschen trägt und ernährt.  

Gerne würde Heringer einmal eine Kirche bauen. Aber eigentlich habe sie zusammen mit einem Team schon einmal einen sakralen Bau realisiert, erzählt sie, nämlich den Gebärraum des Frauenmuseums im österreichischen Hittisau. Ein Modellhaus, das zeigt, wie ein menschenfreundliches Gebäude aussehen könnte, in dem Mütter ihre Kinder zur Welt bringen, „und das ist ja etwas Hochspirituelles“, sagt Heringer.  

Campus St. Michael in Traunstein 

Zwar keine Kirche, aber einen Gebetsraum hat sie für den gerade entstehenden Campus St. Michael in Traunstein entworfen. Der Campus ist ein Leuchtturm-Projekt für verschiedene Bildungseinrichtungen der Erzdiözese München und Freising, das hier die Nachhaltigkeitsgedanken von Papst Franziskus und seiner Enzyklika Laudato si umsetzen will. Heringer hat das 70 Meter lange und 50 Meter breite Zentralgebäude in einer deutschlandweit bisher einzigartigen Lehmbauweise errichtet.  

Erfahrungen mit einem solchen Auftrag hat sie schon zu Beginn ihrer Laufbahn gesammelt, als sie in Bangladesch eine Schule gebaut hat. Gigantische Prestigegebäude, wie sie ihre männlichen Kollegen gerne für reiche Auftraggeber errichten, interessieren sie dagegen nicht. „Weil Architektur in die Natur eingreift, hat sie eine große Verantwortung“, sagt Heringer. Es tue ihr weh, wenn die Branche unbekümmert Rohstoffe und Boden verschwendet, das Klima belastet und damit auch die Zukunft ihrer Tochter. Dagegen baut Anna Heringer unverdrossen mit ihrem „Dreck“ an. 

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Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter und Kolumnenautor
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.