Studienseminar Traunstein: Individuelle Förderung und christliche Werte in moderner Umgebung
Das Erzbistum München und Freising hat für das traditionsreiche Studienseminar Sankt Michael im bayerischen Traunstein ein neues Internats-Gebäude errichten lassen. Keine Kaderschmiede, sondern eine Schule für christliche Lebenskunst – doch kann man Kinder heute noch guten Gewissens auf ein katholisches Internat schicken?

Mit dem Klingeln der Tischglocke endet das Mittagessen. Durch die Gänge des alten Studienseminars, durch die schon Papst Benedikt XVI. als Kind gelaufen ist, geht es in das neue Gebäude. Letztes Jahr wurde es eröffnet, 28 Schüler leben hier. Oscar Hénault geht in die achte Klasse. Er wohnt in einem der wenigen Doppelzimmer im Neubau. Das erfordert ein paar Kompromisse. Nicht immer haben sein Mitbewohner und er den gleichen Rhythmus beim Aufräumen, dafür hat man vom Fenster den besten Ausblick auf das internatseigene Naturschwimmbad und den Sportplatz. Seit zwei Jahren ist er im „Semi". Davor lief es für ihn in der Schule nicht gut, die Noten waren schlecht. Irgendwann sei dann die Idee vom Internat aufgetaucht. „Mein Bruder war schon in Paris auf einem Internat und hat erzählt, dass das eine schöne Sache ist“, erinnert sich Oscar. „Da dachte ich mir, ich schau es mir halt mal an.“
Unterschiedliche Schultypen
für individuelle Bedürfnisse
Inzwischen sind beide in Traunstein. Oscar geht aufs Gymnasium, sein Bruder auf die Realschule. Dass das auf einem Internat geht, hat mit einer Besonderheit des Studienseminars zu tun, erklärt Christian Lenze. „Weil wir keine eigene Schule haben, können wir Bildungsbiographien ganz anders begleiten.“ Ein großer Vorteil gegenüber Internaten mit eigener Schule, ist der Theologe und für das Internatsmanagement zuständige Präfekt überzeugt. Häufig stelle sich erst im Laufe der Jahre heraus, dass ein Schüler auf der falschen Schule ist und deshalb zu großem Druck ausgesetzt ist. Normalerweise bedeutet die Schule zu wechseln dann aber, ein Internat verlassen zu müssen. „Bei uns kann er gemäß den staatlichen Vorgaben die Schule wechseln und trotzdem bleiben.“
Leben und lernen vor christlichem Horizont
Die „Seminaristen“ können Gymnasium, Realschule, Mittelschule, Fachoberschule oder auch eine private Wirtschaftsschule besuchen. Hausaufgaben gemacht und gelernt wird gemeinsam am Nachmittag in den sogenannten Studierzeiten. Die Präfekten begleiten die Schüler dabei. Das fünfköpfige Team aus Erzieherinnen, Pädagogen und Theologen bietet aber mehr als bloße Beaufsichtigung. „Neben den Leistungen in der Schule gehören auch Probleme während der Pubertät zu den Gründen, weshalb Eltern uns ihre Söhne anvertrauen“, so Lenze. Manche Eltern haben außerdem bewusst den Wunsch, dass ihre Kinder im christlichen Kontext erzogen werden. „Unser Selbstverständnis als Schule für christliche Lebenskunst prägt daher unser pädagogisches Konzept“, betont Lenze, „das wollen wir gemeinsam mit den Jugendlichen zeitgemäß und bedarfsorientiert leben.“
Schüler müssen zwar keiner Konfession angehören, spirituelle Angebote gehören trotzdem dazu. Der gemeinsame Impuls am Morgen, Tischgebete und der wöchentliche Gottesdienst spielen eine feste Rolle im Internatsalltag, aber keine übergeordnete. Zum Sport-Treiben stehen jeweils ein Fußball-, Basketball- und ein Beachvolleyballplatz zur Verfügung. Eine Turnhalle gibt es genauso wie ein eigenes Fitnessstudio und neben dem Naturfreibad ein großes Hallenbad. In ihrer Freizeit können die Seminaristen zum Beispiel Gärtnern, Imkern, es gibt Kochkurse und Musikunterricht.
[inne]halten - das Magazin 8/2025

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Eigenverantwortung in geschütztem Rahmen
Am Oratorium vorbei, in dem gerade Posaunenunterricht stattfindet, führt Oberstufen-Schüler Thomas in die hauseigene Bar. „Da gibt’s Getränke und Snacks, wir spielen gemeinsam Karten oder schauen Filme.“ Zwei Abende pro Woche ist mindestens geöffnet, manchmal sind es aber auch fünf. Seit diesem Jahr ist Thomas der Oberwirt. Damit ist er zuständig für den Barbetrieb und dafür, dass der Jugendschutz eingehalten wird. Sich auch als Volljähriger an die Internatsregeln halten zu müssen, stört ihn nicht. Grundsätzlich werde den Schülern viel Eigenverantwortung zugetraut. „Natürlich gibt es auch mal Streit“, gesteht er, „aber wir sind alt genug, um das untereinander zu klären und wissen, dass die Präfekten uns helfen, wenn es um etwas Größeres geht.“ Ganz nach dem Motto des Internats mit Herz, Hirn und Hand, betont Lenze: „Im Zuge dieser Herzensbildung ist uns wichtig, dass die Jugendlichen lernen, konstruktiv und diskursiv mit Streit umzugehen.“

Investitionen in die Zukunft
Spielräume, für die persönliche Entfaltung und gleichzeitig eine geschützte Umgebung schaffen, das war das Ziel, als vor einigen Jahren die Frage im Raum stand, wie es mit dem Internat nach rund 90 Jahren weitergehen soll. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und vor einigen Jahren bekannt gewordene Misshandlungsfälle, die es im Studienseminar in den Siebziger- und Achtziger-Jahren gab, hatten dazu geführt, dass es kaum noch zu Anmeldungen kam. Doch statt das Studienseminar zu schließen, entschied sich das Erzbistum, Millionen zu investieren – in einen Ausbau des Seminargeländes zu einem nachhaltigen Bildungscampus und in einen Neubau des Internats.
Der dreigeschossige Holzbau, in dem die Schüler seit letztem Jahr in zwei Wohngruppen leben, soll modernsten Standards entsprechen. „Die Architektur übernimmt die Funktion eines stillen Pädagogen“, lobt Lenze. Konzentriert auf zwei Stockwerken bietet der Neubau den jungen Männern gemeinsame Aufenthaltsräume, inklusive Gemeinschaftsküchen und gleichzeitig Rückzugsmöglichkeiten im Zimmer. Außenstehende sind häufig überrascht, wenn sie den Neubau sehen, berichtet Neuntklässler Jan-Vicente Strobel. Seiner Erfahrung nach haben viele von ihnen aber ohnehin kaum eine Vorstellung vom Leben in einem modernen Internat. Stattdessen wir er mit Vorurteilen konfrontiert, die sich aus jahrzehntealten Büchern und Filmen speisen. Manchmal muss er dann aufklären. „Dass wir hier nicht von unseren Eltern weggesperrt werden, sondern das Semi ein Ort ist, wo du deine Hobbies und Interessen ausleben darfst und zu einer erwachsenen Persönlichkeit wirst.“
Mehrwert für Schüler und Eltern
Auch Hilde Reger, Mutter von Oberwirt Thomas und Elternbeiratsvorsitzende, kennt die skeptischen Reaktionen aus ihrem Umfeld. Kann man die Kinder heute noch guten Gewissens auf ein katholisches Internat schicken? Sie findet: Ja. „Für uns war es damals der Durchbruch und wir haben es nie bereut.“ Reger glaubt, dass es in der heutigen Zeit viele Eltern gibt, die genau diese Unterstützung brauchen können und ist der Meinung, dass Einrichtungen wie das Studienseminar Traunstein eine Perspektive für die Zukunft darstellen. „Für uns als Familie und meine Kinder bietet es einfach einen Mehrwert, den man so als Eltern sonst nicht bieten kann.“ Mit dem Neubau des Internats soll dieser Anspruch nun langfristig gesichert werden.