Gelassenheit im Alltag
Mehr Entspannung, weniger Stress - mit Beruf, Familie und Kindern ist das manchmal eine echte Herausforderung. Im Exklusiv-Interview mit innehalten.de gibt Deutschlands populärster spiritueller Ratgeber, Pater Anselm Grün aus dem Kloster Münsterschwarzach, Tipps für mehr Gelassenheit im Alltag.
Pater Anselm, mit welcher Haltung sollten wir durch das noch junge Jahr gehen?
GRÜN: Als Haltung ist mir die Hoffnung ganz wichtig. Gott hat uns auch die Hoffnung gegeben, und es gibt ja eine richtig konkrete Hoffnung: Hoffnung auf Frieden, Hoffnung, dass alle gesund sind in der Familie. Aber es gibt auch die absolute Hoffnung, die vor allem vom Glauben her gegründet ist, dass ich weiter hoffe, auch wenn meine Erwartungen nicht erfüllt werden, auch wenn ich nicht gesund werde, oder das Kind nicht gesund wird, dass wir immer hoffen und spüren, ich gehe in ein gesegnetes Jahr, ich gehe in gesegnete Tage. Ich bin nicht allein in diesem Jahr. Ich beginne die Tage mit dem Segen Gottes.
Welche Rituale helfen im Familienalltag?
GRÜN: Rituale sind der Ort, wo Gefühle geäußert werden, die sonst nie geäußert werden. Und Rituale schaffen eine Familienidentität, wir sind noch jemand, wir leben nicht so „0815“ wie alle anderen, wir haben noch die Form, wir haben einen gewissen Stolz auch auf unsere Form. Also Rituale geben auch ein Selbstbewusstsein, dass wir das Gefühl haben, wir schaffen eine eigene Welt. Wir können die ganze Welt nicht verändern, aber dort wo wir sind, schaffen wir mit unseren Ritualen eine eigene Welt, eine Welt, wo man anders umgeht miteinander, wo man Vertrauen hat zum anderen.
Im Alltag ist es oft sehr hektisch. Rituale aber schaffen eine heilige Zeit, und heilig ist das, was der Welt entzogen ist, worüber die Welt keine Macht hat. Wenn ich jeden Morgen, jeden Abend eine heilige Zeit habe, dann habe ich das Gefühl, die Zeit gehört mir, ich lebe selber, statt gelebt zu werden von den Erwartungen der anderen, dann gibt das ein anderes Lebensgefühl und dann vertraue ich auch darauf, dass der andere Tag auch nicht zum Hamsterrad wird. Jeden Tag habe ich zwei heilige Zeiten, auch wenn sie nur zwei Minuten dauern. In dieser kurzen Zeit kann ich mich spüren.

GRÜN: Vor allem ein Grundsatz ist hier wichtig für den Umgang mit den Kindern und mit der Familie: Verstehen statt bewerten, also die Angst nicht bewerten, als Christ dürfte ich doch keine Angst haben, sondern ja: Da ist Angst. Verstehen, woher die Ängste kommen. Vielleicht kommen sie auch aus meiner eigenen Lebensgeschichte. Und dann sie zugeben, denn nur was ich zugebe, was ich annehme, kann verwandelt werden, was ich ablehne, das bleibt an mir hängen.
Gerade die Kinder merken genau, ob die Eltern Hoffnung haben oder nicht. Mit Hoffnung zu reagieren, heißt nicht zu bagatellisieren, nach dem Motto: Das ist nicht so schlimm. Sondern: Ja, du hast Angst, was könnte helfen, was brauchst du, was brauchst du von mir, was könnte ich dir geben? Wenn ich mit Angst auf die Kinder reagiere, mache ich sie noch ängstlicher.
Manche bitten dann, Gott soll mir die Angst nehmen. Gott ist aber kein Zauberer, der mir die Angst wegnimmt, sondern ich muss die Angst zulassen, denn die Heilung geschieht immer in der Begegnung. Wenn ich meine Angst zugebe und sage: Ja, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, die ist da und stelle mir vor, dass Gottes Liebe da hineinströmt, dann darf ich vertrauen, dass die Angst sich langsam wandelt.
Wie sinnvoll sind Vorsätze?
GRÜN: Wünsche können natürlich enttäuscht werden, genau wie Erwartungen enttäuscht werden können. Und deswegen unterscheidet Gabriel Marcel, der französische Philosoph, zwischen Erwartung und Hoffnung. Denn die Hoffnung kann eben nicht aufgelöst werden. Und der Apostel Paulus sagt ja auch, die Hoffnung wird nicht zu Schanden. Als Begründung erklärt Paulus, dass die Liebe Gottes in unseren Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist. In uns ist eine andere Kraft, die gibt uns Hoffnung, selbst wenn die Erwartungen und die Wünsche nicht erfüllt werden.
Wünsche und Vorsätze führen oft nicht weiter. Bei Vorsätzen hat man ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht erfüllt werden, oder wenn ich sie nicht einhalten kann. Zu wünschen bleibt auch hier, darauf zu vertrauen, dass ich über das Jahr nicht allein bin. Und ganz gleich, was passiert: Gott geht mit mir, der Segen Gottes begleitet mich.
Interview: Jochen Reiling