Glaubenswelten
16.05.2025

„Die Inspiration kommt von oben“

Der weltweit gefragte Tenor Christoph Prégardien spricht im Interview über Atem, Geist, Bachs Musik, neue Klänge – und das stille Wunder des Zuhörens in besonderen Räumen.

Christoph Prégardien zählt zu den führenden lyrischen Tenören der Gegenwart. Christoph Prégardien zählt zu den führenden lyrischen Tenören der Gegenwart. Foto: © Hans Morren

Im November letzten Jahres hatte ich das große Vergnügen, dich in Blaibach singen zu hören. Du hattest am Vorabend deines Konzertes im alten, genial erneuerten Bauernhäusl neben dem inzwischen weltberühmten Konzerthaus von Peter Haimerl geprobt. Singt man anders in der Luft des Bayerischen Waldes?

Tja, ob die Luft des Bayerischen Waldes Einfluss auf mein Singen hat, vermag ich gar nicht zu sagen. Darüber habe ich mir bisher auch keine Gedanken gemacht. Es ist sicher so, dass die Luft in Großstädten wie London oder Paris ziemlich schlecht ist, aber das hat – Gott sei Dank – keine direkte Auswirkung auf meinen Gesang. Was natürlich eine Auswirkung hat, ist die Umgebung, die Atmosphäre, die an so einem Ort herrscht. Aber auch das vergesse ich in dem Moment, in dem ich auf die Bühne komme. Da bin ich nur noch im jeweiligen Saal, in diesem Ambiente, und mit dem Publikum zusammen. Und das ist in Blaibach natürlich schon besonders – durch die so außergewöhnliche Architektur gerade dieses Konzertsaals.

Singen ist nicht nur heiße Luft. Singen ist Atem, Atem ist Geist. Wieviel macht die „Vorstellung“ beim Singen? Wieviel „singt“ der Geist?


Vorstellung, Phantasie, Imagination – das ist natürlich extrem wichtig beim Musizieren. Für Instrumentalisten – das kennst du als Geigerin ja auch – ebenso wie für Sänger. Bei mir ganz besonders, zumal ich ja immer Geschichten erzähle. Das heißt: Ich muss mich in Situationen hineinbegeben, die der Protagonist oder die Protagonistin gerade erlebt, und muss versuchen, das für mich zu übersetzen, um es dann dem Publikum nahezubringen. Es geht natürlich immer um emotionale Grenzsituationen in der Literatur – sowohl in der musikalischen als auch in der poetischen. Und woher die Inspiration kommt, das vermag ich nicht zu sagen. Du sprichst vom Geist. Der Geist singt, die Inspiration kommt von oben. Und da ich ein gläubiger Christ bin, bin ich sicher, dass es Dinge gibt, die auf der Bühne passieren und die nicht unserem menschlichen Verstehen entspringen, sondern aus einer anderen Sphäre kommen. Insofern singt der Geist hoffentlich immer mit.
    

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Du bist auch bekannt für das Interpretieren von Musik von Johann Sebastian Bach. Macht einen das Singen von Bachs Musik gläubiger?

Mich muss die Musik von Bach nicht gläubiger machen. Natürlich ist das, was Bach macht – in seinen Passionen und in seinen Kantaten – vom Zeitgeist geprägt, vom Zeitgeist des Barock. Aber wir, die Künstler auf der Bühne, sind ja das Medium, das diese Musik in die heutige Zeit übersetzt. Ich denke, man kann auch als nichtgläubiger Mensch diese Musik wunderbar interpretieren. Denn es geht hier – gerade in den Passionen von Bach – um Grenzsituationen aller Protagonisten. Nicht nur um Jesus, sondern auch um seine Mutter, Maria Magdalena, seine Jünger, Pilatus, Judas, die beiden Mörder, die mit ihm am Kreuz hängen. Also: Es geht immer um menschliche Beziehungen und um die Beziehung zwischen dem Menschen und dem göttlichen Willen. Man muss da nicht gläubig sein, um das gut interpretieren zu können. Man muss einfach versuchen, sich in diese menschliche Komponente hineinzufühlen und das dann für das Publikum zu übersetzen.

Was berührt dich mehr: Alte Musik oder Neue?


Das kann ich so nicht beantworten. Neue Musik ist für mich – wie für die meisten Menschen – schwerer verständlich, weil wir es nicht mehr gewohnt sind, neue Musik zu hören. Zu Bachs Zeit war das ganz normal. Seine Musik muss für die damaligen Hörer wahnsinnig modern geklungen haben, so wie er komponiert hat. Aber sie waren das gewohnt – sie haben jede Woche, fast jeden Tag, neue Musik gehört. Das ist uns abhandengekommen, weil wir heute ein „Musikmuseum“ verwalten. Mit Alter Musik meine ich nicht nur Barockmusik, sondern alles, was vor unserer Zeit geschrieben wurde – also auch das ganze 19. Jahrhundert, das mir sehr nahe ist. Mich kann auch Neue Musik sehr berühren. Da denke ich zum Beispiel an den Günderrode-Zyklus von Wolfgang Rihm oder an viele wunderschöne Lieder von Wilhelm Killmayer. Die berühren mich ebenso sehr wie ein wunderschönes Schubert-Lied oder eine Arie von Händel.

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Was kann Neue Musik, was Alte Musik nicht leistet?


Sie kann uns zeigen, wie man auf neue Art versucht, Musik den Menschen nahezubringen. Es geht ja auch hier – bei guter Neuer Musik – um Gefühle, um Emotionen, und nicht um etwas, das sich nur im Hirn abspielt. Insofern: Wenn ich mit offenem Herzen dasitze und Musik höre, dann kann mich Neue Musik ebenso berühren wie Alte Musik.

Mehr „leisten“ kann sie vielleicht nur in dem Sinne, dass wir als Zuhörer geschult werden, uns auf neue Klänge einzulassen. Ich finde das wichtig – dass wir uns nicht abschrecken lassen von etwas, das wir nicht kennen. Es ist ja überall so, dass man vor Fremdem erst mal zurückweicht und dem eher aus dem Weg geht. Auch bei Musik.

Unsere Hörerfahrung reicht weit zurück. Durch neue Medien, mit dem Aufkommen der Musikkonserve, ist es dazu gekommen, dass man immer mehr ältere Musik hört und kaum neue. Das ist bedauerlich. Ich glaube, dass uns Neue Musik wieder zurückführen kann in alte Zeiten – insofern, als wir versuchen, sie zu verstehen. Vielleicht nicht beim ersten Mal. Aber was heißt eigentlich „verstehen“? Das macht der Intellekt – und ich bin eigentlich immer mehr auf der Gefühlsseite.

Christoph Prégardien ist ein renommierter deutscher Tenor, geboren am 18. Januar 1956 in Limburg an der Lahn. Er zählt zu den führenden lyrischen Tenören unserer Zeit und ist insbesondere für seine Interpretationen von Liedern, Oratorien und Werken der Barockmusik bekannt. Prégardien ist international gefragt und tritt regelmäßig in bedeutenden Konzertsälen und bei renommierten Festivals auf. Sein Repertoire umfasst Werke von Komponisten wie Schubert, Schumann, Brahms, Mahler sowie zeitgenössischen Komponisten wie Wolfgang Rihm und Wilhelm Killmayer. Neben seiner Karriere als Sänger ist Prégardien auch als Dirigent tätig. Seit 2012 leitet er verschiedene Ensembles und Orchester, darunter das Le Concert Lorrain und den Dresdner Kammerchor.


Wie spürt man, dass das Publikum mitgeht, dass man „eines Geistes“ ist?

Das ist sehr leicht zu spüren. Wenn es ganz ruhig wird unten im Publikumsraum – und das geschieht sehr häufig schon nach relativ kurzer Zeit. Wenn es einem gelingt, die Menschen mit der eigenen Konzentration in den Bann zu ziehen, spürt man das – weil es plötzlich ganz still wird. Die Menschen lauschen und hören auf zu husten oder sich zu bewegen. Dieses „Zuhören“ ist gerade beim Liedgesang so wichtig. Dabei mag ich das Abdrucken von Texten eigentlich nicht. Ich sage immer: Hört zu mit dem Herzen! Und das geht viel besser, wenn man nicht dabei liest. Man kriegt es also gut mit, wenn die Zuhörer wirklich bei einem sind. Es ist eine Gespanntheit des Lauschens. Ganz still wird’s dann – gerade in den musikalischen Pausen, wenn nichts geschieht, wenn man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören kann.

Singen heißt auch „bei sich sein“. Im Körper sein. Wie bleibt man „bei sich“, wenn man als sehr bekannter Sänger so viel auf Reisen ist?


Das fällt mir nicht schwer. Ich reise gern, und ich versuche immer, am Tag vor einem Konzert vor Ort zu sein und Zeit zu haben, mich ein bisschen einzuleben. Und spätestens, wenn ich im Konzertraum bin – mit meinem Pianisten oder meiner Pianistin – bin ich in der Musik, und damit ganz bei mir.

Magst du uns deine Lieblingsmusik verraten, deinen Lieblingskonzertraum? Lieblingskirche?

Lieblingsmusik – das ist eigentlich immer das, was ich gerade singe. Das kann ein Lied von Hanns Eisler sein, das kann natürlich immer ein Lied von Franz Schubert sein. Wenn ich nur einen Komponisten mitnehmen dürfte, wäre es wahrscheinlich Schubert.

Lieblingssäle gibt es einige: den Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg, den Kleinen Saal im Concertgebouw in Amsterdam – oder, oder. Auch in Asien habe ich wunderschöne Säle gesehen.

Meine Lieblingskirche – das ist nicht schwer zu beantworten. Ich stamme ja aus Limburg an der Lahn, und der Limburger Dom von 1235 ist mein geistiges Zentrum geblieben. Das ist so ein schöner, intimer romanischer Kirchenraum. Und in der Toskana, in der Nähe von San Gimignano, eine Abtei – Sant’Antimo. Das ist ein magischer Ort.

Wo kann man dich demnächst in Bayern hören?

In Ochsenhausen am 29. Mai, und am 24. Juni gibt’s einen Liederabend in der Münchner Allerheiligen-Hofkirche. Darauf freue ich mich sehr. Und dann noch am 8. November in Aschau mit einer „Winterreise“ mit Bläserquintett.

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Monika Drasch
Artikel von Monika Drasch
Musikerin, Podcasterin
Alpenrock-Fans kennen sie als die Frau mit der Grünen Geige. "Lieder zwischen Himmel und Erde" heißt ihr monatlich erscheinender Podcast auf innehalten.de.