Alltagsspiritualität
Was im Leben wichtig ist: Überall ein Gebet entdecken
Der 70-jährige Bestsellerautor und spirituelle Lehrer, Pierre Stutz, antwortet auf spirituelle Fragen der jungen Moderatorin Michelle Mink. Dieses Interview basiert auf der fünften Folge des Video-Podcasts „Was im Leben wichtig ist“.

Michelle Mink: Mein Lieblingsgebet als Kind war das mit den 14 Engeln – wer es nicht kennt, darin betet man, dass die Engel um dich herum sind und in der Nacht auf dich aufpassen und begleiten.
Pierre Stutz: 14 Engel! Ich kenne das Gebet auch, aber bei mir war´s nur einer!
Ich geb´ Dir welche ab. Aber ich glaube, als Kind mochte ich dieses Gebet besonders, weil ich eben noch viel Fantasie hatte und mir die Engel gut vorstellen konnte, die mich vielleicht vor einem Monster unter dem Bett beschützen. Warum fällt es Kindern so leicht, zu beten, und warum ist es für Erwachsene manchmal so schwer?
Stutz: Kinder haben das Glück unbeschwert zu sein. Wir Erwachsenen stehen uns mit unserem Nachdenken und Reflektieren oft selber im Weg. Darum bin ich auch froh, dass in den vergangenen Jahrzehnten das Gebet im Schweigen, in Gebärden, im Tanz oder im Yoga wiederentdeckt worden ist. Gebet – das müssen nicht immer Worte sein. Beten, das funktioniert nicht nur mit dem Kopf.
Was ist denn das überhaupt: beten?
Stutz: Ich würde da gerne das Wort Resonanz also Widerhall verwenden. Für mich bedeutet Beten in Beziehung sein mit dem Urgrund der Hoffnung und der Kraft der Liebe und darauf zu antworten. Es hat für mich etwas Dialogisches, in dem ich mein ganzes Leben zur Sprache bringe und mich dadurch in meinem Leben zurechtfinden kann. Beten ist ganz weit und interreligiös offen.
Wie betet denn ein routinierter Spiritualitätsprofi wie Du? Oder fühlst Du Dich auch manchmal wie ein Anfänger beim Beten?
Stutz: Ich möchte mich immer wieder wie ein Anfänger fühlen und ein Suchender sein. Da geht es auch darum gelegentlich zu merken: ein Gebet, das mich lange getragen hat, das passt gerade nicht mehr. Eines aber halte ich eigentlich immer ein: nach dem Aufstehen stelle ich mich bewusst hin, atme ein und sage Merci, la vie, danke Leben, und bin einen Moment lang still. Das ist für mich schon ein Gebet, um mich nicht schon am Beginn des Tages zu verzetteln und zu glauben, ich müsste sofort meinen Aufgaben nachrennen.
(Redaktion: Alois Bierl)