Kirchenmusiker berichten zur Wiedereröffnung
Mystische Nacht in Notre Dame
Notre Dame in Paris wird wiedereröffnet. Zwei Musiker haben die Kathedrale in tiefer Nacht und aus einer besonderen Perspektive erlebt.
Noch jetzt läuft Christian Baumgartner ein Schauer über den Rücken, wenn er daran zurückdenkt: Vor rund 25 Jahren durfte der Kirchenmusiker aus Dachau an der einzigartigen Orgel von Notre-Dame spielen. Damals durfte er an einem Kurs in der Kathedrale von Paris teilnehmen. „Einmalig, ein unbeschreibliches Gefühl“, erinnert sich Christian Baumgartner: Als er nach dem Schlussakkord die Hände von den Tasten nahm, konnte er den Nachhall in dem gotischen Gewölbe noch 15 bis 20 Sekunden hören. Seine Eindrücke von damals hat er immer noch im Ohr - und vor Augen. Denn der Kurs war in der Nacht. Die Orgelempore war spärlich beleuchtet und sonst war der riesige Raum finster. Nur das Ewige Licht flackerte im Dunkeln: „Die kleine Flamme war gefühlt hunderte Meter entfernt und fast nur noch zu erahnen“, erinnert sich Christian Baumgartner, „das war von der Stimmung her fast etwas Mystisches“.
Proben im Dunkeln
Ähnliches hat auch Peter Kofler erlebt. Der Organist an der Jesuitenkirche Sankt Michael in München war 2017 sogar zu einem Konzert in Notre Dame eingeladen. Dafür musste er die Orgel vorher einrichten oder einregistrieren, wie die Musiker sagen, und proben. Weil es dafür ruhig sein muss, geschieht das immer erst, wenn die Kirche für das Publikum geschlossen ist, also im Dunkeln. Dann sind in Notre Dame die gotischen Gewölbe und Mauern nur zu erahnen, lediglich ein paar schwache Umrisse zu sehen: „Man hat das Gefühl in einem imposanten Raum zu sein, ist sich aber über die Dimensionen unsicher und erfasst sie erst, wenn man das Innere der Kirche verlässt und den riesigen Bau von außen sieht.“
Bleidampf im Innenleben
Peter Kofler hofft, an diesem Instrument, mit 8000 Pfeifen eines der größten der Welt, wieder einmal ein Konzert geben zu dürfen. Denn die Flammen beim verheerenden Brand vom April 2019 haben die Orgel nicht erfasst. Allerdings lagerte sich in ihrem Innenleben und in den Pfeifen giftiger Bleistaub ab. Denn durch das Feuer ist das 250 Tonnen schwere Bleidach der Kathedrale geschmolzen und zu erheblichen Teilen verdampft. Eine Spezialfirma baute die Orgel von Notre Dame ab, reinigte sie komplett und setzte sie neu zusammen. Peter Kofler ist deshalb „gespannt ob sich dadurch der Klang des Instruments und durch den Wiederaufbau die Akustik in der Kirche geändert hat“.
Pflichtabstecher für Organisten
Eine Frage, die sich auch sein Kollege Christian Baumgartner stellt. Er hat selbst einmal erlebt, wie sich seine Orgel in Dachau nach einer Kirchenrenovierung völlig anders anhörte: „Ich kannte mein Instrument nicht mehr und es hat eine Zeit gebraucht, bis ich mich an die neue akustische Umgebung und das Instrument wieder gewöhnt hatte.“ Darum werden beide Organisten ganz genau hinhören, wenn sie wieder nach Paris kommen: „Ein Abstecher nach Notre Dame ist für einen Organisten ja Pflicht“, sagt Christian Baumgartner. Peter Kofler wird diesen Abstecher bereits im kommenden Frühjahr machen können. Dann gibt er wieder ein Konzert in Paris, allerdings nicht in Notre Dame, sondern beim Französischen Rundfunk. Allerdings will er seine Kollegen an der Pariser Kathedrale vorher anschreiben: „Ich kenne einige von ihnen, die auch schon bei uns in Sankt Michael gespielt haben.“ Vielleicht darf er ihnen in der Nacht beim Üben zuhören. Dann kann er auch den Blick wieder in das mystische Dunkel von Notre Dame richten, von der in der Brandnacht im April 2019 kaum jemand gedacht hätte, dass dort nach fünf Jahren schon wieder die Orgel erklingt.