Achtsamkeit
25.03.2025

Die Kunst der Freude. Oder: Man soll den Tag auch vor dem Abend loben

Am Vierten Fastensonntag feiert die Kirche den Laetare-Sonntag, der ermuntert: „Freue dich!“ Das klingt so schön und fällt oft schwer. Warum sich gerade in Glücksmomente die Angst vor der Vergänglichkeit einschleicht, und warum wir den Tag auch vor dem Abend loben sollten.
 

Kunst der Freude Kunst der Freude Foto: © AdobeStock Kieferpix

Sich vorbehaltlos zu freuen, fällt manchmal nicht leicht. Da erzählt ein Vater: „Ich stehe am Bett meiner Kinder, lausche den ruhigen Atemzügen und rieche ihren vertrauten Duft. Wie unglaublich schön ist das! Ein Gänsehautgefühl von Glück und Liebe. Aber wie aus dem Nichts breiten sich düstere Fantasien aus, was ihnen alles zustoßen könnte.“

Warum Glück oft auch Angst in uns weckt

Es ist paradox: Einerseits wünschen wir Menschen uns mehr Freude. Aber andererseits melden sich gerade in Augenblicken großen Glücks oft Befürchtungen zu Wort und schmälern die Freude. Woher kommt das? Weil sich in Augenblicken heller Freude häufig auch unsere Verletzlichkeit in Erinnerung ruft. Weil wir in Momenten puren Glücks, in denen einfach alles stimmt, die Zerbrechlichkeit oft umso stärker spüren: Ich kann diesen Augenblick – den Song, der mich an etwas Schönes erinnert, oder das frohe Fest mit Freunden – nicht festhalten. Die Menschen, die mir viel bedeuten, sind fragil. So wie ich selbst und alles, was ich aufgebaut habe.

Die Angst vor der Verwundbarkeit also macht unser Herz eng und bringt uns dazu, dass wir unserem Glück nicht trauen. Die Angst etwa, dass die Freude nicht lange währt - entsprechend der mahnenden Redewendung „Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben“, denn wer weiß, was noch alles kommt …
    

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Ein innerer Schutzmechanismus, durch den wir uns selbst im Weg stehen

Unglücksfantasien, die das Hirn in Glücksmomenten wie von selbst produziert, entpuppen sich angesichts unserer Verwundbarkeit als ein nachvollziehbarer Schutzmechanismus: Um nicht ahnungslos von Enttäuschungen oder Verlust überrumpelt zu werden, spielen wir in der Vorstellung Unglücksszenarien durch. Um nicht aus heiterem Himmel vom Schmerz überrollt zu werden, trüben wir durch düstere Fantasien vorsorglich die Freude ein – in der Hoffnung, dadurch mit dem möglichen Umschwung besser klar zu kommen.

Doch mit diesem unbewussten Selbstschutz stellt man sich in mehrfacher Hinsicht ein Bein.

Erstens: Wenn wir unsere Fähigkeit zur Freude vergraben, präparieren wir uns gerade nicht für Verluste oder Enttäuschungen! Im Gegenteil, wir schwächen unsere seelische Widerstandskraft. Jedes Mal aber, wenn wir der Freude erlauben, dass sie unser Herz weit macht, stärken wir unsere Fähigkeit, mit den kleinen und großen Widrigkeiten umzugehen. Und wir kultivieren die Kraft der Hoffnung.

Zweitens: Gedanken und Angstfantasien machen uns oft etwas vor. Humorvoll und pointiert beobachtet Mark Twain: „Ich habe einige schreckliche Dinge in meinem Leben durchgemacht, von denen einige tatsächlich passiert sind.“ Wer seine Aufmerksamkeit bevorzugt auf den möglichen SuperGAU richtet, lässt sich nicht nur das Glück des Augenblicks rauben, sondern er leidet hier und jetzt. Und muss oft im Rückblick feststellen: Ich habe mich grundlos verrückt gemacht und unter Katastrophen gelitten, die nie eingetreten sind.

Drittens: Wenn tatsächlich etwas Befürchtetes eintreten sollte, dann werden wir um all die wunderbaren Augenblicke trauern, die wir nicht aus vollem Herzen genossen haben und die nun unwiderruflich vorübergegangen sind.

Der Freude trauen

Wir haben unser Leben nicht in der Hand! Ob wir einen Menschen über alle Maße lieben oder einen vergänglichen Augenblick feiern – in all diesen Momenten machen wir uns verwundbar. Aus diesem Grund kann Freude ein leises inneres Beben auslösen, und manchmal bekommt man sogar eine Gänsehaut, denn: Dieser Augenblick ist alles andere als selbstverständlich! Wie wir dieses innere Beben deuten und wie wir mit ihm umgehen, hat weitreichende Konsequenzen. Daher lohnt es sich, darüber nachzudenken: Neige ich dazu, es als Warnschuss zu interpretieren, der mahnt: „Freu’ dich nicht zu früh! Das ist nicht das wahre Leben!“ Oder verstehe ich den Schauder als eine Einladung, dankbar zu sein: für den Menschen an meiner Seite, für das berauschende Gipfelerlebnis nach einem anstrengenden Aufstieg oder einfach für den gegenwärtigen Augenblick?

Wenn ich in mich selbst hineinhorche, dann geht mir auf, dass sich in mir verschiedene dieser Stimmen zu Wort melden. In diesem Wahrnehmen liegt eine große Chance, denn nun kann ich mich fragen:

„Wem will ich (mehr) Glauben schenken: meiner Angst, die mir das Heute stiehlt, indem sie mich das Morgen fürchten lehrt? Oder meinem dankbaren Vertrauen, dass sich mir hier und jetzt das Leben in seiner Schönheit zeigt?“

Dankbarkeit bewirkt, dass man den Tag auch vor dem Abend lobt.

Wenn auf dem inneren Marktplatz mal wieder die verschiedenen Stimmen durcheinander schreien, lädt der christliche Glaube ein, dass wir jenen Stimmen Gehör schenken, die uns innerlich weit machen und unser Freude stärken. Der Glaube ermutigt uns, den lichten Augenblick zu bejahen dank des Vertrauens, dass dieses Ja wirklichkeitsgemäßer ist als wenn wir nur schwarzsehen. Denn im Blick auf Jesus Christus dürfen wir darauf hoffen, dass sich die ganze Welt einem schöpferischen göttlichen Geheimnis verdankt. Und dass es gut ist, in dieser Welt zu sein.
 

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Artikel von Melanie Wolfers
Philosophin, Theologin und Mutmacherin
Melanie Wolfers gehört zur internationalen Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen, ist Bestseller-Autorin, betreibt den Podcast GANZ SCHÖN MUTIG. Sie ist freie Mitarbeiterin beim Michaelsbund und stellt als Host der ZDF-Serie "Die letzte Bank" Fragen an das Leben.