Achtsamkeit
25.11.2024

Im Advent zu sich selbst finden und bei sich selbst bleiben

Kaum eine Zeit im Jahr bietet so viel Raum für Entschleunigung wie der Advent. Theologe und Brauchtumsexperte Fabian Brand rät: Nehmen Sie sich täglich dafür Zeit und beleben Sie Traditionen neu, um diese besondere Zeit bewusst zu erleben.

Foto: © IMAGO/Westend61

Einmal im Jahr sollen wir stad werden und uns auf die Stille der heiligen Zeit einlassen. Einmal im Jahr bei uns selbst bleiben, um in der Ruhe neue Kraft zu finden. Einmal im Jahr auf alte Rituale und Praktiken bauen, um damit gestärkt und belebt in eine neue Zeit zu gehen. So jedenfalls hört man es im Blick auf die Adventszeit immer wieder. Sie ist eine heilige Zeit, eine geschenkte Zeit vor dem Weihnachtsfest. Und doch sieht Leben oft anders aus: Selbst wer es sich vornimmt, den Advent wirklich als stade Zeit zu halten, wir bald merken, dass es gar nicht so leicht funktioniert. Allzu schnell ist man doch wieder im Alltagstrott drinnen, allzu schnell schiebt man die Besinnung auf die lange Bank, weil der Geschenkekauf für Weihnachten brisanter ist. Doch man muss gar nicht so viel investieren, um in der hektischen Adventszeit bei sich selbst zu bleiben. Ein paar kleine Tipps und Ratschläge können schon helfen, den Advent wieder einmal bewusster und entspannter zu erleben.


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Zeit für Besinnung: Der Schlüssel zu einem entspannten Advent

Der erste und wichtigste Rat: Nehmen Sie sich Zeit! Das klingt aufs erste Lesen relativ plump. Aber genau daran scheitern die Meisten im Advent: Sie haben keine Zeit mehr, weil sie von Weihnachtsfeier zu Weihnachtsfeier hetzen und im Trubel dieser vier Wochen untergehen. Sich Zeit nehmen ist der erste Anfang einer wirklich besinnlichen Adventszeit. Man sollte es mit diesem Ratschlag gar nicht übertreiben: Es kann auch einfach bedeuten, dass man jeden Tag zehn Minuten einplant, in denen man ein Adventslied singt oder sich einfach in Stille vor den Adventskranz setzt. Man kann sich natürlich auch mehr Zeit herausnehmen: Jeden Tag eine halbe Stunde, in der man alleine oder zusammen spazieren geht und den eigenen Gedanken nachhängt. Die Zeiten sind variabel und flexibel.

Aber das wichtige ist: Sie müssen an jedem Tag fest eingeplant werden, damit man nicht in die Versuchung kommt, sich diese Zeit nehmen zu lassen. Vielleicht kann man dieses Ritual fest in den Tagesablauf der adventlichen Tage integrieren: Jeden Tag um 17 Uhr plane ich meine 10 Minuten Stille ein. Oder: Jeden Tag nach dem Mittagessen gehe ich eine halbe Stunde spazieren. So entgeht man der Gefahr, diese Zeit aus den Augen zu verlieren.

Frühaufstehen als Ritual: Die Magie der stillen Morgenstunden

Eine zweite Möglichkeit: Stehen Sie am Morgen früher auf. Das klingt zunächst etwas seltsam. Doch auch dieser Tipp hat etwas mit dem Zeitnehmen zu tun. Wer seinen Wecker in der Adventszeit zum Beispiel zehn Minuten früher klingeln lässt, hat morgens zehn Minuten mehr Zeit. Und dieses Mehr an Zeit kann man gut für sich nutzen: Setzen Sie sich in diesen Minuten an ein Fenster und blicken Sie in den dunklen Morgen hinaus. Beobachten Sie, wie langsam die Sonne zum Vorschein kommt, wie sich langsam die Morgendämmerung in die Finsternis hineinschiebt. Man kann diese Morgenzeit auch besinnlicher gestalten, indem man die Kerze am Adventskranz entzündet, ein Adventslied anstimmt oder einfach einen kurzen Bibeltext liest.

Zehn Minuten früher aufzustehen ist keine große Kunst – auch wenn das manche Langschläfer nicht unbedingt überzeugen wird. Aber wer sich am Morgen schon Zeit nimmt und bewusst in den Tag startet, geht entspannter durch die Adventszeit. Denn wer morgens schon hektisch das Frühstück zusammensucht, um dann genauso schnell aus dem Haus zu verschwinden, muss sich nicht wundern, wenn die Hektik den ganzen Tag über erhalten bleibt. Im Advent früher aufstehen, die Stille des Morgens genießen und dabei zu sich selbst finden.

Stressabbau durch Planung: Die To-Do-Liste als Helfer

Ein dritter Tipp: To-Do-Liste schreiben. Vielen zerrinnt die Adventszeit zwischen den Händen, weil der Termindruck vor Weihnachten steigt. Weihnachten ist ein Fixpunkt im Leben – und damit aber auch ein Termin. Weihnachten ist ab dem 24. Dezember gesetzt. Bis dahin muss alles erledigt sein. Das steigert den Druck, unter dem man in den Wochen davor steht. Vieles muss noch getan werden, Einkäufe und anderes stehen an. Um diesem Stress zu entgehen, hilft es, eine To-Do-Liste anzulegen. Diese sollte am besten schon vor dem ersten Advent fertig sein. Notieren Sie darauf alles, was Sie bis Weihnachten erledigt haben wollen. Und vergessen Sie dabei auch Kleinigkeiten nicht. Dann fangen Sie an, die To-Do-Liste abzuarbeiten. Punkt für Punkt, stoisch nacheinander. Und was Sie nicht am Anfang auf diese Liste geschrieben haben, das wird auch nicht mehr nachträglich ergänzt. So kann man dem Stress entgehen, der sich einstellt, wenn man „schnell noch etwas erledigen muss“. Spontan fällt einem immer noch etwas ein, was man tun müsste oder zu tun hätte. Aber genau dieses Verhalten erhöht wiederum das Stresslevel. Und das soll gerade vermieden werden.

Räuchern im Advent: Düfte für eine heilige Atmosphäre

Eine andere Möglichkeit, um im Advent zu sich selbst zu finden, ist das Räuchern. Früher war es ganz normal, dass man in den Heiligen Nächten zwischen Heiligabend und Dreikönig Häuser und Ställe ausgeräuchert hat. Auch heutzutage ist das Räuchern wieder zunehmend en vogue geworden. Räuchersets, Rauchfasskohlen und Weihrauch sind vielfach im Handel erhältlich.

Das Räucherritual kann in der Adventszeit mehrfach durchgeführt werden. Es bieten sich zum Beispiel die Adventssonntage an oder die Feiertage in der Adventszeit: der Barbara-Tag (04. Dezember), der Tag des heiligen Nikolaus (06. Dezember) oder Mariä Empfängnis (08. Dezember). Entzünden Sie die Kohle, streuen Sie bewusst einige Weihrauchkörner darauf und beobachten Sie, wie der Rauch langsam nach oben steigt. Gehen Sie mit dem Weihrauch durch die Räume Ihrer Wohnung. Aber achten Sie bitte auf Rauchmelder, die möglicherweise ausgelöst werden können! Mit dem Weihrauch zieht ein neuer Duft in ihr Leben ein: Es ist ein heiliger Duft, ein Wohlgeruch. Der Duft des menschgewordenen Gottes, dessen Ankunft wir im Advent erwarten. Wo Weihrauch entzündet wird, dort reinigt er die Luft, dort lässt er aufatmen und verbreitet eine besinnliche Atmosphäre.

Traditionen wiederbeleben: Brauchtum als Weg zur Ruhe

Ein letzter Tipp: Brauchtum weiterleben lassen. Schon die Generationen vor uns wussten, dass der Advent eine heilige Zeit ist. Und dass mit einer heiligen Zeit immer auch besondere Handlungsweisen verknüpft sind. Es gibt daher in der Adventszeit eine ganze Reihe von alten Brauchtümern, die vielfach früher ausgeübt wurden und mitunter heute in Vergessenheit geraten sind. Wenn man manchen Brauch wieder aufleben lässt, kann das auch helfen, sich wieder bewusst zu werden, dass der Advent eine besondere, eine heilige Zeit ist.

Einer dieser Bräuche ist das Schneiden der Barbarazweige: Man schneidet sich am 04. Dezember, dem Gedenktag der heiligen Barbara, einige Zweige eines Obstbaumes ab und stellt sie in der Wohnung in eine Vase. Mit etwas Glück blühen die Zweige zum Weihnachtsfest auf. Ein anderer Brauch ist das Strohhalmlegen: Am ersten Advent stellt man zuhause die Krippe auf, legt aber das Jesuskind noch nicht hinein. Jeden Tag im Advent nimmt man nun einen einzelnen Strohhalm und legt diesen in die Krippe. Am Heiligabend liegt dann so viel Stroh in der Krippe, dass das Jesuskind weich gebettet ist. Das ist ein Brauch, den man vor allem mit Kindern schön ausüben kann. Wer will, kann mit jedem Strohhalm auch ein besonderes Anliegen verbinden und dieses gewissermaßen dem Jesuskind in die Krippe legen.

Entschleunigung als Ziel: Den Advent bewusst erleben

Es gibt viele Möglichkeiten, die vielbeschworene „stade Zeit“ wirklich als eine besinnliche Zeit der Ruhe und Besinnung zu erleben. Wichtig ist allerdings, dass man es auch mit den besinnlichen Elementen nicht übertreibt! Auch das kann wiederum zu neuem Stress führen, den man doch gerne vermeiden möchte. Viel hilfreicher ist es, sich für den Advent einen dieser Tipps auszusuchen und auszuprobieren, ob dieser Tipp wirklich hilfreich ist, um in dieser Zeit zu sich selbst zu finden.

Das Wichtigste ist: Die Zeit bewusst wahrnehmen, Entschleunigung einüben. Wie das gelingen kann, muss man am Ende für sich selbst entscheiden. Doch eines sollte man nicht vergessen: Advent ist nur einmal im Jahr. Und vier Wochen sind schnell verflogen. Ein Plädoyer dafür, diese Zeit als kostbares Geschenk anzunehmen und entspannt auf Weihnachten zuzugehen.

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Fabian Brand
Artikel von Fabian Brand
Autor
Fabian Brand hat Katholische Theologie in Würzburg und Jerusalem studiert. Der habilitierte Theologe schreibt Bücher aus dem Bereich Pastoral und Spiritualität und ist regelmäßig mit Vorträgen zu Theologie und Brauchtum im ganzen Land unterwegs.