Mehr Lesekompetenz durch Vorlesen
Etwa ein Viertel der Grundschulkinder kann nach der vierten Klasse nicht sinnerfassend lesen. Auch, weil zu Hause in den Familien zu wenig vorgelesen wird. Vorlesen und Lesen müssen deshalb mehr Raum im Alltag bekommen, fordern die Initiatoren des bundesweiten Vorlesetages. Auch der katholische Büchereifachverband Sankt Michaelsbund unterstützt dieses Anliegen.
Die Zahlen sind alarmierend: 36,5 Prozent der 1- bis 8-Jährigen wird zu Hause selten oder nie vorgelesen. Und etwa ein Viertel der Grundschulkinder kann nach der vierten Klasse nicht den vollen Sinn eines Textes erfassen. Der Befund stammt aus der Studie „Vorlesemonitor 2023“, die von den Initiatoren des Bundesweiten Vorlesetages DIE ZEIT, Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Das hat Folgen, denn Vorlesen zähle zu den wichtigsten Impulsen in der frühen Kindheit, erklärt die Präsidentin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, Claudia Pecher. Durch das Vorlesen „erweitert man den Sprachschatz, entwickelt Vorstellungskraft, und es findet ein wichtiger sozialer Austausch zwischen Eltern und Kind statt“. Auch für Kinder mit Migrationshintergrund sei Vorlesen die beste Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Gerade Bilderbücher seien für die betroffenen Kinder bestens geeignet, denn durch die Kombination von Wörtern und Bildern könnten die Kleinen Zusammenhänge besser verstehen. Pecher begrüßt deshalb Aktionen wie den Bundesweiten Vorlesetag, der sich seit seiner Einführung im Jahr 2004 darum bemüht, dem Thema Lesen und Vorlesen mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft zu verschaffen.
Vorlesen auch Schlüssel zur Integration
Die Literaturwissenschaftlerin ist sich sicher: Kinder, die außerhalb der Familie Vorlesen erleben, würden dies dann auch zu Hause einfordern. Deshalb brauche es zusätzliche Räume zwischen Kita und Schule, in denen Vorlesen stattfindet. Für Pecher, die auch die Landesfachstelle für Bibliotheken des Sankt Michaelsbund in Bayern leitet, sind das vor allem die Büchereien, die als Vorlese-Orte eine entscheidende Stellung einnehmen können. Dort könne man vor allem ein erweitertes Bewusstsein zum Buch herstellen. Außerdem dürfe man die Integrationskraft der Büchereien nicht unterschätzen. „Büchereien sind gute Orte der Begegnung, weil sie alle Kulturen zusammenführen“. Dort würden Mütter in ihrer Sprache vorlesen und gemeinsam mit den Kindern über ihre Kultur nachdenken. „Über das Lesen, Essen und miteinander Sprechen findet man sehr schnell zueinander, und das leistet einen sehr großen Beitrag für die Integration“.
- Ein Märchen empathisch vorlesen, am besten als Tagesabschluss vor dem Zubettgehen
- Ein Bild anschauen und daraus gemeinsam eine spannende Geschichte entwickeln
- Wer wenig Vorbereitungszeit hat: digitale Leseangebote wie zum Beispiel die App „einfach vorlesen!“ nutzen
Der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Karl Straub, unterstützt diesen integrativen Ansatz der rund 1.000 Mitglieds-Büchereien des Sankt Michaelsbund in Bayern. Im Rahmen des jüngsten Bundesweiten Vorlesetag unter dem Motto „Vorlesen schafft Zukunft“ ließ es sich der Abgeordnete des Bayerischen Landtags nicht nehmen, selbst ein Buch in die Hand zu nehmen, um daraus Vorschulkindern in der Buchhandlung Michaelsbund in München vorzulesen. „Im Bereich Integration können wir nicht früh genug mit dem Vorlesen anfangen“, sagte Straub am Rande der Veranstaltung. Sprache sei der Schlüssel für eine gelungene Integration, die man am besten über das Lesen vermitteln könne. Deshalb fördere das Wissenschaftsministerium Büchereien als Orte der Begegnung. Für ihn gelte der Grundsatz: „Alle Kraft da rein“, damit die Mitgliedsbüchereien des Sankt Michaelsbund auch in Zukunft ihrem demokratiefördernden Auftrag nachkommen können.