Tod und Trauer
Feuerbestattung statt Familiengrab
Immer mehr Menschen in Deutschland entscheiden sich für die Feuerbestattung. Fachleute sehen darin einen Wandel in der Bestattungskultur - hin zu mehr Flexibilität und Individualität.
Die Zahl der Feuerbestattungen in Deutschland steigt seit Jahren an. „In Großstädten machen sie wahrscheinlich jetzt schon mehr als 90 Prozent aller Bestattungen aus“, vermutet Kulturwissenschaftler Norbert Fischer, der zu Tod, Trauer und Gedächtniskultur forscht. Der Professor von der Universität Hamburg beobachtet enorme regionale Unterschiede, wie er nun beim Salongespräch Friedhofskultur des Kuratoriums immaterielles Erbe Friedhofskultur e.V. mit Sitz im nordrhein-westfälischen Unna erklärte. „In ländlichen und katholischen Bereichen ist der Anteil an Feuerbestattungen noch niedrig, aber auch hier steigt er an.“
Die Einäscherung sei dabei ein Ausdruck der Mobilität der Gesellschaft. „Das Familiengrab hat als Strukturmerkmal ausgedient“, sagt Fischer. Feuerbestattungen erlaubten flexiblere Beisetzungsformen und -orte. So sind neben Erdbestattungen auf Friedhöfen in Deutschland auch Baum- oder Seebestattungen möglich. Fischer ist überzeugt, dass hierzulande „über kurz oder lang die Asche auch mit nach Hause genommen oder verstreut werden darf“. In einigen Bundesländern ist heute schon das Verstreuen der Asche von Verstorbenen auf so genannten Aschestreuwiesen erlaubt.
Friedhof für HSV-Fans
Die Feuerbestattungen hätten darüber hinaus eine Neugestaltung von Friedhöfen sowie die Abwanderung von Grabstätten zur Folge. Fischer nennt als Beispiel etwa Gemeinschaftsgrabanlagen für bestimmte soziale Gruppen - so gibt es etwa einen HSV-Friedhof für die Fans des Fußballvereins. Weil die Bedeutung familiärer Bindungen zurückgehe, bekämen andere Zugehörigkeiten mehr Gewicht - das drücke sich auch in der Bestattungsform aus. Auch garten- oder parkähnliche Anlagen wie beispielsweise der Garten „Rosenfrieden“ im niedersächsischen Celle gibt es inzwischen vermehrt.
Neben der Flexibilität sieht Fischer auch in der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft einen Grund für den starken Anstieg von Feuerbestattungen. Die katholische Kirche erlaubte ihren Mitgliedern erst ab dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) die Feuerbestattung. Im Vergleich zu einer traditionellen Erdbestattung ist diese in der Regel günstiger. Thies Heinrich, Geschäftsführer von Feuerbestattungen Stade und des Krematorium-Entwicklers CremTec, erklärt, eine stille Seebestattung gehöre mit wenigen hundert Euro zu den günstigsten Bestattungen.
Kaum begleitete Einäscherungen
„Ich denke nicht, dass wir irgendwann nur noch Feuerbestattungen in Deutschland haben werden“, sagt Heinrich und verweist auf muslimische Beisetzungsregeln, die vorsehen, dass der Leichnam des Verstorbenen in der Erde bestattet wird. „Aber mir wird unternehmerisch nicht bang.“ Mit Blick auf die geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969 sei „perspektivisch mit einem größeren Aufkommen von Sterbefällen zu rechnen“.
Kulturwissenschaftler Fischer zufolge ermöglichen immer mehr Krematorien den Angehörigen, die Einäscherung zu begleiten. Laut Kremationstechniker Heinrich kann das begleitete Einfahren in das Feuer „tröstlich“ sein, „analog zum Herablassen des Sargs in das Grab“. Allerdings ist die Begleitung der Einäscherung durch Freunde und Familie offenbar bisher die Ausnahme. Fischer plädiert für mehr Begleitungen. Krematorien hätten bei vielen immer noch etwas Anrüchiges. „Wir sollten diesem Raum das Geheimnisvolle nehmen“, sagt er.
Hannah Schmitz