Traut euch was!
Viele Gläubige sind frustriert – weil Kirchen sich leeren, Gemeinden zusammengelegt werden, Reformen fehlen. Wie können sie Mut schöpfen, neue Mitstreiter finden und Lösungen für ihre Probleme? Der Pastoraltheologe Matthias Sellmann hat da ein paar Ideen.
Gemeinsames Engagement für den Frieden, Experimente wagen, mit Jugendlichen aus dem Stadtteil sprechen: All das können Kirchengemeinden tun. Foto: © kna/Julia Steinbrecht
Was ist Ihr Eindruck: Wie geht es gerade den Gläubigen in den Gemeinden?
Vor allem sind sie verunsichert. Dazu gibt es ja auch einigen Anlass. Denn viele Selbstverständlichkeiten werden erschüttert: In Europa herrscht Krieg, in Deutschland ist die Demokratie in Gefahr und in den USA wird sie vom Präsidenten Donald Trump in hohem Tempo zerstört. Und die Kirche beruhigt die Menschen nicht, sondern verstärkt ihr Verunsicherungsgefühl sogar noch.
Inwiefern?
Zum Beispiel durch die Strukturreformen und Gemeindezusammenlegungen in vielen Bistümern. Oder dadurch, dass die Kirche mittlerweile einfach einen schlechten Ruf hat – und Gläubige sich dafür rechtfertigen müssen, dass sie noch dazugehören. Oder dadurch, dass die Reformerwartungen, die viele Gläubige haben, kaum eingelöst werden.
Viele haben den Eindruck, dass der Reformdialog Synodaler Weg weitgehend im Sande verlaufen ist.
Ich gebe Ihnen recht: Der Synodale Weg hat es nie so richtig geschafft, in den Gemeinden anzukommen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass er wichtig ist. In manchen Diözesen wirkt er jetzt schon, etwa in Rottenburg-Stuttgart, Limburg, Essen oder Osnabrück. Da haben Laiengremien jetzt mehr Mitentscheidungsrechte oder es gibt Segensfeiern für homosexuelle Paare. Natürlich kann man fragen: Brauchte es dafür einen sechsjährigen Prozess? Aber als Beteiligter kann ich Ihnen sagen: Ja, brauchte man. Schon um das Vertrauen zwischen Bischöfen und Laien zu schaffen, das nötig ist, um gemeinsam die nächsten Schritte zu gehen.
An der Basis droht aber die Zeit davonzulaufen. Die Gläubigen sind nicht nur verunsichert, sie werden auch immer weniger.
Das stimmt leider. Sogar die sehr Engagierten bleiben nicht mehr automatisch dabei. Der Missbrauchsskandal hat da Radikales bewirkt, und jetzt kommen die Gemeindezusammenlegungen dazu. Viele verstehen ja sogar, dass die Strukturen sich verändern müssen, aber sie fragen sich eben: Was hält mich hier eigentlich noch?
Wie können die Gläubigen mit dieser schwierigen Situation konstruktiv umgehen?
Ich glaube, wir Katholiken in Deutschland sind zu einem bedeutenden Glaubensschritt eingeladen. Wir sind die Generation, die im Wandel neu entdecken kann und sollte, wie Glaube sich verändert und wie Kirche diesen neuen Glauben unterstützen kann. Deswegen ist es wichtig, dass wir offen sind für Veränderungen. Wir sollten nicht vom Pfarrer oder Bischof erwarten, dass sie alles wieder so richten, wie wir es von früher her kennen.
Matthias Sellmann (59) ist Gründer und Direktor des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (ZAP) an der Ruhr-Universität Bochum. Das ZAP gehört zu den Veranstaltern der „dennoch.weiter“-Konferenz. Foto: © kna/Julia Steinbrecht
Viele würden aber gern das Vertraute bewahren.
Ja, ich weiß, es ist anspruchsvoll, was ich da erwarte – zumal die neue Form der Kirche noch nicht erkennbar ist. Es ist ein bisschen wie bei den Israeliten in der Bibel: Wir haben von einem Gelobten Land gehört, und wir brechen also auf in die Wüste. Vielleicht hilft es, wenn wir uns in Erinnerung rufen: Auch die Israeliten haben ihr Ziel nicht gekannt.
[inne]halten - das Magazin 23/2025
Glauben wir an denselben?
Ein christlicher, ein jüdischer und ein muslimischer Theologe im Gespräch
Lesen Sie im [inne]halten-Magazin unseren Themenschwerpunkt und weitere Geschichten und Berichte aus dem kirchlichen Leben.
Was können engagierte Haupt- und Ehrenamtliche bei Ihrer Konferenz lernen, um die Menschen für diesen Aufbruch ins Ungewisse zu motivieren?
Viele von ihnen erleben in ihrer Gemeinde nicht nur, dass viele Gläubige sich nach der Vergangenheit sehnen. Sondern sie erleben auch noch kirchliche Strukturen, die ihnen eher Steine in den Weg legen, als sie zu fördern. Unsere Konferenz will den Anpackern neuen Mut, neue Motivation und neue Kontakte schenken.
Was machen sie damit, wenn sie wieder nach Hause kommen?
Unser Ziel ist, dass wir gestärkte Menschen nach Hause schicken, die sich trauen, neu Kirche zu sein. Und die aus ihrer Gemeinde heraus neue Allianzen suchen und fragen: Wer in unserem Ort engagiert sich noch fürs Gemeinwohl? Wer hat eine gute Idee, die wir unterstützen könnten? Die Partner können Sport- oder Schützenvereine sein, die Freiwillige Feuerwehr, Sozialarbeiter oder die Polizei, Kulturschaffende oder Kommunen. Christinnen und Christen sollten sich in Netzwerke außerhalb der Kirche einbinden lassen und sich dann sagen: zusammen einfach mal machen!
Die Konferenz „dennoch.weiter“ richtet sich an Anpacker und Macherinnen, Träumer und Visionärinnen, Glaubende und Zweifelnde, haupt- und ehrenamtlich Engagierte in der Kirche. Sie gibt ihnen am 13./14. November in Kassel die Möglichkeit, sich zu vernetzen und neue Ideen zu entwickeln. Weitere Infos unter: www.dennoch-weiter.de.
Und was, wenn ihr Mut dafür nicht reicht?
Dann könnten sie noch einmal an den Vergleich mit den Israeliten denken. In der Bibel steht: Sie haben sich auf den Weg gemacht und stehen am Roten Meer. Da streckt Mose die Hand über das Meer, es teilt sich und sie können trockenen Fußes hindurchgehen. Bei uns in der Kirche heute ist kein Mose in Sicht, der mal eben dieses Meer teilt. Wir müssen zusammen da durch. Unsere Konferenz soll Mut machen, den ersten Schritt ins Rote Meer zu machen und seine Nässe und Tiefe nicht zu fürchten.



