Glaubenswelten
03.04.2025

Welche Gemeinschaft braucht der Glaube?

Für den Freiburger Pastoraltheologen Andreas Feige ist die klassische Gemeinde an ihr Ende gekommen. Stattdessen plädiert er für unterschiedliche Gemeinschaftsformen. Die Pfarrei könne dabei zu einer Plattform werden, die eine Übersicht über die verschiedenen Gemeinschaften bietet.
    

Die Pfarrei kann helfen, kirchliche Gemeinschaften vor Ort zu finden. Die Pfarrei kann helfen, kirchliche Gemeinschaften vor Ort zu finden. Foto: © AdobeStock/Annett Seidler

Bislang ist Kirche vor Ort vor allem als Pfarrgemeinde präsent. Warum ist diese Form aus Ihrer Sicht überholt?

Die Pfarrgemeinde vereint eine Struktur- und eine Sozialform. Als Pfarrei ist sie eine kirchenrechtliche Struktur, die aktuell in vielen Diözesen – vor allem aufgrund des Mangels an Priestern, die Leitung übernehmen können oder möchten – erheblich vergrößert wird. Als Gemeinde ist sie eine Sozialform. Aus meiner Sicht ist nicht die Struktur der Pfarrei, sondern die Gemeinde als lokal fast ausschließlich anzutreffende Sozialform von Kirche an ihr Ende gekommen. Der Grund: Gemeinden leben ähnlich wie Vereine davon, dass ihre Mitglieder sich bewusst integrieren und langfristig engagieren. In einer Gesellschaft, in der ein Großteil der Menschen Arbeit, Beziehungen und Freizeit flexibel, temporär und unverbindlich gestalten, ist die klassische Gemeinde schon länger nicht mehr anschlussfähig. In der flüchtigen Moderne, wie sie der Soziologe Zygmunt Bauman nennt, sind übrigens auch ganz andere Lebensbereiche davon betroffen: Menschen nutzen Streamingdienste statt das lineare Fernsehen, bestellen bei Lieferdiensten statt im Stammrestaurant zu essen, beginnen unverbindlicher Paarbeziehungen und wechseln häufiger den Arbeitgeber. Diese Entwicklung hat sicherlich nicht nur positive Seiten. Doch sie ist die Wirklichkeit, in der wir leben.
    

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Wie könnten Gemeinschaften von Gläubigen in Zukunft aussehen? Gibt es dafür schon Beispiele?

Ich plädiere für einen Mix aus drei Sozialformen, die unterschiedlich starke Bindungen und verschiedene Intensitäten von Gemeinschaft ermöglichen: erstens Gemeinschaften, die regelmäßige und verlässliche Treffen in einer freundschaftlichen Atmosphäre bieten. Zweitens Bündnisse, an denen für einen bestimmten Zeitraum projekt- oder anlassbezogen teilgenommen werden kann. Drittens Kontakte, die intensiv, aber spontan und einmalig sind.

Ein eindrucksvolles Beispiel ist CampusSegen, eine Initiative der Hochschulseelsorge im Bistum Essen. Die Verantwortlichen haben sich bewusst dagegen entschieden, das Konzept der Hochschulgemeinde fortzuführen. Denn gerade zu Studierenden, die häufig den Wohnort wechseln und deren Leben insgesamt sehr dynamisch ist, passt eine Gemeinde, die langfristig Bindung und Aktivität verlangt, nicht. CampusSegen bietet an zwei festen Orten Beratung und Gottesdienst an und ist mit mobilen Projekten temporär an verschiedenen Hochschulstandorten präsent. Damit schafft die Initiative eine Bandbreite zwischen festen und gelegentlichen Anlässen für christliche Gemeinschaft und den Kontakt zur Kirche.


[inne]halten - das Magazin 8/2025

Leid und Freude

Die Osterbotschaft ist kein „Alles wird gut“ auf Knopfdruck, meint Pater Alfons Friedrich. Sie ist eine Einladung: Glaubst du, dass der Tod nicht das letzte Wort hat?
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Lesen Sie im [inne]halten-Magazin unseren Themenschwerpunkt und weitere Geschichten und Berichte aus dem kirchlichen Leben.


Welche Vorteile bieten diese Gemeinschaftsformen gegenüber herkömmlichen Gemeinden?

Verschiedene Sozialformen berücksichtigen unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Zugehörigkeit. Die Diversität ermöglicht es den Menschen auch, je nach Lebensphase und Situation die passende Form von Gemeinschaft zu wählen. Klassische Gemeinden stellen hingegen – etwas überspitzt formuliert – vor die Wahl: Totalidentifikation oder Kontaktlosigkeit. Dazwischen fehlt es an Optionen.

Andreas Feige ist Doktorand am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Universität Freiburg. Andreas Feige ist Doktorand am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Universität Freiburg. Foto: © Tobias Gutmann

Werden solche neuen Formen künftig die Pfarrgemeinden ablösen oder kann es gelingen, sie in diese zu integrieren? Wenn ja, wie?

Meine Hoffnung ist tatsächlich, dass die drei Sozialformtypen die klassische Gemeinde ersetzen. Das Ende der Gemeinde bedeutet jedoch nicht das Ende der Pfarrei. Als kirchenrechtlich flexible Struktur, die nicht zwingend an eine Gemeinde gebunden ist, kann sie zur Plattform werden. Diese bietet eine Übersicht über die verschiedenen Sozialformen und informiert über den Zugang zu ihnen. Wenn ich also beispielsweise an einen neuen Ort ziehe, hilft mir die Pfarrei als Plattform, herauszufinden, welche Gemeinschaften, Bündnisse und Kontakte es gibt und wie ich sie nutzen kann.

Welche Rolle spielen digitale Angebote bei diesem Prozess?

Digitalität ist in zweifacher Hinsicht entscheidend: Sie bildet die Grundlage für die Pfarrei als Plattform, die primär digital zugänglich sein muss. Gleichzeitig können Gemeinschaften, Bündnisse und Kontakte nicht nur in Präsenz, sondern auch digital entstehen und bestehen. Ein inspirierendes Praxisbeispiel dafür ist DA-ZWISCHEN, eine digitale christliche Community, die von einem ökumenischen Team gestaltet wird.


Und welche Bedeutung kommt neuen geistlichen Gemeinschaften zu?


Neue geistliche Gemeinschaften sind ebenso wie die traditionsreichen Orden ein ideales Lernfeld für die Kirche vor Ort. Sie zeigen, dass Spiritualität, Seelsorge und christliche Gemeinschaft auch – ich würde sogar sagen, besser – außerhalb einer klassischen Gemeinde zu finden sind.


Pastoraltheologe Andreas Feige hält auch den Vortrag zur Online-Veranstaltung der Domberg-Akademie Freising "Welche Gemeinschaft braucht der Glaube? Eine inspirierende Suche nach neuen Formen der Verbundenheit". Am Freitag, 11. April von 17.00 bis 20.00 Uhr. Die Kursgebühr beträgt 10 Euro. Anmeldeschluss ist der 09. April. Zur Anmeldung geht es hier.
Karin Hammermaier
Artikel von Karin Hammermaier
Redakteurin
Recherchiert und schreibt Geschichten für [inne]halten.