Glaubenswelten
05.11.2024

Moderne Seelsorge durch Theater

Schon im Mittelalter war das Schauspiel ein beliebtes Medium der Verkündigung. Das Erzbistum München und Freising versucht daran in zeitgemäßer Form anzuknüpfen.

Bühnen-Szene aus Pan und Hook. Bühnen-Szene aus Pan und Hook. Foto: © SMB/Bierl

Seine Bühnenlaufbahn hat als Schaf begonnen. Seitdem er als Dreijähriger im Krippenspiel dabei war, hat Werner Hofmann die Lust am Theater nicht mehr losgelassen. Er hat Stücke und ein Musical für Laiengruppen in Pfarreien geschrieben und inszeniert. Bis heute ist er Teil einer Kabarettgruppe. Zusammen mit zwei Kollegen spießt er bevorzugt die allzu menschlichen Seiten der Kirche auf. Darin kennt er sich aus: Denn der 53-Jährige ist katholischer Religionspädagoge und Gemeindereferent. Seelsorge bedeutet für ihn auch, Theater zu spielen: „Wenn Menschen auf der Bühne stehen, dann spulen sie ja nicht nur einen Text ab, sondern da kommt die eigene und die Seele der Zuschauenden ins Schwingen.“ 

Außerdem bringt das gemeinsame Theaterspielen die unterschiedlichen Generationen zusammen und es ist immer noch, wie es bei Schiller so schön heißt, eine „moralische Anstalt“, die das Publikum fühlen lässt, was es heißt „ein Mensch zu sein“. 


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Wertevermittlung auf der Bühne

Werner Hofmann bringt das mühelos, kurzweilig und ohne erhobenen Zeigefinger zusammen. Etwa wenn er mit seiner Frau Julia ein Stück für die Theatergesellschaft in Bad Endorf schreibt, mit der er zusammenarbeitet. „Hook und Pan“ heißt es. Es geht um Kinder, Jugendliche und Elfen, die sich gegen einen selbstsüchtigen Kapitän behaupten müssen. Käpt’n Hook ist jedenfalls ein wehleidiger und gleichzeitig skrupelloser und brutaler Anführer, der seine denkfaulen Piraten für seine Zwecke benutzt. Wer denkt da nicht an aktuelle Figuren, die zurzeit in der Weltpolitik von sich reden machen. Natürlich geht das Stück gut aus: Die Kinder um Peter Pan lernen, ihre eigenen Meinungsunterschiede auszuhalten, sich trotzdem gegenseitig zu unterstützen und sich klug gegen einen Tyrannen zu behaupten. Das hat für Werner Hofmann mit Seelsorge zu tun: „Natürlich ist in diesem Stück von Jesus nicht die Rede, und trotzdem sind unsere christlichen Werte und unser Menschenbild drin.“ Der Seelsorger und seine Laienschauspieler nehmen dabei ihre 900 Zuschauer, die zu den sechs Vorstellungen gekommen sind, im wahrsten Wortsinn mit. 

Werner Hofmann begrüßt Zuschauer. Werner Hofmann begrüßt Zuschauer. Foto: © SMB/Bierl

Theater als Familienausflug

Denn das Stück spielt nicht in einem geschlossenen Raum, sondern auf einer großen Wiese mit einem dahinterliegenden Wald. Das Publikum lagert auf mitgebrachten Decken, es grüßen die Alpen mit dem Wendelstein und der Kampenwand herüber. Nach etwa einer dreiviertel Stunde brechen Schauspieler und Zuschauer zu einer kleinen Abenteuerwanderung auf: denn der zweite Akt spielt in einer Waldlichtung. Besonders den Kindern macht das großen Spaß und ein neunjähriges Mädchen freut sich „über ein Theater, in dem man nicht still sitzenbleiben muss“. Für die Familien, die gekommen sind, ist die Vorstellung ein kleiner Wochenendausflug und die lustvoll spielende Laientruppe aus Bad Endorf schweißt der Auftritt im ungewohnten Gelände noch mehr zusammen. Jetzt freuen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler schon auf das Heiligenspiel zu Pfingsten, das sie traditionell im Endorfer Theater aufführen.

Einzigartige Tradition

Durch Vorstellungen für ein breites Publikum mit bühnenbegeisterten Männern und Frauen kommt er als Seelsorger „mit Familien und Menschen in Berührung, die Kirche sonst nicht mehr erreicht“, ist Werner Hofmann überzeugt. Die Erzdiözese München und Freising unternimmt mit ihm deshalb ein Experiment. Sie hat eine halbe Stelle für Theaterpastoral im Landkreis Rosenheim geschaffen, in dem der Seelsorger daheim ist. Laienbühnen haben hier eine einzigartige Tradition. Kiefersfelden rühmt sich das älteste Dorftheater Deutschlands zu sein, 1618 erstmals erwähnt. Im benachbarten Flintsbach ist das „Comödispielen“ seit 1675 belegt und in Bad Endorf im Chiemgau werden seit 1790 religiöse Dramen aufgeführt. Nicht umsonst hat der Verband Bayerischer Amateurtheater seinen Sitz in Rosenheim. Zudem hat Werner Hofmann schon erste Verbindungen geknüpft und seine Dienste angeboten.

Liturgie bereichern

„Das beginnt ganz praktisch, wenn eine Truppe einen Jubiläums- oder Jahresgottesdienst feiern möchte, geht weiter mit der Beratung bei Stücken mit religiösem Thema und endet bei der Konfliktmoderation, wenn's Streitigkeiten in einer Schauspielgruppe gibt." Oft genug hat er außerdem erfahren, „dass Theaterspieler mit mir einfach als Seelsorger über die Kirche oder ein persönliches Problem reden wollen“. Er sieht aber noch andere Aufgaben: besonders das Schauspiel in der Liturgie und als spirituelles Erlebnis. Als vor fünf Jahren die Barockkulissen eines sogenannten Heiligen Grabes in Aschau in Chiemgau restauriert und in der Kirche wieder aufgestellt wurden, belebte Werner Hofmann die damit verbundene szenische Tradition. Denn bereits in der Barockzeit führten die Gläubigen in diesen gemalten Kulissen Osterspiele auf. Werner Hofmann schrieb mit seiner Frau dazu ein neues Stück und inszenierte es mit Musik. Solche geistlichen Spiele sind in etlichen Gemeinden überliefert, aber in den vergangenen Jahrzehnten eingeschlafen, weil sie aus der Zeit gefallen wirkten.  

Werner Hofmann will dazu ermutigen, sich an solche religiösen Stoffe wieder heranzutrauen und für das Heute zu übersetzen, „denn die historischen Texte und ihre Aufführungspraxis wirken oft ungewollt komisch“. Daneben will er die ehrenamtlichen Begleiter von Krippenspielen in einen Erfahrungs- und Textaustausch bringen. Gerade hat er dazu einen Workshop durchgeführt. Ein Wunschziel des Theaterseelsorgers ist es, Bibliodrama-Gruppen auszubilden, die auch in Gottesdiensten auftreten. Im Bibliodrama übernehmen die Teilnehmer Rollen aus einem biblischen Text und deuten ihn. „Das kann sehr wirkungsvoll sein und eine Predigt ersetzen.“ Denn das Theater spricht eben Augen und Ohren und kann Menschen im Innersten packen. Das weiß Werner Hofmann seit 50 Jahren, als er ein kleines Schaf im Krippenspiel war.

Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter und Kolumnenautor
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.