Achtsamkeit
13.03.2024


Im Moment

Saxophonist Uwe Steinmetz über die Verbindung von Jazz und Spiritualität

Mit sich ins Reine kommen, spüren, dass da mehr ist als die Ratio, im Moment sein. All das sind Beschreibungen des Wortes „Spiritualität“. Doch mit solchen Vokabeln beschreibt Saxophonist Uwe Steinmetz auch den Moment, wenn er Jazz spielt, frei improvisiert.

Nahaufnahme eines Saxophonspielers, der ein glänzendes Saxophon hält. Im Hintergrund ist eine weitere Person mit einem Blasinstrument zu sehen. Die Szene ist in warmem Licht beleuchtet. Nahaufnahme eines Saxophonspielers, der ein glänzendes Saxophon hält. Im Hintergrund ist eine weitere Person mit einem Blasinstrument zu sehen. Die Szene ist in warmem Licht beleuchtet.

Zur Musik kam der 48-Jährige nicht über ein besonders musikalisches Elternhaus, sondern über die Blasmusik in seinem Heimatort Bremervörde. Das Saxophon hat er der örtlichen Bank zu verdanken: Die sponsorte das Instrument, weil sie junge Musiker fördern und moderne Instrumente einführen wollte. Er spielte im Landes- und Bundesjazzorchester und trat mit 16 Jahren erstmals öffentlich auf, bevor er in Berlin, Bern und Boston Saxophon und Musiktheorie studierte. Regelmäßig steht er mit eigenen Ensembles auf der Bühne.


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Spirituell-musikalische Erfahrungen in Indien

„Natürlich gibt es im Jazz schriftliche Vorlagen“, meint Steinmetz, „aber es geht darum, aufeinander zu hören und gemeinsam zu musizieren“. Als er ein halbes Jahr in Indien studierte und unterrichtete, fiel ihm auf, wie stark die Spiritualität in der indischen Musik verankert ist. Inzwischen erforschte er am Liturgiewissenschaftlichen Institut bei der Universität Leipzig neue sakrale Musik und untersucht, wie Musik eine rituelle Präsenz entfaltet. Vor drei Jahren schrieb er seine Dissertation über spirituelle Elemente im Jazz. Da lag es nahe, nun auch ein Buch über dieses Thema zu schreiben.

Ein halbes Jahr lang überlegte er, wie er es gliedern sollte. Schließlich entschied er sich dafür, anhand von 50 per QR-Code abrufbaren Musikbeispielen aus dem Jazz des 20. und 21. Jahrhunderts aufzuzeigen, welche Elemente des Jazz als globale Musiksprache Schnittstellen zu spirituellen Erfahrungen bilden. „Am schlimmsten war es für mich, nur eine limitierte Anzahl an Klangbeispielen zur Verfügung hatte.“ Er werde sicher viele verärgern, die ihre Lieblingsmusiker vermissen, meint er. Doch das Buch soll eine Anregung sein, das Gelesene auf andere Musiker zu übertragen.

Ausführlich beschäftigt er sich mit dem Werk des Jazztrompeters Louis Armstrong, zum Beispiel mit dem Stück St. James Infirmary:

"Musik und Religion sind organisch verbunden und hatten ihren festen Sitz im Leben für Armstrong, was ihm eine besondere Leichtigkeit verlieh, beide zu verbinden. Dies wird hörbar: In seinen Versionen des alten Englischen Volksliedes St. James Infirmary wird der tiefe Schmerz über den Tod seiner Geliebten, die er in der Leichenhalle des Krankenhauses beweint, zu einem Ringen mit Gott. Zugleich klingt die Auferstehungshoffnung für ihn als Christen an, wenn er am Ende des Liedes vom Schmerz des Verlustes zu fast aufgeräumten und selbstironischen Gedanken über seine eigene Beerdigung gelangt und uns als Hörende durch seine Stimme vom brennenden Schmerz zum Licht des Lebens durch seine Stimme geleitet.“

„Das gemeinsame Hören von Musik erfolgt im Konzert mit einer konkreten Gruppe von Menschen. Für manche Musiker ist jedes Konzert wie ein Gottesdienst“, erzählt Steinmetz. Auch wenn wir nur zuhörten, erlebten wir Musik gemeinsam, führt er aus. „Neurologisch gesehen spielen sich beim Zuhörenden ähnliche Prozesse im Gehirn ab wie beim Musizierenden.“ „Wenn wir ein bekanntes Stück im Konzert hören, haben wir eine Erwartungshaltung. Im Jazz, vor allem in der Improvisation, gibt es immer eine Überraschung. Es ist nicht reproduzierbar.“ Gerade in unserer Zeit, in der wir alles dokumentieren, entstehe so etwas Einmaliges. Der Jazz biete die Chance, den Moment des Hörens mehr zu genießen und sich auf das Unbekannte einzulassen.

Mit Jazz über das eigene Ich hinausgehen

Für Steinmetz selbst bedeutet Spiritualität, „mit alltäglichen Dingen zu ringen.“ In Indien kam er dank Jesuiten zum christlichen Glauben und trat in die evangelische Kirche ein. Zwar verstehe er sich als „Christ in protestantischer Tradition“, aber eine konfessionelle Trennung sei schwierig, wenn es um Musik gehe. Schließlich könne Musik „nur Poesie addieren“. Für ihn muss Musik „immer mit der Ewigkeit spielen und mit einer Symmetrie arbeiten, die gebrochen wird“.

In seinen eigenen Kompositionen vermischen sich Jazz- mit klassischen Elementen. In seinem Oratorium für Solostimme und Jazzensemble arbeitet er mit mantraähnlichen Formen, zum Beispiel Ostinati. Das sind Themen, die sich immer wieder wiederholen. „Das erzeugt eine Ritualität und wird als spirituell erlebt.“ Wenn der Text hinzukommt, wird es fokussiert, aber auch verengter und eröffnet religiöse Deutungen.

Transzendenz bedeutet für den Familienvater, das Selbst zu überwinden und in einen Ritualraum einzutreten. „Dann spüre ich: Es gibt mehr als das, was ich als Mensch genau fassen kann.“ Diese Erfahrung könne das eigene Handeln verändern. Auch das Gebet hat für ihn eine verändere Kraft, die er sich ebenso von den Musizierenden erhofft. Das will er mit den von ihm ausgewählten Hörbeispielen in seinem Buch vermitteln. Das Buch „Jazz und Spiritualität“ von Uwe Steinmetz ist im Claudius Verlag erschienen, kostet 20 Euro und ist hier bestellbar.

Steinmetz, Uwe Jazz und Spiritualität
Claudius Verlag GmbH, 2023
20,00 €
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Maximilian Lemli
Artikel von Maximilian Lemli
Redakteur
Im Magazin „Innehalten“ zuständig für soziale und musikalische Themen.