Achtsamkeit
18.01.2025


Kolumne

Die kurze Zündschnur im Gottesdienst

Menschen, die beten, sind verletzlich. Alois Bierl findet die Handy-Filmerei im Gottesdienst deshalb unerträglich und bereut es nicht, wenn er sich darüber aufregt.

Der oder die hat „eine kurze Zündschnur“. Das ist eine neue Redewendung, die ich in letzter Zeit oft höre oder lese. Und ich weiß sehr gut, was das bedeutet, wenn Ärger und Wut den Hormonhaushalt durcheinanderwirbeln. Passiert mir in jüngster Zeit häufiger. Denn auch ich habe eine solche Zündschnur, oder gleich mehrere, die mich in Sekundenschnelle wenigstens zum leisen Explodieren bringen.

Besonders kurz ist sie, wenn Nachbarn in der Kirchenbank ihr schlaues Telefon zücken, das alles kann, außer seinen Besitzer und dessen Umgebung in Ruhe zu lassen. Genauso geschah es am 24. Dezember des vergangenen Jahres, in einer Christmette am frühen Abend, die besser zu meinem Biorhythmus passt als die Feiern spät in der Nacht. Gut, ich hätte damit rechnen müssen: die Kirche ist bei Touristen beliebt, denen die Zeit vor dem Weihnachtsmenü, das sie im Hotel serviert bekommen, schon einmal lang werden kann.


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Gefummel auf den Minibildschirmen

Als dann aber zwei asiatisch aussehende Frauen gleich beim Einzug des Priesters und der Ministrantenschar ihr Handy in die Höhe recken und kurz daraufhin ein spanisch sprechendes Paar, selig lächelnd und dauerflüsternd ihre Videoaufnahme startet, da hat ein Funke meine Zündschnur getroffen, und die beginnt auch schnell zu lodern. Ich bin eingekeilt zwischen zwei netten Urlaubserlebnissen. Für mich ist das aber ein Gottesdienst und keine gefühlige Party, die auf Instagram, Tiktok oder sonst wo möglichst schnell mitgeteilt werden muss.

Immerhin, ich gebe mir Mühe den brennenden Funken auszutreten und vor mir Rechenschaft abzulegen. Lauert da in meinem Innern vielleicht ein fromm getarnter Rassist, dem Menschen aus anderen Kulturkreisen sowieso unangenehm sind, oder ein Zwangsneurotiker, der es nicht aushält, wenn andere seine Ordnungsvorstellungen ignorieren? Oder erwacht in mir schlicht eine bösartige Natur, die anderen Leuten ihr harmloses Vergnügen missgönnt? Wenn es tatsächlich eine dieser drei inneren Stimmen sein sollte, in einer Kirche gewinnt sie fast immer.

Giftig der eine, mürrisch die anderen

Giftig und streng mahne ich meine Nachbarn, das Filmen doch bitte zu unterlassen, denn schließlich befänden wir uns hier in einem „sacred act“, einer heiligen Handlung, vielleicht sei ihnen das ja nicht bewusst. Die asiatische Höflichkeit zieht mürrisch zurück, die spanische ignoriert den Protest. Aber ich bin nicht allein, eine amerikanische Touristin stört das Gefummel auf den Minibildschirmen ebenfalls, und sie zischt dem Paar wiederholt ein energisches „it's enough now“ zu. Und sprachgewandt unterstreicht sie dieses „genug jetzt“ auch noch auf Spanisch: „Ya es suficiente”. Ich deute ein zustimmendes Klatschen mit den Händen an.

Verdorbener Abend

Wie gut das tut, nicht allein zu sein, auch wenn die beiden nicht sofort kapitulieren, sondern erst zum Gloria. Da zwängen sie sich aus der Bank, mit gemurmelten Bemerkungen und feindseligen Blicken auf mich und die amerikanische Touristin. Die erwidern wir natürlich und machen unsere Verachtung mit den Augen deutlich. Nicht schön. Meine beiden asiatischen Nachbarinnen halten bis zum Kommuniongang durch, von dem sie aber verstohlen doch noch eine Videoaufnahme machen. Aber da bin ich schon zu weihnachtlicher Friedfertigkeit und Duldsamkeit bereit, die Zündschnur ist abgebrannt.

Etwas verdorben ist dieser Heilige Abend trotzdem, ich fühle mich schlecht bei dem Gedanken vielleicht kleinlich zu sein, anderen einen schönen Moment verdorben zu haben. Und trotzdem glaube ich mich im Recht, dass mein leiser, “heiliger” Zorn ausgebrochen ist. Warum stoße ich mich an solchen Videoaufnahmen? Vielleicht, weil ich spüre, dass ein Mensch, der betet, ein verletzlicher Mensch ist, der in eine seelische Spannung, einen zutiefst intimen Moment versinken möchte, die leicht zu stören oder gar zu zerstören sind.

Spiritualität braucht Schutz

Spiritualität braucht einen geschützten Raum, in dem die alltäglichen Gewohnheiten und Zerstreuungen vor der Tür bleiben, in dem eigene Regeln gelten müssen, damit dieser Raum etwas anderes sein kann als eine Sehenswürdigkeit. Ich jedenfalls kann den Moslem gut verstehen, der vor vielen Jahren einen Freund von mir aus einer marokkanischen Moschee geworfen hat, weil er dort mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt zur Gebetszeit herumschlenderte, und mich gleich mit, obwohl ich eine lange Hose und sogar ein bis zum Hals zugeknöpfes Hemd trug.

Ich glaube, religiöse Menschen haben ein Recht, dass andere die Würde ihrer Gottesienste und Gebete respektieren, selbst wenn sie ihnen fremd sind und die Videokamera ausgeschaltet bleiben muss, auch wenn´s schwerfällt. Vielleicht muss ich meine Zündschnur etwas verlängern, geduldiger und freundlicher um diesen Respekt bitten. Sie zu kappen, bin ich aber nicht bereit, selbst wenn es hinterher kein gutes Gefühl sein sollte, dass sich die Lunte entzündet und eine leise Explosion ausgelöst hat. So ein kleiner Knall kann ja auch das Gegenüber zum Nachdenken anregen, wenn der erste Ärger verraucht ist.

Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter und Kolumnenautor
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.