Beziehung
09.05.2024

Vatertag

Zwei schwierige Väter und ein Gebet

Die Kinderbuch-Autoren Paul Maar und Erhard Dietl erzählen über ihre Kindheit und das Vaterunser.

v.l.: Erhard Dietl, Paul Maar. v.l.: Erhard Dietl, Paul Maar. Foto: © SMB

Die Zuhörerinnen und Zuhörer in der Buchhandlung Michaelsbund stöhnen auf und leiden mit, als Paul Maar eine Kindheitserinnerung aus seinem Roman „Wie alles kam“ vorliest: Sein Vater gibt ihm Bescheid, wann er sich wegen eines eher harmlosen Vergehens im Keller einzufinden habe, und wie der Bub schon einmal das Stück alten Gartenschlauch zurechtlegen soll, mit dem er dann verdroschen wird. Der 85-jährige Autor schildert den brennenden Schmerz, sein Schreien und den kühl die Schläge verabreichenden Vater, als wäre es gestern gewesen.

Auch Erhard Dietl liest an diesem Abend im Michaelsbund: „Ein Vater wie meiner“ lautet der Titel seines Buches. „In ihm war kein Platz für uns“, heißt es darin. Dietl schildert das Desinteresse seines Vaters an der eigenen Familie, das gelegentlich in elementare Gewaltausbrüche umschlagen konnte. Er zeichnet das Bild eines Mannes, der seine Frau betrügt, sich einbildet, ein Künstler zu sein, viel zu viel trinkt und sich seiner Nähe zu Franz Josef Strauß rühmt. Seinen Sohn zwingt er, ihm das Geld zu „leihen“, das sich der für eine Gitarre zusammengespart hat. 

Problem-Papas und religiöses Milieu

Der Vater ist immer klamm, hat Schulden, die er am liebsten nicht zurückzahlt, dem eigenen Sprössling schon gar nicht. Der junge Erhard weiß das genau, als er die paar hundert Mark seinem Erzeuger in die Hand drückt. Paul Maar und Erhard Dietl: die beiden erfolgreichen Kinderbuchautoren sind nicht nur mit Problem-Papas aufgewachsen, sondern auch in einem religiösen Milieu. Häufiger Kirchgang und Gebet gehörten dazu, weil das alle so machten, auch wenn die Kinder sich dabei langweilten und es meistens als lästige Pflicht begriffen.

Darüber zu reden, ist vor der Lesung noch Zeit. Vor allem, wie solche Erlebnisse auf ein Gebet wie das Vaterunser zurückwirken. Haben die beiden das noch unbefangen sprechen können? Ist es ihnen bis heute verleidet? Wenn der göttliche Vater im Himmel vielleicht so ist wie der eigene Vater auf Erden, dann braucht man so jemanden nicht zweimal. Paul Maar ist erstaunt über die Frage. „Ich habe mir Gott nie wie meinen Vater, sondern eher wie meinen Großvater vorgestellt“. So ähnlich kannte er Gott auf Bildern: „Wie bei Michelangelo oder bei mittelalterlichen Malern, mit langen Haaren und weißem Bart, und da sieht er eher aus wie ein Opa“. Als Kind habe er das Vaterunser eher „heruntergeleiert“. Trotzdem fühlte er sich bei der Vorstellung wohl, wie das Gebet zu „Vater Gott nach oben steigt, der über den Wolken wohnt, und dort landet“. Das ist lange her. Paul Maar hat sich „von meinem Glauben und von der Kirche etwas entfernt“.  

Den Vater verstehen und ihm vergeben

Ähnlich ist es bei Erhard Dietl, der in einer durch und durch katholischen Welt in Regensburg groß geworden ist. Die Frage, ob seine Erlebnisse sein kindliches Beten beeinflusst haben, findet er „interessant, denn der Gedanke ist mir noch nie gekommen“. Wahrscheinlich habe er „als Kind beim Vaterunser automatisch an unseren leiblichen Vater gedacht und überlegt, warum ist der so, wie er ist“. Dabei versuchten seine Schwester, seine Mutter und er selbst, das rätselhafte und unzugängliche Familienoberhaupt zu verteidigen: „Als Kind versuchst du den zu verstehen und letztendlich auch zu verzeihen, und möglicherweise hat das Gebet das unterstützt.“ Besonders die mittlere Zeile des Vaterunsers „…wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ treibt Erhard Dietl noch heute um: „Das Vergeben hat sich mir eingeprägt, das ist eigentlich bis heute so, dass ich den anderen verstehen will.“

Und wie Paul Maar hat auch Erhard Dietl die ersten Worte des Gebets nicht am eigenen Vater gemessen: „So einfach waren wir jetzt nicht gestrickt, dass wir das eins zu eins übernommen und den Vater unser im Himmel mit dem eigenen gleichgesetzt hätten“. Der heute 70-jährige wunderte sich eher darüber, dass sein Vater selbst gut christlich gebetet hat. Es hat ihn „verwirrt, weil es bei ihm nicht so geholfen und gewirkt hat“. Und der Autor der Olchi-Bücher lacht laut, als er an seine kindliche Erklärung dafür erinnert: „Ich habe mir gedacht, der betet vielleicht nicht andächtig genug oder er hat es nicht verstanden“. 

Vaterunser als Konzentrationsübung

Erhard Dietl selbst spricht das Vaterunser fast gar nicht mehr. Er hofft aber, dass es auf ihn „abgefärbt“ hat, gerade wenn es um die Vergebung von eigener und fremder Schuld, um die Güte in diesem Gebet geht. Auch bei Paul Maar ist das zu spüren, der sich innerlich mit seinem schwierigen Vater nach dessen Tod arrangiert hat. Der sich sogar an einen Vater erinnert, „der liebevoll und mir zugewandt war, als ich zwei oder drei Jahre alt war“. Der danach als Soldat eingezogen wurde und verstört aus dem Krieg zurückkam. Das Vaterunser betet er manchmal immer noch, ohne genau zu wissen warum: „In bestimmten Momenten, vielleicht um mich zu konzentrieren, um zu meiner Mitte zu finden, spreche ich leise ein Vaterunser“. Da fühlt er sich „behütet“, sagt Paul Maar, schaut eine Weile vor sich hin und ist vielleicht in diesem Moment bei seinem Vater, der ihn als kleines Kind zärtlich streichelt und nicht bei dem, der ihn ein paar Jahre später mit dem Gartenschlauch verprügelt. 

Dietl, Erhard Ein Vater wie meiner
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Maar, Paul Wie alles kam
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Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.