Ruhen, bevor es zu spät ist
Viele Menschen machen erst dann Pause, wenn ihr Körper signalisiert: Stopp! Doch was würde passieren, wenn wir freiwillig ruhen?
„Warum Ruhe unsere Rettung ist“ heißt ein Bestseller von Tomas Sjödin. Ines Schaberger hat den Autor in seiner Heimat Schweden besucht, als er nach einer Rückenoperation krankgeschrieben war. Äußere Umstände hatten ihn zu einer längeren Pause gezwungen. Er verbrachte viel Zeit liegend auf seiner Küchenbank, sitzend in seinem Garten, dem er beim Aufblühen zusehen konnte, und gehend bei Spaziergängen durch den Wald. Dabei wirkte er weder genervt noch gelangweilt, sondern so, als könne er das langsame Lebenstempo gut annehmen. Er habe erfahren, dass sich die Welt auch ohne ihn weiterdrehe – wieder einmal, erzählt er. Aufgewachsen war Tomas Sjödin mit einem Vater, der seine eigene Zeit wie die der anderen schätzte und nie etwas hektisch erledigte. So lernte er eigenen Angaben zufolge schon als Kind, was es bedeutet, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. In seiner Herkunftsfamilie erlebte er auch, wie schön ein wöchentlicher Ruhetag sein kann – mit Zeit für Gesprächen, gemeinsamen Ausflügen und Abendessen.
„Ruhe muss man sich nicht verdienen. Sie ist auch keine Belohnung nach getaner Arbeit, sondern eine Lebensaufgabe.“
In seinem Buch „Warum Ruhe unsere Rettung ist“ plädiert Sjödin dafür, die Ruhe an die erste Stelle zu setzen. Ihr die oberste Priorität zu geben – anstelle erst dann zu ruhen, wenn man ausgebrannt ist und nicht mehr kann.
Wer ruht, ist schöpferisch tätig
Dazu verweist er auf den Schöpfungsmythos im Buch Genesis: In dieser Erzählung erschafft Gott die Welt in sechs Tagen und vollendet die Schöpfung am siebten Tag mit der Ruhe. Gemäß jüdischer Lehre schuf Gott am siebten Tag menuah – übersetzt: Gelassenheit, Klarheit, Friede oder eben Ruhe. In diesem Sinne bedeutet Ruhe nicht Rückzug, sondern ist ein Schöpfungswerk und ein aktives Geschehen.
Auf der Suche nach der Ruhe reiste Sjödin nach Israel und erlebte mit, wie orthodoxe Juden den Sabbat, ihren Ruhetag, einhalten. Er lernte, dass es beim Sabbat vor allem darum gehe, dass er sich von den anderen sechs Tagen unterscheide und dabei das Lebenstempo verlangsamt werde. Was genau am Ruhetag passiert und an welchem Wochentag dieser stattfindet, ist laut Tomas Sjödin nicht so wichtig. Hauptsache, es gibt regelmäßig diese Zeit des Ruhens! Für ihn sieht das so aus: Er tut nichts, was er muss, sondern nur das, was er will. Er verzichtet auf sein Smartphone, geht stattdessen in die Natur und tauscht sich mit Freunden oder Familienmitgliedern bei einem Abendessen aus.
Wer ruht, wächst innerlich
Doch nicht nur wöchentlich, sondern auch täglich gelte es zu ruhen. Davon ist Tomas Sjödin überzeugt und wirbt für kleine Auszeiten wie den Mittagsschlaf. Im Ruhen passiere nämlich viel. „Ich habe schon erlebt, dass ich über einem Problem eingeschlafen und mit einer Lösung aufgewacht bin“, schreibt er. Eine besondere Bedeutung kommt deshalb seiner Küchenbank als Ruheplatz zu – eine freundliche Ecke mit blau-weißen Kissen, einer weiß gestrichenen Holzvertäfelung und einem Fenster mit Blick ins Grüne.
Wie Kinder im Schlaf wachsen und die Muskeln Erwachsener sich in den Trainingspausen und nicht während des Sports entwickeln, so gelte Ähnliches für den Geist: Auch Geist und Seele müssen regelmäßig zur Ruhe kommen, um reifen zu können. Mit einem Bild aus der Natur beschreibt Sjödin, was passiert, wenn er ruht:
„Ich glaube, dass die Seele ihr eigenes Wurzelwerk hat und dass es manchmal ruhig um einen werden muss, damit die Wurzelstränge eine Chance bekommen, in die Tiefe zu wachsen, bis dorthin, wo die stillen Quellen sind.“
Wenn er dies nicht begreife, sondern weiter durch sein Leben haste, dann scheine das Leben selbst einzugreifen, indem sein Energiefluss versiege und seine Kraft vertrockne. Tage, an denen er scheinbar äußerlich nichts weiterbringe, betrachte er also als Wachstumsphasen seiner Seele.
Wer ruht, behält die Freude
Wer mag schon putzen, Rasenmähen oder Rechnungen bezahlen – vor allem, wenn die Liste der Aufgaben nie kürzer wird und Zeit ein Luxusgut zu sein scheint?! Für Tomas Sjödin sind selbst diese lästige Tätigkeiten erfreulich, wenn man sich die Zeit dafür nimmt. „Aber nichts, absolut nichts, macht Spaß oder ist auch nur erträglich, wenn die Zeit dafür fehlt“, schreibt er.
Als tägliche Übung im Ruhen schlägt er vor, aus dem „Ich habe keine Zeit“-Modus auszusteigen und sich stattdessen bewusst Zeit zu nehmen: sei es für eine Begegnung oder eine Alltagstätigkeit. An der Zeit, die man für scheinbare Nebensächlichkeiten hat, merkt man laut Sjödin schnell, in welchem Tempo man durchs Leben rast – oder eben ruhig unterwegs ist.
Wer ruht, findet die eigene Berufung
Im Gespräch mit der schwedischen Ordensfrau Sofie Hamring fand Sjödin heraus, dass, wer ruhe, seiner Berufung auf die Spur komme. Die Dominikanerin Hamring war ausgebrannt und entkräftet zu einer Auszeit ins Ausland aufgebrochen. Während andere auf Sightseeing waren, lag sie scheinbar faul im Bett. Doch dann begann sie zu schreiben – und entdeckte, dass ihr dies besondere Freude macht und auf Anklang stößt. Im durchgetakteten Kloster-Alltag hatte sie jedoch gedacht, keine Zeit für das Schreiben zu haben. Mittlerweile ist sie Autorin mehrerer Bücher. Die Auszeit war wichtig, um ihrer Berufung auf die Spur zu kommen.
Als junger Mann führte Sjödin ein hektisches Leben, bis zwei seiner drei Söhne mit einer angeborenen und fortschreitenden Hirnerkrankung geboren wurden. Ihre Pflege brachten einen ganz anderen Lebensrhythmus für ihn und seine Frau Lotta und katapultierte sie aus der Geschäftigkeit ihres Alltags. „Leben kommt, wie es kommt“, sagt er im Gespräch mit Ines Schaberger. Und betont mit Nachdruck: „Du kannst es erträumen oder darüber nachdenken, aber in gewisser Weise muss man es einfach leben und das Beste daraus machen.“ Vielleicht ist es Tomas Sjödin auch aufgrund seiner Familiengeschichte mit den beiden kranken Söhnen so wichtig , dass Menschen nichts leisten müssen, um als wertvoll erachtet zu werden. „Ich will in einer kleinen Blume nicht nur ihr Potenzial sehen, sondern das, was sie jetzt schon ist“, sagt er im Gespräch.
Wer ruht, der liebt
In der Begleitung seiner Söhne habe er gelernt, wie wichtig es ist, immer wieder auch „von dem zu ruhen, was man liebt, und dieses Ruhen als Ausdruck derselben Liebe verstehen, die uns die Kraft gibt, an allen anderen Tagen da zu sein“. Dies schreibt er in seinem Buch. Und über einen der dunkelsten Tage seines Lebens: Sein Sohn Karl-Petter erlitt mit 15 Jahren ausgerechnet dann einen Herzstillstand und starb in der Kurzzeitpflege in Schweden, als Sjödin mit seiner Frau und den anderen beiden Söhnen in den Ferien in Italien war. „Bei aller Trauer“ wagt Sjödin heute darüber zu schreiben: „Ruhen heißt, Verantwortung zu übernehmen“.
Alle Menschen, die einen schwer kranken Lebensgefährten pflegen, die Kinder großziehen oder zu Eltern ihrer eigenen Eltern werden, ermutigt er, immer wieder nach Möglichkeit davon zu ruhen. Denn ruhe man nicht, so könne es leicht passieren, „dass man schwindende Kraft mit schwindender Liebe verwechselt“. Wer ruht, der liebt also – sich selbst und die Menschen, die ihm anvertraut sind.

Wer ruht, findet die eigene Berufung
Im Gespräch mit der schwedischen Ordensfrau Sofie Hamring fand Sjödin heraus, dass, wer ruhe, seiner Berufung auf die Spur komme. Die Dominikanerin Hamring war ausgebrannt und entkräftet zu einer Auszeit ins Ausland aufgebrochen. Während andere auf Sightseeing waren, lag sie scheinbar faul im Bett. Doch dann begann sie zu schreiben – und entdeckte, dass ihr dies besondere Freude macht und auf Anklang stößt. Im durchgetakteten Kloster-Alltag hatte sie jedoch gedacht, keine Zeit für das Schreiben zu haben. Mittlerweile ist sie Autorin mehrerer Bücher. Die Auszeit war wichtig, um ihrer Berufung auf die Spur zu kommen.
Als junger Mann führte Sjödin ein hektisches Leben, bis zwei seiner drei Söhne mit einer angeborenen und fortschreitenden Hirnerkrankung geboren wurden. Ihre Pflege brachten einen ganz anderen Lebensrhythmus für ihn und seine Frau Lotta und katapultierte sie aus der Geschäftigkeit ihres Alltags. „Leben kommt, wie es kommt“, sagt er im Gespräch mit Ines Schaberger. Und betont mit Nachdruck: „Du kannst es erträumen oder darüber nachdenken, aber in gewisser Weise muss man es einfach leben und das Beste daraus machen.“ Vielleicht ist es Tomas Sjödin auch aufgrund seiner Familiengeschichte mit den beiden kranken Söhnen so wichtig , dass Menschen nichts leisten müssen, um als wertvoll erachtet zu werden. „Ich will in einer kleinen Blume nicht nur ihr Potenzial sehen, sondern das, was sie jetzt schon ist“, sagt er im Gespräch.
Wer ruht, der liebt
In der Begleitung seiner Söhne habe er gelernt, wie wichtig es ist, immer wieder auch „von dem zu ruhen, was man liebt, und dieses Ruhen als Ausdruck derselben Liebe verstehen, die uns die Kraft gibt, an allen anderen Tagen da zu sein“. Dies schreibt er in seinem Buch. Und über einen der dunkelsten Tage seines Lebens: Sein Sohn Karl-Petter erlitt mit 15 Jahren ausgerechnet dann einen Herzstillstand und starb in der Kurzzeitpflege in Schweden, als Sjödin mit seiner Frau und den anderen beiden Söhnen in den Ferien in Italien war. „Bei aller Trauer“ wagt Sjödin heute darüber zu schreiben: „Ruhen heißt, Verantwortung zu übernehmen“.
Alle Menschen, die einen schwer kranken Lebensgefährten pflegen, die Kinder großziehen oder zu Eltern ihrer eigenen Eltern werden, ermutigt er, immer wieder nach Möglichkeit davon zu ruhen. Denn ruhe man nicht, so könne es leicht passieren, „dass man schwindende Kraft mit schwindender Liebe verwechselt“. Wer ruht, der liebt also – sich selbst und die Menschen, die ihm anvertraut sind.
Fazit: Was passiert, wenn Menschen ruhen
Die Lektüre von „Warum Ruhe unsere Rettung ist“ sowie das Gespräch mit Tomas Sjödin zeigen, was passiert, wenn Menschen aus ihrem Hamsterrad aussteigen und anfangen zu ruhen, bevor es zu spät ist:
- Sie machen die befreiende Erfahrung, dass sich die Welt auch ohne sie weiterdreht.
- Ihre Seele wächst in die Tiefe. Sie haben Zeit, ihrer Berufung nachzuspüren.
- Sie übernehmen Verantwortung.
- Sie behalten ihre Freude und ihre Liebe.
Regelmäßig zu ruhen hat nichts mit Faulsein oder Langeweile zu tun. Wer ruht, ist nicht schwach, sondern zeigt innere Stärke. Ruhe steht auch nicht am Ende, wenn man nicht mehr kann und zu einer Pause gezwungen wird – sondern Ruhe ist laut Tomas Sjödin der „Anfang von allem“.