Kolumne
Über das Wetter
Ist es noch unverfänglich, über das Wetter zu sprechen? Was bis heute in Smalltalk-Ratgebern empfohlen wird, muss einer Revision unterzogen werde. Eine Kolumne von Frank Berzbach.
Neulich las ich in einem Smalltalk-Ratgeber, man solle über unverfängliche Themen sprechen – zum Beispiel über das Wetter. Andere sollte man in beruflichen Situationen, aber auch bei privaten formelleren Treffen eher vermeiden: Politik, Einkommen und Religion. Ich fordere eine Revision! Vieles ändert sich, die Schöpfung ist ein nicht enden wollender Prozess. Gerade dem Wetter bin ich so sehr ausgeliefert, dass ich gern darüber reden möchte. Es tangiert mich, ist im Winter in meiner ungeheizten Kirche spürbar, und der graue Himmel kann die Stimmung drücken.
Wetter umgibt und prägt uns
Die Temperatur und das Licht, Sturm und Hagel, Hitze und Frost, mildes Lüftchen oder Regen – dem Wetter kann ich nicht entfliehen. Es beeinflusst meine Kleiderwahl, die Ernährung und das Heizen der Wohnung. Es betrifft auch meine Gesundheit. Neulich war ich bei meiner Ärztin, weil mein Husten seit Wochen nicht verschwand. Sie erklärt mir, es sei eine allergische Reaktion, etwas schönfärberisch „Heuschnupfen“ genannt; der kann ebenso zur Lungenentzündung führen wie eine Bronchitis. Ihr Wartezimmer sei voll von hustenden Patienten, die Allergien nähmen durch den Klimawandel stark zu. Die Phasen der „Frühblüher“ und des Gräserpollenflugs schöben sich ineinander. Überhaupt sollte auffallen, dass Starkregen und große Trockenheit, Schnee und 28 Grad im April und stark erhöhte Durchschnittstemperaturen etwas mehr sind als nur herkömmliche Wetterkapriolen.
Gläubige Menschen betrifft das alles nicht nur auf einer praktischen Ebene.
Flora und Fauna sind Teil einer Schöpfung, die der Mensch in den letzten hundert Jahren immer mehr zerstört hat. Das Wetter ist auch ein Ausdruck des Umgangs mit der Natur; das Beten allein wird nicht helfen. Die Erderwärmung ist keine Strafe Gottes, sondern vor allem das Resultat verantwortungslosen Wachstumsstrebens. Daher will ich über das Wetter reden – in durchaus verfänglicher Weise! Als Christ fühle ich mich dazu aufgefordert.
Auswirkungen werden im Alltag sichtbar
Parteien, die den Klimawandel leugnen und die Naturwissenschaft ignorieren, bekommen leider mehr Zulauf. Dabei muss man kein Klimaforscher sein, um die Auswirkungen konkret zu bemerken. Wenn ich im Sommer mit dem Rad übers Land fahre, fallen mir die enorm trockenen Böden auf.
Extreme Wetterzustände nehmen in Europa zu, Temperaturen im Sommer von über 40 Grad Celsius waren vor dreißig Jahren in Deutschland undenkbar. Die Gefährdung wahrzunehmen, sollte zum Nachdenken über das eigene Konsumverhalten führen. Der Fleischkonsum bringt viele Umweltprobleme mit sich, die Massentierhaltung ist für eine ganze Reihe an Epidemien und Krankheiten verantwortlich.
Abgesehen davon sind die alten Worte von Albert Schweizer weiterhin gültig, der aus christlich-ethischer Perspektive die „Ehrfurcht vor der Kreatur“ forderte. Zu seinen christlich-ethischen Argumenten kommen heute ökologische hinzu.
Wetter beeinflusst Wohlbefinden und Mentalität
Der Rockmusiker Nick Cave wuchs in Australien auf, lebt aber seit den 1990er-Jahren in Brighton/England. Die am Meer gelegene englische Kleinstadt ist dem ganzen Spiel wechselnder Wetterverhältnisse ausgesetzt, wie sie für diese geographische Lage typisch sind. Seine Antwort darauf: Er führt ein Wettertagebuch, um sich auch poetisch mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Wetter ist mehr als Smalltalk und Naturwissenschaft. Auch auf die Mentalität, Alltagskultur und auf unsere Gestimmtheit hat das Klima einen direkten Einfluss.
Auch ich schreibe dazu immer mehr in mein Tagebuch: Ich fuhr schon bei 13 Grad im Regen in Hamburg los und kam wenig später bei 28 Grad in Karlsruhe an. Während der hohe Norden den Wind und die Kälte kennt, erinnert der Sommer in München manchen an Italien. Wie könnte ein so vielfältiges Phänomen ein nur oberflächliches Thema sein? Es ist ein tiefes, heute existenzielles Thema – wir müssen darüber intensiver sprechen.
Wir erleben über das Wetter die Schöpfung am eigenen Leib. Es gilt, sie zu erhalten.