Schmerzen mit bedingungsloser Liebe behandeln
Eine tiefe Leiderfahrung brachte Uta Kronshage dazu, als Psychotherapeutin mit Schmerzpatienten zu arbeiten. In ihrem neuen Buch beschreibt sie ihren Behandlungsansatz, bei dem sich Psychotherapie und Theologie miteinander vermischen.

Als sie zwölf Jahre alt war, wurde bei Uta Kronshage ein Tumor am Rückenmark diagnostiziert. In der zweiten Nacht nach der schwierigen Operation bekam sie plötzlich starke Schmerzen, doch das Pflegepersonal gab ihr keine Medikamente mehr dagegen, da sie schon einiges bekommen hatte. In dieser Leiderfahrung erlebte sie plötzlich tiefsten Frieden: „Ich hatte das Gefühl, keine Angst haben zu müssen“, erzählt die heute 59-Jährige.
Rückblickend bezeichnet Kronshage diese Begebenheit als Gotteserfahrung, auch wenn sie das damals nie so genannt hätte. Zwar war sie protestantisch getauft, doch der Glaube spielte in ihrem Elternhaus keine große Rolle. Sie selbst fand Kirche lange „nicht inspirierend“. Die strafandrohende Predigt eines Pfarrers bei einer Konfirmation brachte dann „das Fass zum Überlaufen“, wie sie es nennt: „Mit diesem strafenden Gott wollte ich nichts zu tun haben!“ Deshalb trat sie mit 25 Jahren aus der evangelischen Kirche aus. Dank positiver Erfahrungen mit anderen Pfarrerinnen und Pfarrern konnte sie sich dem Glauben jedoch langsam wieder annähern, sodass sie mit 52 Jahren wieder in die Kirche eintrat.
Heilung bedeutet inneren Frieden
Nach ihrer Zeit im Krankenhaus hatte sie sich lange mit dem Gedanken getragen, Medizin zu studieren, doch dann wollte sie lieber erfahren, „wie der Mensch mit Leid umgeht“. Also wurde sie Psychotherapeutin und behandelt bis heute vor allem Patienten mit chronischen Schmerzen. Dabei verfolgt sie einen ungewöhnlichen Ansatz, den sie in ihrem Buch „Vom Gott der Angst zum Gott der Liebe. Wie uns ein positives Gottesbild stärkt“ beschreibt: Sie blickt mit ihren Patienten darauf, welche Beziehung sie zur höchsten Macht haben, und wo sie sich getragen fühlen, um so ihre Heilung zu fördern. Heilung versteht Kronshage jedoch nicht so, dass die Patienten von allen Schmerzen befreit sind. Das sei meist nicht realistisch. Vielmehr gehe es darum, Frieden mit dem eigenen Schicksal zu machen. Dieser Friede führe zu einer Ruhe, die das Immunsystem aktiviert und den Schmerz zumindest verringert.
Schnell kommt die Therapeutin mit ihren Patienten auf das Gottesbild zu sprechen, das diese seit ihrer Kindheit begleitet: „Für Kinder sind Eltern oder erwachsene Autoritätspersonen gottgleich“, sagt die Psychotherapeutin. Auch sie selbst sei immer wieder überrascht gewesen, wenn ihre Eltern etwas nicht konnten oder wussten. „Wenn die Eltern sehr strafend, lieblos oder streng waren, ist es sehr schwer, die Bilder von Gott und den Eltern auseinanderzuziehen.“
Playmobil-Männchen helfen in der Therapie
Bei diesem „Auseinanderziehen“ helfen der Therapeutin Playmobil-Männchen: „Auf meinem Tisch liegt immer ein Filzherz. Darauf kommt ein Playmobil-Engel als Symbol für das Göttliche. Dann stelle ich zwei Figuren vor den Engel und sage: ,So haben Sie es als Kind erlebt: dass Gott und die Eltern identisch sind‘.“ Dann zieht sie die Figuren auseinander und bespricht mit den Patienten Erfahrungen, die sie mit ihren Eltern gemacht haben. Oft gehe es dabei um Gewalt, Übergriffe oder starke seelische Vernachlässigung. Dann macht die Therapeutin klar: „Die Eltern waren menschlich und deshalb begrenzt, Gott ist es nicht.“ Kronshage arbeitet Erlebnisse heraus, die sich für ihre Klienten wie ein „liebevolles Eingreifen angefühlt haben“. Die Therapeutin ist davon überzeugt, dass jeder Mensch solche Erfahrungen gemacht hat, und will „die Ressource Gott“ stärken.
Viele ihrer Patienten haben mit der Theodizee-Frage zu kämpfen: Warum lässt Gott das Leid zu? Kronshage will sie dahin führen, zu akzeptieren, dass es auf diese Frage keine Antwort gibt, denn auch sie verstehe das Leid ihrer Patienten nicht. „Die Warum-Frage ist eine Frage des Verstandes. Doch der Verstand kann Gott nicht erfassen, weil er begrenzt ist.“
Auf jeden Patienten individuell eingehen
Auch wenn sich Psychotherapie und Theologie bei Kronshage sehr stark vermischen, geht es ihr vor allem darum: „Wer sitzt da vor mir?“ Hat jemand zum Beispiel im Umfeld der Kirche schwerwiegende Missbrauchserfahrungen gemacht, ist ihr klar, dass sie das Wort „Gott“ nicht benutzen kann, weil es ein starker Trigger wäre: „Ich sage dann zu meinen Patienten: ,Wir benennen das jetzt nicht, aber es ist ein Gefühl tiefen Friedens und in einer hilflosen Situation nicht alleine zu sein‘“. Wichtig ist ihr, zu vermitteln: „Es gibt eine Kraft, die mich hält und trägt“. Natürlich behandele sie nicht nur Christen, sondern zum Beispiel auch Muslime, betont die Therapeutin.
Kronshage sagt von sich selbst, dass sie sich bedingungslos liebt. Natürlich gebe es Momente, in denen sie sehr unzufrieden mit sich sei. „Aber ich kann mich schnell wieder in die bedingungslose Liebe bringen, in dem ich mir sage: ,Ich kann mich zwar gerade nicht selbst lieben, aber Du, Gott, tust es ja‘“. Häufig habe sie in ihrer Kindheit das Gefühl gehabt, etwas leisten zu müssen, um geliebt zu werden. Auch mit ihren Patienten bespricht sie die Frage: „Wie wäre das denn, wenn ich mich jetzt bedingungslos geliebt fühlen würde?“ Das stoße einen Suchprozess im Organismus an und das Unbewusste fange an, diesen Weg einzuschlagen. „Ich postuliere einfach, dass es diese bedingungslose Liebe gibt.“ Deshalb will sie sie auch ihren Patienten entgegenbringen.
Nicht die Psychotherapeutin ist die Heilsfigur
Oft arbeitet sie über Jahre mit ihren Klienten. Dadurch entstehe ein sehr enges emotionales Verhältnis, doch eines ist dabei entscheidend: „Ich möchte nicht, dass die Patienten sich als abhängig von mir erleben, sondern von Gott.“ Deswegen will sie auch keine „Heilsfigur“ sein.
Wie kann man denn nun von der Angst in die Liebe kommen? „Das ist ein langer Prozess, der nie abgeschlossen ist“, sagt die Therapeutin. „Überlegen Sie: Wer ist vor mir, die Angst oder die Liebe? Wenn Sie Angst haben, machen Sie sich klar: Es gibt eine Alternative, nämlich die bedingungslose Liebe – und stellen Sie sich vor, wie sie von der Angst rüber zur Liebe gehen“.