KI in der Schule – Fluch oder Segen?
Künstliche Intelligenz (KI) im Unterricht: Der eine Pädagoge bezeichnet sie als „Superkraft“, der andere ist überzeugt, dass die Kreativität und das selbstständige Denken von Schülern beim Einsatz von KI massiv leiden. Was gilt es zu bedenken?
Für das Goethe-Referat mal eben den Chatbot befragen oder die französische Übersetzungshausaufgabe über KI anfertigen lassen: Abschreiben galt bis vor Kurzem noch als verpönt; seit KI sieht das anders aus. Wieso soll man etwas durch eigene Denkarbeit produzieren, wenn es doch so viel einfacher geht? Die Büchse der Pandora ist offen, auch in der Schule. Schülerinnen und Schüler befragen die Bots, wenn sie sich auf Referate vorbereiten oder ihre Hausaufgaben machen sollen. Wie geht man damit um? Pädagogen sind unterschiedlicher Ansicht.
Gymnasiallehrer Bob Blume etwa, der einen Blog, einen Instagram-Kanal und einen Podcast betreibt, sagt: „KI in der Schule nicht einzusetzen, wäre höchst fahrlässig. Schließlich wird die Welt, in der wir leben, zunehmend von KI geprägt“. Der Rückweg sei versperrt: Künstliche Intelligenz müsse daher selbstverständlicher Teil des Unterrichts werden, damit die Schülerinnen und Schüler das Werkzeug bekämen, sie angemessen zu benutzen. Dass sie damit auch ihre Hausaufgaben machen, findet Blume in Ordnung: „Ein System, das es möglich macht, umgangen zu werden, hat es nicht anders verdient, als dass eben das genutzt wird, was einem zur Verfügung steht“, sagt der Pädagoge. „Ich würde keinem Schüler einen Strick daraus drehen“. Vielmehr gehe es darum, dass Schule sich auf die technischen Entwicklungen einstelle.
KI als Assistent des Lehrers?
Der Deutschlehrer hat jetzt ein Buch geschrieben: „Warum noch lernen? Wie Schulen in Zeiten von KI, Krisen und sozialer Ungerechtigkeit aussehen muss“. Er findet den Einsatz von KI im Unterricht auch deshalb positiv, weil sie den Lehrer entlasten könne. „Natürlich will ich mich nicht selbst abschaffen. Aber KI kann eine gute zusätzliche Assistenz sein. Zum Beispiel kann sie im Unterricht etwa beim Schreiben einer Interpretation dem Schüler oder der Schülerin direkt Rückmeldung geben, ob bestimmte Kriterien erfüllt wurden“. Er als verantwortlicher Lehrer sei dennoch dabei und für Rückfragen zuständig.
Sehr viel kritischer blickt Bildungsforscher Ralf Lankau auf künstliche Intelligenz im Unterricht. Natürlich könne KI im alltäglichen Leben grundsätzlich hilfreich sein – er selbst habe die KI-Übersetzungshilfe schon bei der Kommunikation mit einem ukrainischen Flüchtling eingesetzt. Auch kann er sich punktuell eingesetzte KI im Unterricht vorstellen, wenn die Schüler bereits über Wissen verfügten und „selbst denken“ gelernt hätten. Ansonsten findet er ihren Einsatz eher kontraproduktiv.
Pädagoge: Chatbots zerstören Kreativität
„KI fördert vor allem die Bequemlichkeit – die der Schüler, aber auch die der Lehrkräfte“, sagt der Professor für Medientheorie und Mediengestaltung an der Hochschule Offenburg. „KI-Bots verderben die generelle Leistungsbereitschaft junger Menschen und gewöhnen sie daran, sich technischen Systemen und deren Berechnungen als gültigen Ergebnissen anzuvertrauen“, so Lankau, der auch Kunstpädagoge ist. Er warnt vor einer „Zerstörung“ der Kreativität von Schülerinnen und Schülern. „Bots verhindern das freie Spiel der Fantasie und Imagination, bei der am Anfang nur eine Aufgabenstellung oder das sprichwörtlich leere Blatt stehen“.
Lernen sei ein mitunter anstrengender Prozess. „Da kommt man nicht drumherum. Man muss etwas tun und üben, um es zu können. Kochen lernt man ja auch nicht, indem man Tiefgefrorenes in der Mikrowelle aufwärmt. Und man wird auch kein Sportler, indem man nur bei den Olympischen Spielen zuschaut“, so der Wissenschaftler. Für die Anstrengung werde man aber mit dem Erfolgserlebnis belohnt. „Man erlebt Selbstwirksamkeit und traut sich dann mehr zu“, sagte Lankau. Weder das Unterrichten noch das Lernen könne an Maschinen delegiert werden. „Lernen ist ein individueller, sozialer und interpersonaler Prozess“.
Studie: KI noch weit vom Menschen entfernt
Dass künstliche Intelligenz grundsätzlich noch weit von dem entfernt ist, was Menschen können, stellten unlängst auch Wissenschaftler einer Studie der TU Darmstadt fest. „Es ist wahrscheinlich ein Fehler, sich auf ein KI-Modell zu verlassen, um komplexe Aufgaben ohne Hilfe zu interpretieren und auszuführen“, erklärte Studienleiterin und Informatikprofessorin Iryna Gurevych. „Stattdessen sollten Nutzende explizit angeben, was die Systeme tun sollen, und wenn möglich Beispiele nennen“. Die Tendenz dieser Modelle, plausibel klingende, aber falsche Ergebnisse zu erzeugen, werde wahrscheinlich weiter bestehen bleiben.
„KI-Systeme sind ,Blackboxes‘“, kritisiert auch Forscher Lankau. „Weder kennt man die zugrunde liegenden Algorithmen noch den Datenbestand, mit der eine KI rechnet.“ Zudem: „Warum soll ich mir eigentlich von Unternehmen diktieren lassen, dass ich Software im Unterricht einzusetzen habe?“ Lankau fordert ein generelles Umdenken in Sachen Digitalisierung an Schulen. So gebe es in vielen Ländern Europas – darunter etwa Frankreich und Schweden – mittlerweile ein Smartphoneverbot an Schulen. Man setze stattdessen wieder verstärkt auf das gedruckte Schulbuch und das Lernen mit Stift und Papier.
Keine Smartphones in der Schule
„In Deutschland dagegen ist man noch davon überzeugt, dass der Einsatz von Tablets bereits in der Kita sinnvoll ist“, erklärte Lankau. Smartphones mit all ihren Apps und Anwendungen seien aber von den Herstellern darauf angelegt, süchtig zu machen. „Und sie machen uns süchtig“. Ein Punkt, in dem sich die Pädagogen Blume und Lankau einig sind: „Ich bin auch für ein Smartphone-Verbot in der Schule“, sagt Lehrer Blume – das Gerät halte die Schüler nur von Bewegung und sozialer Interaktion ab. „Aber anders ist es mit KI – die kann für das Lernen der Schüler eine echte Superkraft sein, wenn die Lehrkräfte alle gut mit KI umgehen können“.
Nina Schmedding