Drei Geschichten von Engagement und Zuversicht
Manche sagen: Alles wird immer schlimmer. Doch viele geben den Glauben an das Gute und an die Zukunft trotz vieler Probleme nicht auf. Hier erzählen drei ältere Menschen, warum sie darauf vertrauen, dass junge Menschen gut fortführen werden, was ihnen wichtig war. Und warum sie sich engagieren: bei „Omas gegen Rechts“, im Winzerei-Familienbetrieb und bei „Omas for Future“.
Zukunft für die Demokratie: Die Gemeinschaft hilft gegen Angst
Was Faschismus bedeutet, weiß Renate Wanner-Hopp von ihrer Mutter. Sie hat ihr erzählt, dass ihre jüdische Schulfreundin damals im Nationalsozialismus einfach weggezogen ist, von einem Tag auf den anderen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Später erfuhr die Mutter, dass die Freundin wie so viele Menschen in ein Vernichtungslager deportiert und ermordet wurde; aussprechen konnte sie das nie.
Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewinnen rechtsextreme Gruppen in Deutschland an Einfluss. Mittlerweile reden sie offen über Deportationen und Entrechtung von Menschen. Wanner-Hopp will das nicht ignorieren. „Wir möchten unserer Enkelgeneration klarmachen, was passieren könnte, wenn unsere Rechte als Frauen, wenn unsere ganzen gesellschaftlichen Errungenschaften einer offenen Gesellschaft zunichtegemacht werden“, sagt sie.
Deshalb hat sich Wanner-Hopp vor etwa fünf Jahren den Omas gegen Rechts angeschlossen. Bei einer Demonstration sah sie eine Gruppe und deren Schilder und wusste: Sie ist Oma, sie ist gegen Rechts – da läuft sie mit. Nun engagiert sich die 63 Jahre alte dreifache Großmutter in der Regionalgruppe in Erfurt. Sie möchte später ihren Enkelkindern nicht sagen müssen, sie habe nichts dagegen gemacht. Ob das etwas bringt? Diese Frage stellt sie nicht. „Ich vertraue darauf“, sagt sie, „dass es Menschen gibt, die in Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit leben wollen.“ Und solche Menschen trifft sie jeden Tag.
Zum Beispiel, wenn sie als Omas gegen Rechts an Schulen gehen, um mit Schülerinnen und Schülern über Demokratie zu sprechen. Die Reaktionen sind unterschiedlich. In einer neunten Klasse wurden sie gefragt, was denn an rechten Parteien so schlimm sei. Mit politischer Beteiligung und den Freiheiten in einem demokratischen Staat wussten die Schülerinnen und Schüler kaum etwas anzufangen. Auf das frustrierende Erlebnis folgte ein ermutigendes: In einer zehnten Klasse an derselben Schule war ein Workshop der Omas der Beginn einer lang anhaltenden Diskussion. Ein Schüler erzählte Wanner-Hopp ein Vierteljahr später, dass sie in der Klasse noch immer debattierten, wie es mit Demokratie und Menschenrechten weitergehen soll.
Sie hat erlebt, dass Jugendliche ihr gut zuhören, wenn sie erzählt, was der Krieg in ihrer Familie angerichtet hat, und kommt zu dem Schluss, dass das mit ihrem Oma-Sein zu tun hat. „So eine Oma ist nochmal eine andere Autorität“, sagt sie, „eine Respektperson, auch bei manchen, die vielleicht keinen Respekt vor Lehrerinnen oder anderen Menschen haben.“
Dass in den nächsten Jahren irgendwie alles gut wird mit Deutschland und der Demokratie, denkt sie nicht. Vertrauen und Realismus scheinen bei ihr kein Widerspruch zu sein. „Ich könnte mir vorstellen, dass es erst mal schwerer wird“, erzählt sie. Vor ein paar Tagen habe sie mit ihrer jüngsten Tochter über die Ergebnisse der Europawahl gesprochen. Die Tochter sagte: „Mama, vielleicht muss es erst wieder ganz schlecht werden, bevor es wieder besser wird.“
Wanner-Hopp fürchtet, dass sie nicht standhaft bleiben könnte, wenn nationalistische und rassistische Politiker das Land mit Gewalt regieren. „Wie würde ich reagieren, wenn ich vergewaltigt würde, wenn ich gefoltert würde?“, fragt sie. „Würde ich mich anpassen und mitmachen?“ Gegen die Angst hilft ihr die Gemeinschaft mit ihren Oma-Kolleginnen, aber auch der Gemeindekirchenrat, in dem sie mitarbeitet. Sie hat Kirche bisher als einen Rückzugsort erlebt, der Menschen in der gewaltvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts oft Schutz geboten hat. Und sie wünscht sich, dass die Kirche auch in Zukunft denen Zuflucht bietet, die für Freiheit und Gerechtigkeit eintreten.
Sie glaubt, dass Demokratie eine Zukunft hat, auch weil sie erlebt, wie sich die Menschen in anderen Ländern dafür einsetzen. „Also, ich habe da schon Vertrauen in die Menschen in Europa“, sagt Wanner-Hopp. Und auch in die Jugendlichen. Die sind stolz, dass die Omas ihnen den Rücken stärken. Wanner-Hopp erzählt, dass sie auf Veranstaltungen Anstecker verteilen. Die Jugendlichen würden sie ihnen aus den Händen reißen, so beliebt sind die kleinen weißen Buttons. Darauf steht in schwarzen Buchstaben „Oma schickt mich“. (Barbara Dreiling)
Zukunft für den Familienbetrieb: Die Söhne halten zusammen
Wenn Marco Becker früher mit dem Schlepper durch die Weinberge fuhr, auf dem Schoß mindestens einen seiner drei damals kleinen Söhne, hätte er es vielleicht nicht geglaubt: dass sie ihm nachfolgen würden bei der mitunter harten Arbeit, die ihn nun seit Jahrzehnten beinahe täglich in den Weinberg führt, die ihn Klima und Weltmarktpreise fürchten gelehrt hat. Die ihn aber auch ehrfürchtig gemacht hat vor der Kraft der Natur. Und tief zufrieden damit, sein eigener Chef zu sein, sich etwas aufgebaut zu haben.
Seine Jungs waren immer dabei. Ungezählte Stunden in den 30 Hektar großen Weinbergen und im Keller, auf den Weinfesten und an den Messeständen. „Wir konnten eigentlich alle Traktor fahren, bevor wir den Autoführerschein gemacht haben“, sagt Julius Becker. Er ist mit 19 Jahren der jüngste der Brüder. Einen abwechslungsreicheren Beruf als den des Winzers kann er sich nicht vorstellen: arbeiten in der Natur, Kundenkontakt, körperlicher Einsatz, Kreativität.
Ganz frisch hat er die Gesellenprüfung zum Winzer bestanden. Bald wird im Weingut auch seine Urkunde hängen. Gleich neben denen seiner großen Brüder Johann und Jakob, die beide Weinbau studieren. Das Weingut Becker ist ein reiner Familienbetrieb ohne Angestellte. Hier helfen Marco Beckers Vater, der den Hof aufgebaut hat und neben der Landwirtschaft etwas Weinbau betrieb, Marco und Ehefrau Alexandra, die den Betrieb komplett auf Weinbau umgestellt haben, und jetzt ihre Söhne.
Man kann nicht den Eindruck gewinnen, Marco Becker hätte seine Söhne mit viel Autorität und Druck auf diesen Weg geführt. Der Senior-Winzer ist ein freundlicher Mittfünfziger, aus dessen Blick Wohlwollen und Stolz sprechen, wenn er seinen Sohn anschaut. „Man muss Vertrauen in die Kinder investieren“, sagt er. Dann sei es wichtig, dieses Vertrauen auch zu haben und zu zeigen: „Es braucht eine gute Balance zwischen Fördern und Fordern.“
Zwar dauert es noch bis zu seiner Rente. Doch Abgeben, Verantwortung stückweise übertragen, die Jungen auch mal machen lassen, das beginne schon jetzt. Was ihn vertrauen lässt, dass das gelingt? „Die Jungs können sich blind aufeinander verlassen“, sagt Marco Becker. Sie hätten das Glück, dass die Chemie zwischen den Dreien immer gestimmt habe. Erst kürzlich habe er für einige Lagen neue Pachtverträge unterschrieben. „So was schließt man auf 30 Jahre ab. Da weiß ich, das geht nicht mehr um mich. Aber die Jungs haben gesagt: ‚Unterschreib mal, wir führen das hier weiter.‘“
Er hat Achtung vor seinen Söhnen, dass sie sich den Winzerberuf zutrauen. „Von den Arbeitszeiten und dem Geldverdienen her gibt es sicherere Sachen“, sagt Becker. Doch Zweifel an der Zukunft des Weinguts hat er nicht – wegen seiner Söhne. „Sorgen macht mir eher die Gesellschaft“, sagt er. Die habe nicht mehr genug Verständnis für den Wert der Landwirtschaft und die Arbeit, die damit verbunden ist. „Früher“, sagt Marco Becker, „haben wir Erntedank-Gottesdienste alle bewusster gefeiert.“
Auch die Folgen des Klimawandels beschäftigen den Winzer. „In der Landwirtschaft merken wir das schon seit den 90er-Jahren deutlich.“ Für den Weinbau seien die heißeren Sommer ja eigentlich nicht schlecht, da müsse man kaum noch Weine entsäuern. Aber die Reben würden dann anfälliger für Krankheiten und Extremwetterereignisse könnten große Ernteeinbußen verursachen.
Es wird vielleicht keine rosige Zukunft für seine Jungs. Aber wenn sie weiter zusammenhalten, kann ihr Unternehmen gelingen, davon ist Marco Becker überzeugt. „Letztes Jahr mussten wir wegen der Witterung innerhalb von zehn Tagen die komplette Lese machen.“ Das sei unglaublich anstrengend gewesen, aber sie hätten es geschafft. Als Team, als Familie. Mit einer begeisterten jungen Generation. „Dieses gemeinsame Erleben, das macht mir Mut“, sagt Marco Becker. (Elisabeth Friedgen)
Zukunft für den Klimaschutz: Junge Leute denken um
Silke Böhm macht sich Sorgen um die Zukunft der kommenden Generationen. „Und das hat auch mit dem Klimawandel zu tun“, sagt sie. Wenn sie Schülerinnen und Schüler in ihren Workshops fragt, was sie sich für die Zukunft wünschen, dann antworteten die meisten: Frieden. Doch ob sie in Frieden leben können, hängt auch vom Klimawandel ab. Trockenheit und Überschwemmungen vernichten in vielen Teilen der Welt Ernten und Lebensgrundlagen. Längst kämpfen Gruppen um Nahrungsmittel und Trinkwasser. Die Erderhitzung macht heute schon einige Regionen unbewohnbar und zwingt Menschen zur Flucht. Das fördert immer neue Konflikte.
Böhm weiß das. Sie liest viel über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration. Es ist der Blick auf die Wirklichkeit, das Wissen um die Probleme, die andere gerne verdrängen, die ihr gegen die Angst helfen. Und: selbst etwas tun. Bis vor ein paar Jahren hat sie sich noch ehrenamtlich als Telefonseelsorgerin engagiert. Im letzten Jahr hat sich die 57-Jährige dann den Omas for Future angeschlossen. Beim Klimathema habe sie das Gefühl, „dass es jetzt dran ist“, sagt sie.
Ähnlich wie die Fridays for Future setzen sich die Omas for Future für mehr Klimaschutz ein und wollen vor allem ältere, aber auch jüngere Menschen davon überzeugen. Und dort, wo die Auswirkungen des Klimawandels schon spürbar sind, werben sie dafür, sparsam und solidarisch mit Ressourcen wie Wasser umzugehen. Gemeinsam mit einer jungen Ehrenamtlichen organisiert Böhm im Durchschnitt einmal im Monat eine Mitmachaktion in ihrer Heimat im sächsischen Vogtland. Unter anderem bietet sie Zukunftsratespiele an. „Das Engagement bei den Omas for Future besteht ja auch darin, den Leuten die Probleme bewusst zu machen“, sagt sie. „Die gehen uns ja alle an.“
In den Ratespielen geht es um Fragen wie: Wann hat eine Windkraftanlage so viel Energie produziert, dass der Energieverbrauch ihrer Produktion wieder ausgeglichen ist? Oder: Wie hoch ist der Anteil der Fleischindustrie am weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen? Glaubt sie, dass es gelingt, Menschen für mehr Klimaschutz zu gewinnen? Ihr erstes Quiz war schwierig. Die älteren Bewohner eines Mehrgenerationenhauses konnten mit Begriffen wie Erderhitzung oder Treibhausgasen wenig anfangen. Einige meinten dann, sie wolle ihnen vorschreiben, kein Fleisch mehr zu essen.
Doch Böhm fand Anknüpfungspunkte. Denn für die Älteren sei es früher ganz normal gewesen, sich wassersparend mit dem Waschlappen zu waschen und kaputte Dinge zu reparieren, statt neue zu kaufen, erzählt sie. „Verzicht ist für viele aus dieser Altersgruppe nichts Ungewöhnliches“, sagt sie. So gewann sie schließlich das Interesse der Gruppe.
Die Bereitschaft, umzudenken, Ressourcen zu schonen und den Konsum einzuschränken, erlebt sie auch bei Jüngeren. Bei ihren Workshops an Schulen und im Rahmen ihrer Arbeit bei der Diakonie Plauen „treffe ich immer wieder junge Menschen, die sich radikal für das Klima und den Umweltschutz einsetzen“, sagt sie. „Sie leben vegetarisch oder vegan und versuchen, alles zu meiden, was den CO2-Ausstoß erhöht.“ Sie berichtet von ihrer Nichte, die bei den Klimademos mitgeht, und von anderen Familienmitgliedern, die mit E-Autos fahren statt mit Verbrennermotoren. „Deshalb habe ich Vertrauen in die Jüngeren. Die machen das schon“, sagt Böhm. Sie selbst fliegt schon seit zehn Jahren nicht mehr und macht nur noch einmal im Jahr eine größere Reise mit dem Wohnmobil.
Aber was ist mit den anderen? Mit denen, die den Klimawandel und die Erkenntnisse der Wissenschaft leugnen? Viele Sachsen unterstützen rechtsextreme Parteien, die weiter auf Kohle, Gas und Öl setzen und Hass säen gegen alle, die sich für Windkraft und andere erneuerbare Energien einsetzen. Böhm will sich davon nicht ängstigen lassen. „Ich rede ganz viel mit den Menschen in meinem Umfeld. Man sucht sich ja auch immer Leute, die ähnlich ticken wie man selber. Dann merkt man auch, dass man nicht alleine ist“, sagt sie. (Barbara Dreiling)