Tattoos
Wenn der Glaube buchstäblich unter die Haut geht
Lange galten sie als Zeichen von Außenseitern. Doch inzwischen sind Tattoos gang und gäbe – selbst unter religiösen Menschen.
Mit einem Tattoo auf dem Oberarm sorgte im Sommer 2010 Bettina Wulff, die Frau des damaligen Bundespräsidenten, für reichlich Gesprächsstoff. „Wie viel geritzte Haut verkraftet das Schloss Bellevue?“, fragte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und schloss naserümpfend: „Es bleibt ein Import aus der Unterwelt.“
Tattoos galten lange als Erkennungszeichen von Außenseitern wie Seeleuten und Häftlingen, von Männern außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, wie der Priester Frank Kribber feststellt. Der Gefängnisseelsorger aus Lingen trägt selbst Tattoos am ganzen Arm. Ein weiteres auf seiner Wade zeigt zwei Menschen auf der Himmelsleiter ins Paradies – eine Erinnerung an einen verstorbenen Freund. Es drückt seine Hoffnung aus, „dass ich Stephan eines Tages wiedersehen werde“.
Heute sind Tattoos ein Massenphänomen: Mehr als jeder dritte Deutsche hat sich mindestens einmal tätowieren lassen, wie das Meinungsforschungsinstitut Norstat 2023 herausfand. Bei jüngeren Erwachsenen liegt dieser Anteil noch höher. Bettina Wulff ließ sich ein sogenanntes Tribal stechen – ein abstraktes Muster mit geometrischen Formen und sich wiederholenden Linien. Das Motiv, so teilte sie mit, habe keine Bedeutung.
„Etwas auf den Leib schreiben“
Für viele Menschen haben Tattoos jedoch eine tiefere Bedeutung, besonders wenn sie christliche Motive tragen – für sie sind es Glaubenszeugnisse aus Tinte. Martina Kreidler-Kos (56) ließ sich kürzlich ihr erstes Tattoo auf den Unterarm stechen, bei einem Event in der gotischen Hallenkirche Sankt Johann in Osnabrück. Es ist ein Kreuz in Form eines T. Schon länger trägt die Leiterin des Seelsorgeamtes im Bistum Osnabrück das nach dem 19. Buchstaben des griechischen Alphabets benannte Tau-Kreuz als Schmuckstück um den Hals. „Ich lasse mir etwas auf den Leib schreiben – und ich freue mich darauf“, erklärte die Theologin vor dem Tätowieren. Dann legte sie sich auf die Liege, wie beim Blutspenden, und eine Tätowiererin stach mit der Nadel in ihren Arm. „Es war aufregend, aber auch schnell vorbei“, sagte Kreidler-Kos danach.
Auch den Oberarm von Ingo Imenkämper schmückt jetzt das Tau-Kreuz. Er ist Geschäftsführer des Bonifatiuswerks, das Katholiken in einer Minderheitensituation unterstützt. Für Imenkämper passt das Tattoo zum Leitwort des Hilfswerks: „Zeig draußen, was du drinnen glaubst.“ Beim Franziskaner Andreas Brands ziert das Tau-Kreuz die linke Wade. Für ihn ist das Motiv ein Zeichen der Verbundenheit mit dem Ordensgründer, dem Heiligen Franz von Assisi.
Abwaschen geht nicht
Wer sich ein christliches Motiv – ein Lamm, ein Kreuz, eine Taube oder die Pfingstflamme – stechen lässt, der weiß: Es ist jetzt fest unter der Haut, einfach abwaschen kann man es nicht. Aber darf der Glaube so unter die Haut gehen? Dürfen sich Christen tätowieren lassen? Und was sagt die Bibel dazu? Diese Frage wird im Internet diskutiert, und Gegner begründen ein Verbot mit einem Satz aus dem Buch Levitikus: „Für einen Toten dürft ihr keine Einschnitte auf eurem Körper anbringen und ihr dürft euch keine Zeichen einritzen lassen.“ Den Grund für das Verbot nennt das Alte Testament nicht; möglicherweise war Tätowieren eine heidnische Praxis, verbunden mit Götzendienst und Aberglauben.
Eva Gutschner trägt ein geritztes Lamm über dem Fußknöchel. Es lässt die Theologin an eine Erfahrung bei Schweigeexerzitien denken: „Es waren tiefe spirituelle Momente und ein Fingerzeig Gottes, der mich dieses Lamm hat tätowieren lassen.“ Das Tattoo erinnert sie daran, die Augen offen zu halten für kleine und große Dinge in ihrer Umgebung und Gott darin zu begegnen.
Dürers betende Hände
Der Tätowierer Alexander Stein aus dem ostwestfälischen Schloss Holte erlebt oft, dass christliche Motive gefragt sind, zum Beispiel Albrecht Dürers betende Hände, Porträts von Jesus oder Maria, die Psalmen, ein Rosenkranz. Aber er geht nicht davon aus, dass seine Kunden immer gläubige Christen sind. Ein direkter Bezug sei eher selten, vermutet er. Eine Ausnahme war daher für ihn die Frau, die vor einem Jahr „Jesus“ auf den Arm gestochen haben wollte – und dies damit begründete, dass jeder sieht, dass sie an ihn glaubt.
Auch Pete vom Studio „Everlong-Tattoo collective“ in Bonn hat Kunden, die sich christliche Motive wie einen Rosenkranz oder eine biblische Szene stechen lassen. Das komme vor, allerdings selten. „Es gibt Menschen, die sehr religiös sind und solche Tattoos gerne haben“, berichtet der Tätowierer. „Ich habe zum Beispiel einen polnischen Kunden, der sich nur christliche Tattoos stechen lässt.“ Gefragt seien hin und wieder auch Motive aus der buddhistischen oder muslimischen Tradition, etwa islamische geometrische Muster. Häufiger würden aber christliche Motive gewünscht.
Tattoos unter Christen haben Tradition
Tätowierte Christen gibt es schon lange. Seit rund 700 Jahren arbeiten Männer der koptischen Familie Razzouk in der Jerusalemer Altstadt als Tätowierer. In Ägypten tragen koptische Christen ein Kreuz innen am rechten Handgelenk – so distanzieren sie sich vom Islam. Bereits bei frühchristlichen Sekten waren Tätowierungen üblich, und Kreuzritter stachen sich ein lateinisches Kreuz in die Haut. Der Mystiker Heinrich Seuse (1295–1366), ein Dominikaner, hat sich sogar ein Christusmonogramm auf die Brust tätowiert, wie Handschriften belegen.
Christof Haverkamp