Kultur und Wissen
11.02.2025


Bestseller – Geschichte

Krieg liegt uns nicht in den Genen

Der Archäologe Harald Meller hat mit dem Historiker Kai Michel und dem Biologen Carel van Schaik ein Buch über die Gewaltgeschichte der Menschheit geschrieben. Sie zeigen: Kriege liegen unserer Gattung nicht und sind nicht evolutionsbedingt.

Frühe Jäger und Sammler gingen Gruppenkonflikten lieber aus dem Weg, anstatt sich in kriegerische Auseinandersetzungen zu stürzen, sagt Harald Meller. Frühe Jäger und Sammler gingen Gruppenkonflikten lieber aus dem Weg, anstatt sich in kriegerische Auseinandersetzungen zu stürzen, sagt Harald Meller. Foto: © imago/YAY images

Harald Meller ist gerade auf einer Ausgrabung in Sachsen-Anhalt, als er ans Telefon geht. Der gebürtige Oberbayer leitet das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle und ist durch seine Forschungen zur weltberühmten Himmelsscheibe von Nebra sowie als Teamautor von populären Sachbüchern bekannt geworden. „Die Evolution der Gewalt“ lautet der Titel des jüngsten Werkes, an dem er mitgearbeitet hat.

„Im Grunde geht’s in dem Buch darum, dass die Menschen häufig denken, Krieg sei schicksalsgegeben und da könne man halt nichts machen“, erklärt Meller. Bei einer solchen These widerspricht aber sofort der Archäologe in ihm. Denn ungehemmte Gewaltausbrüche zwischen großen Gruppen gibt es noch nicht sehr lange. Zumindest wenn man über die letzten fünf- bis zehntausend Jahre hinausblickt.


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Gattung Mensch ist auf Kooperation angelegt

„Betrachtet man 99 Prozent der Menschheitsgeschichte, wie das Archäologen und Biologen tun, dann ist festzustellen, dass der Mensch zwar aggressiv sein kann, aber keine Kriege führt, das hängt mit späteren Entwicklungen zusammen.“ Viele hunderttausende Jahre sei es unter den Jägern und Sammlern weitgehend friedlich zugegangen: „Wir haben da nahezu keine Fälle, in denen wir Krieg nachweisen können.“ Darum lasse sich auch nicht davon sprechen, dass er in den Genen liege: „Krieg können wir archäologisch erst mit Landbesitz, Territorialität und Patriarchat nachweisen.“ Das wurde aber erst vor etwa 10.000 Jahren richtig akut, als systematische Gewalt „im Interesse von Hierarchien und Herrschaft“ zum Einsatz kam.

Evolutionsbiologisch sei unsere Gattung aber eigentlich auf Kooperation angelegt, so Meller. Die frühen Jäger und Sammler waren zur Zusammenarbeit gezwungen, um überleben zu können. Gruppenkonflikten gingen sie lieber aus dem Weg, sie hätten außer einer gegenseitigen Schwächung nichts gebracht, die Bevölkerungszahl war gering und die Flächen groß genug, um einander auszuweichen.

Missbrauch der Steppentriebe

Und bis heute braucht es eine lange und gut vorbereitete Propaganda und starke Ideologien, um Menschen aufeinander zu hetzen, stellt Meller fest: „Keiner würde fremde Leute einfach ermorden, außer er ist Psychopath. Manchmal sind Psychopathen leider Staatenlenker.“ Sie missbrauchten die im Menschen durchaus angelegte Aggressions- und Verteidigungsbereitschaft, die nötig waren, sich und die eigene Gruppe gegen Raubtiere zu verteidigen.

„Diese Triebe der Steppe lassen sich in großen staatlichen Gemeinschaften nutzen, um die eigene Gruppe ständig für bedroht und den jeweils anderen zum unerbittlichen Feind zu erklären.“ Gerade jetzt gebe es „wieder Leute, die gerade daran ein Interesse haben, und da kann man als Wissenschaftler nicht schweigen und muss streitbar sein“. Darum hat sich Harald Meller mit seinen Co-Autoren entschlossen, dieses Buch zu schreiben, „um Wissenschaft und komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen und überzeugend zu belegen“. Wichtig sei dabei auch, dass Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengefasst sind und sich ergänzen.
 

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Aufklären in Zeiten von Fake News

Eine sachliche Aufklärung über die Ursachen von Krieg und Gewalt „ist unserem Autorenteam gerade in Zeiten von Fake News und Lügen wichtig, in dem auch die Wissenschaft unterminiert und diskreditiert wird“. Meller und seine Co-Autoren sind davon überzeugt, dass hinter Kriegen kein Naturgesetz steckt: „Sie werden vor allem in Gesellschaften propagiert, in denen es große ökonomische und demografische Spaltungen, dramatische Machtunterschiede und scharfe Rollenunterscheidungen und ungleiche Rechte von Männern und Frauen gibt.“ Darüber will das Buch aufklären und darüber, „dass demokratische Staaten deutlich weniger Kriege führen als Diktaturen. Dann ist klar, was es zu fördern gilt“.

Dann muss Harald Meller zurück zu seiner Ausgrabung, wo er vielleicht einen weiteren Beleg dafür findet, dass Menschen sich nicht zwangsläufig gegenseitig massakrieren müssen.

Zum Nachlesen
Meller, Harald; Michel, Kai; van Schaik, Carel Die Evolution der Gewalt
DTV, 2024
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Zum Nachhören

"MKR - Magazin" Episode vom 11.2.2025, Kapitelmarke "Die Evolution der Gewalt" ab Min. 06:10.


Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.