Die Millionärin, die Reiche stärker besteuern will
Stefanie Bremer hat ein Vermögen geerbt – und eine Initiative für Steuergerechtigkeit gegründet. Im Interview erklärt sie, wie Reichtum der Demokratie schadet und wie ihr Verein „taxmenow“ das ändern will.
Mit einem geschätzten Vermögen von rund zehn Millionen Euro gehören Sie zwar nicht zu den Superreichen, aber immerhin zum wohlhabendsten Prozent der Deutschen. Statt sich ein schönes Leben zu machen, arbeiten Sie als Nachhaltigkeitsberaterin und haben 2021 die Initiative für Steuergerechtigkeit „taxmenow“ mitbegründet. Was wollen Sie erreichen?
Vermögensungleichheit in Deutschland und der Welt muss reduziert werden. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Länder mit hoher Ungleichheit eine schlechtere Gesellschaft haben. Menschen sind weniger gesund, weniger gebildet, weniger erfolgreich und das Bruttoinlandsprodukt geht zurück. Das alles führt insgesamt zu einem Nachteil für ungleiche Gesellschaften.
In Deutschland verfügen zehn Prozent der Bürger über zwei Drittel des Gesamtvermögens, wobei allein das reichste Prozent ein Drittel davon besitzt – welchen Schaden richtet diese Ungleichheit an?
Am größten ist der Schaden für die Demokratie. Vermögende Menschen haben einen unfassbar großen Einfluss auf die Politik. Ein Vertreter der Stiftung Familienunternehmen hat sich einmal für eine „Sternstunde der Politikberatung“ gerühmt, als er ein Gesetzesvorhaben massiv beeinflusst hat. Wir kennen ja die Bilder: Namhafte Wirtschaftsvertreter und Unternehmensbosse schütteln hochrangigen Politikern die Hände und feiern gemeinsam Partys. Das sind Zugänge, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht hat. Da darf man sich dann auch nicht wundern, dass viele der Politik nicht mehr vertrauen, nicht wählen gehen – oder Extremisten wählen – und sich abwenden von unserem Wohlfahrtsstaat und Ordnungssystem. Das ist brandgefährlich.
Die Welt ist nun mal nicht perfekt. Aber warum sollte es in einer Leistungsgesellschaft verwerflich sein, ein Millionenvermögen zu verdienen und dann dafür mit höheren Steuern bestraft zu werden?
Alles nur Narrative! Es stimmt, viele Menschen nehmen Steuern als etwas Schlechtes wahr. Aber mit Steuern werden Straßen asphaltiert, Trinkwasser aufbereitet, Krankenhäuser gebaut, Bildung finanziert und die Polizei ausgerüstet, die für die Sicherheit aller Steuerzahler sorgt. Ich empfinde Steuern nicht als Strafe. Wir haben uns als Gesellschaft für den Wohlfahrtsstaat entschieden und der lebt nun mal davon, dass wir alle einen gerechten finanziellen Betrag dazu leisten. Die Leistungsgesellschaft ist aktuell nur noch eine fromme Lüge, die uns von klein auf eingeredet wird. Jeder glaubt, wohlhabend werden zu können, wenn man nur fleißig arbeitet – aber das ist einfach nicht so! Von zehn vermögenden Menschen haben vier wie ich geerbt. Wir haben dafür nichts geleistet und müssen darüber hinaus kaum Steuern dafür zahlen. Es ist schlimm, wie das akzeptiert wird, während wir gleichzeitig darüber diskutieren, denen, die am untersten Rand der Gesellschaft leben und arbeiten, die Sozialleistungen zu kürzen, um unseren Bundeshaushalt zusammenzubekommen. Da wird auf den Schwächsten herumgeritten, damit wir uns bloß nicht mit den Reichen anlegen müssen.
Vier von zehn Reichen erben ihr Vermögen – das bedeutet doch auch, dass ein Großteil der Wohlhabenden sich ihren Reichtum tatsächlich selbst erarbeitet.
Daraus kann man aber nicht ableiten, dass jeder die Chance dazu hätte. Diese sechs der zehn Vermögenden, die das „aus eigener Kraft“ schaffen, sind statistisch gesehen männlich, weiß, im gehobeneren Alter, ohne Migrationshintergrund und leisten keine Care-Arbeit. Damit haben enorme Bevölkerungsgruppen diese Möglichkeit nicht. Wer außerdem glaubt, durch fleißiges Arbeiten in einem normalen Job und Sparsamkeit zum Millionär werden zu können, täuscht sich. Das durchschnittliche Nettoeinkommen in Deutschland liegt bei 34.000 Euro, die durchschnittliche Sparquote bei etwa zehn Prozent. Bis man da eine Million angespart hat, braucht man knapp 300 Jahre. Und dann versuchen Sie mal, mit einer Million in München eine Wohnung zu kaufen.
Ihre Initiative „taxmenow“ will nicht dafür sorgen, dass man schneller Millionär wird, sondern fordert, diejenigen, die es schon sind, stärker zu besteuern. Was konkret soll sich ändern?
Wir haben fünf konkrete Forderungen. Zuallererst muss die Erbschaftssteuer reformiert werden. Eigentlich sollte die mit der Höhe der Erbschaft auf bis zu 30 Prozent steigen. Weil es aber so viele Ausnahmen und Schlupflöcher gibt, können gerade Erben von Vermögen über 20 Millionen Euro die Erbschaftssteuer auf rund ein Prozent drücken. Das ist verfassungswidrig und deshalb gerade wieder auf dem Weg nach Karlsruhe. Die zweite Reform, die wir fordern, betrifft die Vermögenssteuer: Die gibt es in Deutschland, sie ist allerdings seit fast 30 Jahren ausgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 1995, die Erhebungsmetode sei nicht verfassungskonform. Die Vermögenssteuer an sich steht allerdings im Grundgesetz. Seit fast drei Jahrzehnten haben Regierungen die Aufgabe, sie endlich wieder anwendbar zu machen, passiert ist bisher aber nichts. Das muss sich ändern!
Sie wollen also im Grunde nur, dass der Staat die Steuerwerkzeuge, die er hat, auch angemessen nutzt?
Genau! Auch unsere dritte Forderung bezieht sich auf eine Steuer, die es schon gibt: die Kapitalertragssteuer. Aktuell liegt die pauschal bei 25 Prozent. Wir sind allerdings der Meinung, sie sollte wie die Einkommenssteuer progressiv erhoben werden. Wenn Menschen arbeiten, steigt die Steuer mit der Höhe des Einkommens. Wenn ich mein Geld für mich arbeiten lasse, zahle ich immer nur 25 Prozent – das ist nicht fair. Als Viertes schlagen wir außerdem vor, als Gesellschaft über eine einmalige Vermögensabgabe zu debattieren, um beispielsweise die Corona-Schulden zu tilgen. Und zu guter Letzt müssen die Finanzbehörden bei uns technisch und personell besser ausgestattet werden, um Steuerdelikte zu verhindern. Aktuell gehen dem Staat so jedes Jahr Milliarden verloren.
Wer wäre denn „reich genug“, um von Ihren Maßnahmen betroffen zu sein?
Einen bestimmten Grenzwert, ab dem man „reich“ ist, gibt es nicht. Auch die Statistiken sind hier ungenau, weil reiche Menschen meist nicht so gern über die Höhe ihres Vermögens sprechen. Aber wir gehen davon aus, dass etwa 35.000 Haushalte in Deutschland von unseren Forderungen betroffen wären. Also sicher nicht der Erbe von Omas Häuschen oder der Kleinunternehmer mit der Schreinerei um die Ecke.
Gerade aus dem Mittelstand werden immer wieder die Bedenken geäußert, solche Steuermaßnahmen könnten zum Ruin von Unternehmen führen. Alles nur Angstmacherei?
Es ist keine einzige Firma bekannt, die aufgrund der Erbschaftssteuer pleite gegangenen ist. Erbschaften und Schenkungen sind vorhersehbare Ereignisse, das heißt, ich kann dafür Vorsorge treffen. Bereits jetzt gibt es die Möglichkeit, die Erbschaftssteuer zu stunden, sie in Raten zu zahlen oder sie durch eine sogenannte „stille Beteiligung“ des Staates zu tilgen. Also es gibt bereits viele Möglichkeiten, allerdings werden sie häufig nicht genutzt.
Deutschland gilt als Spitzensteuerland, und Sie wollen noch höhere Steuern – würde das nicht dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden?
Nein. Deutschland ist nur beim Einkommen im internationalen Vergleich ein Spitzensteuerland, Vermögen besteuern wir hierzulande hingegen so gering wie kaum ein anderes Land in Europa. Außerdem halte ich es für irreführend, den Erhalt von Arbeitsplätzen gegen solche Reformen ins Feld zu führen. Denn nicht nur vermögende Menschen können Arbeitsplätze schaffen. Die Bevorzugung von reichen Familienunternehmen macht es allerdings für Gründer neuer Unternehmen schwieriger, ihrerseits Arbeitsplätze anzubieten. Umverteilung bedeutet nicht, dass Geld verbrannt wird, sondern nur, dass es auf andere Menschen verteilt wird, die damit ebenfalls etwas Konstruktives tun könnten. Die Wirtschaft würde insofern klar von Umverteilung profitieren.
Verpflichtende steuerliche Maßnahmen, wie „taxmenow“ sie fordert, sind aber nicht der einzige Weg: Wie wäre es denn, mehr auf freiwillige Spenden von Reichen zu bauen?
Gegenfrage: Sie zahlen doch auch Steuern auf Ihr Einkommen und alles, was Sie einkaufen – wurden Sie gefragt?
Nein …
Aber warum lässt man uns Reichen – einer verschwindend kleinen Minderheit – diese Freiheit? Das ist doch nicht gerecht! Wir haben uns alle dazu verpflichtet, etwas zu diesem Sozialstaat beizutragen. Da kann es nicht sein, dass diejenigen mit viel Geld das auf freiwilliger Basis machen dürfen. Zumal das im Falle von Spenden überhaupt nicht legitimiert oder kontrolliert ist. Die wenigsten Großspenden erfolgen darüber hinaus ohne Hintergedanken, selbst wenn sie äußerlich philanthropisch aussehen. Ich bin der Meinung, gesellschaftliche Leistungen und Probleme, die uns alle betreffen, sollten nicht vom Gutdünken einzelner abhängig sein. Das ist mittelalterlich und nennt sich Feudalsystem!
Auch wenn nur 35.000 Haushalte betroffen wären und der Großteil der Bevölkerung Ihren Aussagen zufolge von Ihren Forderungen profitieren würden, sind Steuerreformen unpopulär. Warum finden sie keine Mehrheit?
Grundproblem ist, dass die Mehrheit – und zu der zähle ich mich auch – viel zu wenig Ahnung von Steuern hat. Kaum einer kann politische Forderungen und Entscheidungen zu Steuerthemen richtig einschätzen. Hinzukommt das Leistungsnarrativ: Wer glaubt, durch Fleiß einmal wohlhabend zu werden, glaubt auch daran, irgendwann einmal von derartigen Steuermaßnahmen betroffen zu sein. Statistisch betrachtet, ist das sehr unwahrscheinlich, aber die meisten Menschen schätzen sich in finanzieller Hinsicht nun mal falsch ein. Außerdem zeigt hier jahrzehntelange Lobbyarbeit ihre Wirkung. Lange genug wurde behauptet, dass Geld in den Händen weniger Reicher gut aufgehoben wäre und den Rest ohnehin der Markt regelt. Das stimmt aber einfach nicht.
Wie kommt Ihr Engagement bei anderen Wohlhabenden an?
Da wird schon divers über Wohlstand debattiert. Aber letztlich ist das ja das Schöne an der Demokratie: Ich muss nicht meine Blase der Reichen überzeugen, sondern die Mehrheit der Bevölkerung. Viele sehen in vermeintlicher Misswirtschaft mit Steuergeldern ein Argument gegen höhere Steuern. Wenn wir unzufrieden mit der Nutzung von Steuergeldern sind, dann haben wir demokratische Mittel, etwas dagegen zu tun. Aber deshalb darf niemand seine Steuern zurückhalten. Warum lassen wir das bei einer reichen Minderheit zu?
Zum Abschluss: Wie könnte Deutschland denn von einer höheren Besteuerung Wohlhabender profitieren?
Zu konkreten Vorhaben äußern wir uns bei „taxmenow“ nicht. Aber uns allen sind Felder bekannt, in denen Geld eine wichtige Rolle zur Lösung von Problemen spielt: Mehr Kita-Plätze, ein besserer öffentlicher Nahverkehr, höheres Bürgergeld, ein wirksamerer Kampf gegen die Klimakatastrophe – jedem fällt da etwas ein. Teilweise könnte man sogar mehrere Probleme auf einmal lösen. So sind zum Beispiel vermögende Menschen überproportional für klimaschädliche Emissionen verantwortlich – beides könnte man also zugleich reduzieren. Auch der Bildungsbereich könnte von mehr Steuergeldern profitieren, während zugleich die Bildungschancen fairer verteilt würden. Da profitieren wohlhabende Haushalte aktuell auch stark von der Ungleichheit. Infrastruktur, Gesundheitsvorsorge, Energieversorgung – die Liste der Bereiche, die von den Steuermehreinnahmen profitieren würden, ist lang. Zugleich würde es auch schon helfen, die Ungleichheit zu reduzieren. Wir haben in diesem Land eine große Unzufriedenheit und Probleme, die das Vertrauen in die Demokratie schwächen. Aber die Mittel, diese Probleme zu lösen, sind da – ohne dass wir dafür bei den Bauern und beim Bürgergeld sparen müssen.