Mutig und zuversichtlich in das neue Jahr gehen – achtzig Jahre „Von guten Mächten“
Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten“ schenkt Hoffnung und Trost – ein Weihnachtsgruß, der bis heute Menschen in dunklen Zeiten begleitet. Der evangelische Theologe und Märtyrer hat das Gedicht vor 80 Jahren in Gefangenschaft geschrieben.
Wir schreiben das Jahr 1944: Dietrich Bonhoeffer, ein lutherischer Theologe, der sich der Bekennende Kirche angeschlossen hatte, sitzt in Berlin im Gefängnis. Inhaftiert wurde er bereits im April 1943, weil er einer Widerstandsgruppe angehörte, die sich vehement gegen den Nationalsozialismus wehrte. Die Lage um Bonhoeffer hatte sich zunehmend zugespitzt. Auch jetzt, in der Gestapo-Haft. Es steht Spitz auf Knopf. Das Todesurteil schwebt wie ein Schwert über dem Pfarrer.
Und so verfasst Bonhoeffer am 19. Dezember 1944 einen Brief an seine Verlobte, Maria von Wedemeyer. Es scheint, als ob Bonhoeffer von seinem zukünftigen Schicksal gewusst hätte. Denn der „Weihnachtsgruß“ an seine Familie atmet den Geist des Abschieds. „Ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen“, legt Bonhoeffer seinem Weihnachtsgruß bei. Sie beginnen mit den Worten: „Von guten Mächten treu und still umgeben…“. Am 09. April 1945 wird Dietrich Bonhoeffer vier Wochen vor Kriegsende hingerichtet.
Bonhoeffer trifft die Sehnsucht der Menschen
„Von guten Mächten treu und still umgeben…“: Achtzig Jahre nachdem Bonhoeffer seinen Weihnachtsgruß verfasst hat, haben diese Worte eine sehr große Prominenz erlangt. Es gibt kaum jemanden, der nicht zumindest den Anfang dieses Liedes zitieren könnte. Ausgewählte Verse des Gedichtes finden sich mittlerweile überall: auf Grußkarten, in Todesanzeigen, auf Grabsteinen… Und die Anlässe, zu denen das mittlerweile vertonte Gedicht gesungen wird, sind vielfältig: Von Taufen bis Hochzeiten, von Beerdigungen bis zum Jahreswechsel. Die Anlässe sind vielfältig. Und sie zeigen: Bonhoeffers Text ist nicht nur prominent, er scheint vielen Menschen auch aus der Seele zu sprechen. Er greift Themen und Motive auf, die Menschen in ihrem Leben immer wieder erfahren.
„Von guten Mächten treu und still umgeben…“: Wir erfahren nicht, was Bonhoeffer mit diesen „guten Mächten“ meint. Im christlichen Kontext könnte man vielleicht an Engel denken. Sie sind in unserer Spiritualität tief beheimatet. Das Bild des Schutzengels hing viele Jahrzehnte in den Kinder- oder Schlafzimmern. Behütet sein, umgeben, geschützt: Das ist eine Ursehnsucht von sehr vielen Menschen. Gerade jetzt am Jahreswechsel stellt sich die Frage: Wer schützt mich in diesem neuen Jahr? Kann ich mich geborgen fühlen, umsorgt, wenn mich Schicksalsschläge treffen?
Umgeben zu sein von guten Mächten, die nichts Böses im Schilde führen, die treu und still einfach da sind: Wer solches erfahren darf, der kann zuversichtlich und hoffnungsvoll in das neue Jahr gehen. Der kann gewiss sein: Was auch kommen mag, ich bin behütet, ich bin von einer positiven Aura umgeben. Nichts kann mir etwas anhaben. „So will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr“: Wer so lebt, der kann auch schlimme Tage aushalten. Man muss nicht verzweifeln ob so vielen Dingen, die von außen hereinprasseln und einen herausfordern. Hoffnungsvoll auf das Neue zugehen. Behütet, begleitet und geschützt vom Guten.
Bonhoeffer fährt in seinem Gedicht mit folgenden Worten fort: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, (…) so nehmen wir ihn dankbar, ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand“. Wer diese Verse hört, wird vielleicht gedanklich an den Gründonnerstag zurückversetzt. Denn im Evangelium erfahren wir, dass Jesus am Ölberg mit diesen Worten betete: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Es kommt im Leben nicht immer alles so, wie man sich das vorstellt oder wünscht. Jesus selbst hat das erfahren müssen. Auch Dietrich Bonhoeffer hat es durchlebt. Der „bittere Kelch“, der einem manchmal gereicht wird, ist unausweichlich.
Auch im Leiden innerlich gefestigt bleiben
Die Frage ist immer, wie wir mit ihm umgehen: Man kann sich ewig mit seinem Schicksal herumschlagen. Warum gerade ich? Warum muss mir so etwas passieren? Hätte nicht alles anders kommen können? Bonhoeffer rät uns zu einem anderen Umgang: Nicht fragen, warum, sondern annehmen. Nicht klagen, sondern zuversichtlich auf die Zukunft zugehen! Der bittere Kelch soll „ohne Zittern“ genommen werden. Ein starkes Bild! Auch die Dinge, die uns nicht gefallen, sollen wir annehmen – und zwar so, als wären wir fein mit ihnen. Wer so lebt, den kann nichts mehr erschrecken. Wer so lebt, der ist innerlich so stark und gefestigt, dass ihn nichts und niemand mehr umwerfen kann.
Der Trost von Weihnachten: Licht in der Dunkelheit
Diesen Gedanken führt Bonhoeffer in der fünften Strophe seines Gedichtes fort: „Lass warm und still die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht. Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es: Dein Licht scheint in der Nacht.“ Ein Text, der gerade in der Zeit um den Jahreswechsel seine ganze Bedeutung entfaltet. In der dunkelsten Zeit des Jahres zeigt sich ganz besonders, welche große Wirkung eine Kerze hat, die in der Nacht aufgestellt wird. Die Christbäume und die vielen Weihnachtsbeleuchtungen lassen die Nacht hell erstrahlen. An Weihnachten feiern wir, dass Christus, das Licht der Welt, für uns und für unser Leben aufgestrahlt ist. „Dein Licht scheint in der Nacht“:
In diesen weihnachtlichen Tagen können wir das erleben. Es gibt keine Finsternis mehr, wenn wir unsre Lichter erstrahlen lassen. Wenn wir uns anzünden lassen von Christus, dem Licht der Welt, und selbst in die Dunkelheit dieser Nacht hinausstrahlen. Es gibt in dieser Welt kein Dunkel mehr, weil wir als Christinnen und Christen als „Kinder des Lichtes“ vom Licht her leben und uns von seiner Wärme und Helligkeit anstecken lassen. Auch die brennenden Kerzen, von denen Bonhoeffer spricht, sind ein Hoffnungsbild. Wir sollen nicht mutlos in die Zukunft des neuen Jahres hineingehen. Sondern uns immer vor Augen halten, dass jede Kerze fähig ist, das Dunkel zu vertreiben und die Nacht zu erhellen.
Das Ziel, auf das Bonhoeffers Text zuläuft, ist die siebte und letzte Strophe seines Gedichtes. Sie lautet: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Wie bereits am Anfang, so hören wir auch am Ende wieder von den guten Mächten, die das Leben wunderbar bergen. Wer ihre schützende Macht erfährt, der getrost erwarten, was kommen mag. Nichts und niemand kann seinem oder ihrem Leben etwas anhaben.
Gott ist für dich da: Mit Zuversicht ins neue Jahr
Die Schlusszeilen des Gedichtes konkretisieren diesen Gedanken aus einer weihnachtlichen Perspektive: Wir feiern an Weihnachten die Geburt des Immanuel, des Gottes, der mit uns ist, der uns auf unserem Lebensweg begleitet. „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“: Das ist die Zusage der Heiligen Nacht von Betlehem. Das ist die Zusage des Gottesnamen, der Mose am Horeb offenbart wird: „Ich bin der Ich-bin“, ich bin der Gott, der für dich da ist. Wer so lebt, der kann sich fallen lassen. Weil man nie tiefer fällt als in Gottes Hand! Er ist da für uns: Das feiern wir an Weihnachten und begleitet von diesem Gedanken begehen wir den Jahreswechsel. Das ist die Perspektive, mit der wir in dieses neue Jahr hineingehen sollen.
Auch achtzig Jahre nachdem Dietrich Bonhoeffer das Weihnachtsgedicht an seine Familie geschrieben hat, ist es noch hochaktuell. Denn es lädt ein, Menschen voller Hoffnung zu sein, die sich von nichts und niemandem unterkriegen lassen. Der Text motiviert, sich nicht erschüttern lassen von all dem, was in unserer Welt gerade tobt. Sondern Ruhe zu bewahren, sich auf die innere Mitte zu konzentrieren und von dort her still und gelassen zu sein. Mit der christlichen Brille gelesen heißt das: Gewiss zu sein, dass Gott mitgeht, dass er unser Leben begleitet und beschützt. Dass er seine Engel sendet, die das Leben umschirmen und bewahren.
Wer so lebt, der braucht sich um die Zukunft keine Sorgen zu machen. Wer so lebt, der kann erhobenen Hauptes in das neue Jahr hineingehen. Egal, was auch kommen wird, es wird gut werden! Das ist die Perspektive, mit der Dietrich Bonhoeffer, im Gefängnis sitzend, den Tod vor Augen, in das neue Jahr hineingeht. Er lädt uns ein, diese Perspektive zu teilen.