Meine Tochter ist tot. Wo ist ihre Seele jetzt?
„Wo ist die Seele von Hannah jetzt?“ Diese Frage verschlägt der Pfarrerin Kathrin Bolt erst einmal den Atem. Was soll sie dem Vater von Hannah, die mit 16 Jahren gestorben ist, antworten? - Sie erzählt von ihrer Unsicherheit in der Begegnung und warum sie dennoch immer wieder auf Trauernde zugeht. Und denkt darüber nach: Wie kann man mit dem Tod leben lernen? Was passiert mit der Seele nach dem Tod? Und was kann Trost und Hoffnung wecken, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist?

Wir müssen damit leben, dass Menschen, die uns wichtig sind, sterben können. Und damit, dass unsere eigene Lebenszeit begrenzt ist. Das ist gar nicht einfach - im Gegenteil! Der Tod eines Menschen kann unser Leben aus der Bahn werfen und in eine tiefe Krise stürzen.
Immer schon haben sich Menschen Gedanken darüber gemacht, was der Tod ist, und wie wir damit leben können, dass alle von uns irgendwann sterben. Und manche viel zu früh – so wie Hannah!
Vor tausenden von Jahren hat jemand in einem Gebet, einem biblischen Psalm geschrieben: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns!“ (Psalm 90,12a) Und fährt mit den Worten fort: „Dann gewinnen wir ein weises Herz.“
Leben mit dem Tod: Geht das?
Wir können nicht mit dem Tod leben, wenn wir nicht anfangen, mehr darüber zu sprechen! Der Tod ist in unserer Gesellschaft ein großes Tabuthema, mit dem man umgeht wie mit einem rohen Ei. Kaum jemand wagt es, das Thema anzusprechen - und wenn, dann nur ganz leise, hinter vorgehaltener Hand.
Trauernde erzählen mir, dass man ihnen aus dem Weg geht, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Viele wechseln sogar die Straßenseite oder tun so, als hätten sie einen nicht gesehen. Das erzählt auch der Vater von Hannah: Er kennt viele Menschen, aber die meisten haben Angst, von Hannah zu sprechen. Ja, sogar enge Freundinnen und Freunde melden sich nicht mehr.
Ich selbst finde es auch unangenehm, Trauernden zu begegnen. Und bin auch als Pfarrerin oft nervös, ob ich die richtigen Worte finde, aber ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, trotzdem nachzufragen. Trotzdem auf Trauernde zuzugehen. Denn niemand sollte in so schweren Momenten allein sein.
Den Tod in den Alltag einbinden
Vermutlich könnten wir Trauenden besser begegnen, wenn wir den Tod im Alltag mehr thematisieren würden. Wenn wir einander zum Beispiel die Frage stellen, was wir für Erfahrungen haben mit dem Tod, mit dem Abschied nehmen. Oder auch ganz konkret, wie wir uns unseren eigenen Tod vorstellen:
- Haben wir Angst davor? Wovor fürchten wir uns am meisten?
- Möchten wir unsere Organe spenden?
- Soll unser Körper einst verbrannt werden?
Wir können dem Tod ein wenig von seinem Schrecken nehmen, wenn wir ihn nicht als unausgesprochenes Wort in uns tragen, sondern immer wieder ganz selbstverständlich von ihm reden. Denn der Tod ist nicht nur schlimm. Er gibt uns auch die Gelegenheit, jeden Tag als Geschenk zu sehen! Und Menschen, mit denen wir gern Zeit verbringen, als kostbar zu sehen – und ihnen das auch zu sagen, solange das möglich ist. Unsere Lebenszeit ist nicht selbstverständlich, und das macht sie besonders und einmalig.
So gesehen ist die Tatsache, dass unser Leben ein Ende hat, auch eine Ermutigung. Wer die biblischen Worte ernst nimmt: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns!“ kann auch sagen: Unsere Tage mit Leben zu füllen, lehre uns!“
Was geschieht mit unserer Seele, wenn wir sterben?
Für den Vater von Hannah allerdings ist es nicht möglich, den Tod als Ermutigung zu sehen. Das Gespräch mit ihm fordert mich heraus, über das Leben im Hier und Jetzt hinaus zu denken und zu fragen:
- Was geschieht mit uns, wenn wir sterben?
- Gibt es ein sogenanntes Leben nach dem Tod?
- Sind wir doch für die Ewigkeit gemacht, nicht einfach nur für das irdische Leben?
Als Pfarrerin setze ich mich fast täglich mit dieser Frage auseinander und es rührt mich, dass Hannahs Vater von mir eine Antwort wünscht. Und gleichzeitig werde ich bei so einer Frage auch verlegen, weil ich eben keine fertige, stimmige Antwort bereit habe. Weil ich keine eigene Erfahrung habe, wie es ist, zu sterben, und was danach kommt.
Kein billiger Trost
Es gibt Hoffnungsbilder und Verheißungen. Es gibt den Glauben, der sagt: Bei Gott findet deine Seele zur Ruhe. Ist sie aufgehoben: im Großen Ganzen. Im ewigen Licht. In der Seligkeit. Auch nach dem Tod. Aber wie soll ich das Hannahs Vater sagen, ohne dass es nach Pfarrerinnen-Floskel klingt oder nach billigem Trost? Wie kann ich von Hoffnung sprechen, so dass ich es auch selbst glaube?
Für mich persönlich ist ein biblisches Schlüsselwort der Vers: „Gott hat den Menschen die Ewigkeit in ihr Herz hineingelegt.“ (Kohelet 3,11) Das ist für mich die Seele: Ein kleines Stück Ewigkeit in jedem von uns, das bleibt, wenn der Körper nicht mehr da ist; und das zum Zug kommt, wenn das geschieht, was Jesus als „Auferstehung“ bezeichnet.
So etwa habe ich versucht, Hannahs Vater von meinem Glauben zu erzählen. Aber wichtig war mir auch, von ihm zu hören: Was er glaubt und hofft, was ihm Trost gibt.
Ein helles, warmes Licht
Hannahs Vater liest viele Bücher; zuletzt ein Buch über Menschen, die bei Nahtoderfahrungen ein helles, warmes Licht gesehen haben, nach dem sie sich jetzt täglich sehnen. Das zu lesen, hat ihm gutgetan.
Die Erfahrung mit Hannahs Vater hat mir gezeigt, wie wertvoll es ist, über den Tod zu sprechen und auch über die Frage, was dann kommt. Gemeinsam zu suchen: Was könnte uns trösten? Woran können wir glauben? So haben Hannahs Vater und ich weiterdiskutiert und uns gefragt: Sind uns vielleicht die Frauen, die vor 2000 Jahren am Kreuz von Jesus getrauert haben, ein Trost? Die Frauen, die später erzählen, Jesus sei auferstanden? Ihre Zuversicht und Freude scheint bis heute ansteckend zu sein.
So bleibt Hannahs Seele spürbar
Hannahs Vater ging gestärkt aus unserem Gespräch, auch wenn seine Frage noch lange nicht beantwortet ist. Und seine Trauer noch lange währen wird.
Was mich an ihm beeindruckt: Er hört nicht auf, von seiner Tochter zu erzählen und davon, wie besonders sie war; und wie stark. Er behält seine große Trauer nicht für sich, sondern lässt zu, dass andere daran teilhaben und so auch mit ihm daran wachsen können. Schon allein dadurch bleibt Hannahs Seele spürbar.
Durch die Begegnung mit Hannahs Vater ist mir neu deutlich geworden: Lasst uns reden über den Tod. Und das Leben. Und über das, was darüber hinaus geht!
Wir danken dem Podcast und Blog „Sternenglanz – Spirituelle Gedanken für deinen Feierabend“, dass wir diesen Beitrag in leicht überarbeiteter Form übernehmen durften. Alle 14 Tage erscheint eine neue Folge des Podcasts „Sternenglanz“ mit Kathrin Bolt und Carsten Wolfers und ein entsprechender Blogbeitrag.