Der beste Reiseführer
Überrascht entdeckt Andreas Knapp bei seiner Fahrt durch Rumänien, welch guter Reiseführer die Bibel ist.
Vor einigen Jahren reiste ich mit Freunden nach Rumänien und wir besichtigten auch die berühmten Moldauklöster. Diese orthodoxen Klöster sind vor allem wegen der bemalten Außenwände ihrer Kirchen bekannt: In bunten Farben leuchten großflächige Fresken, auf denen Szenen aus dem letzten Buch der Bibel, aus der „Offenbarung des Johannes“, dargestellt sind: Pferde spucken Feuer und Schwefel. Sterne fallen vom Himmel. Ein Lamm sitzt auf einem Thron. Ich hatte eine kleine Taschenbibel mit auf die Reise genommen. Mit Hilfe des Bibeltextes ließen sich viele der merkwürdigen Bilder entziffern. Während wir also vor den Malereien standen und ich vorlas, gesellte sich eine Gruppe von Deutschen dazu und folgte aufmerksam der Beschreibung der Bilder. Am Ende sprach mich eine Frau an und fragte: „Was haben Sie denn da für einen tollen Führer?“ Ich antwortete schlicht: „Eine Bibel!“
Tipps für die Lebensreise
Zur Entschlüsselung von Bildern in Kirchen mag die Bibel ja noch nützlich sein. Aber kann ein so altes Buch einem modernen Menschen noch als Reisebegleiter und Wegweiser dienen? Die Bibel erzählt von Menschen, die unterwegs sein: Auf der Suche nach Neuland, als Asylanten, Händler, Pilger. Irgendwie sind wir Menschen auch nach der Sesshaftwerdung immer noch Nomaden geblieben. Tief in uns wohnt eine Unruhe, die uns selbst in der schönsten Wohnung noch umtreibt. Die biblischen Geschichten deuten diese Sehnsucht als einen inneren Kompass, der uns auf Gott hin ausrichtet. Meine Lieblingsfigur ist Abraham: „Eigentlich“ ging es ihm gut und er hatte sein Auskommen. Das „eigentlich“ verrät jedoch, dass ihm noch etwas fehlt. Seine Aufbruchstimmung deutet er als Stimme Gottes. Und so macht er sich auf den Weg, ohne das Ziel schon zu kennen. Er vertraut darauf, dass er nicht allein aufbricht und sein Weg nicht ins Leere läuft. Vielmehr hofft er darauf, dass Gott ihn begleiten und ihm Schritt für Schritt ein neues Land zeigen wird. Abraham ist für mich wie ein Pilgerführer, der mich zum Vertrauen einlädt: Ich muss noch nicht genau wissen, wohin mich meine Wege führen (obwohl ist das nur zu gerne wüsste und mir meine Route berechnen ließe). Wohin mich manche Aufgaben, Verpflichtungen, Engagements führen, sehe ich oft erst, wenn ich schon ein gutes Stück des Weges hinter mir habe.
Und auch im Unterwegssein mit anderen, in Freundschaften und Beziehungen, gibt es keinen Routenplaner. Nur im Vertrauen kann ich den jeweils nächsten Schritt wagen – hoffend, dass der Boden mich trägt. Dass Gott mich leise begleitet. Im Neuen Testament wird ein besonderer Reisebegleiter empfohlen: Der Heilige Geist, der schon für die abenteuerlichen Fahrten des Paulus ein bewährter Begleiter gewesen ist. Es braucht aber eine besondere Aufmerksamkeit, um die leisen Winke wahrzunehmen, die der göttliche Geist unterwegs gibt: Manchmal sind es unverhoffte Begegnungen oder unerwartete Hindernisse, die zu einer Neuorientierung führen.
Ein Guide, auf den man sich verlassen kann
Mit „Reiseführer“ meint man oft ein Buch. Das Wort kann aber auch eine Person bezeichnen: Ein Reiseführer ist eine erfahrene Person, die andere bei einer Fahrt gut begleiten und der man vertrauen kann. Ganz ähnlich ist es auch in der christlichen Religion letztlich kein Buch, an dem sich Glaubende orientieren. Vielmehr ist es eine lebendige Person, die mit ihnen unterwegs ist und von der sie sich bisweilen auch an die Hand nehmen lassen: Jesus von Nazareth. Um mich an Jesus von Nazaret zu orientieren, greife ich immer wieder zu den um Evangelien. Dort kann ich mich oft wiederfinden mit meinen Fragen, Hoffnungen, Sorgen, mit meinem Zweifel und Dank. Und wenn ich den Eindruck hatte, dass ich mich irgendwo allein durchkämpfen musste, dann ist es ein Geschenk, wenn mir hinterher aufgeht: Ich war und bin nicht allein. Es gibt einen diskreten Freund, der mit mir geht. Durch dick und dünn. Durch Schönes und Hässliches. „Muss ich auch wandern durch finstere Schlucht – ich fürchte mich nicht. Denn du bist bei mir!“ (Psalm 23, 4)
Ein Reiseführer hat seinen Sinn erst dann erfüllt, wenn man sich mit ihm auf den Weg macht. Die Lektüre im Liegestuhl mag zwar die Phantasie beflügeln, wie großartig der beschriebene Landstrich sein muss. Letztlich aber geht es darum, dass die Lesenden aufbrechen und das Land selber erfahren. Ähnlich will auch die Bibel nicht im Bücherregal verstauben oder bloß als fromme Sonntagslektüre dienen. Der Sinn der Bibel liegt darin, dass sie einen durch den Alltag begleitet. Sie hilft, Begegnungen und Erlebnisse zu deuten. Sie lädt zu ungeahnten Wegen ein und schärft dabei die Sinne für das Mitgehen Gottes. In den Spuren des Wanderpredigers aus Nazaret kann sich unser innerer Mensch wandeln. Kann aus sich selber heraus aufbrechen. Und wer sich so verlässt, findet in eine neue Weite, die Jesus als „Reich Gottes“ bezeichnet. In diesem Sinne: Gute Reise!