Demokratie und Religion brauchen einander
Knapp drei Wochen nach dem terroristischen Messerattentat von Solingen haben das Bayerische Innenministerium und die Hanns-Seidel-Stiftung zu einem Austausch zur Frage „Weil viel Religion braucht die Demokratie“ eingeladen. Dabei ist deutlich geworden, wie beide gerade jetzt voneinander lernen können.
Was Demokratie von autoritären Staatsformen unterscheidet, zeigte sich gleich zu Beginn der Tagung: Sie kann Fehler einräumen und um Verzeihung bitten, damit ein Dialog nicht abbricht. Jedenfalls entschuldigte sich der bayerische Innen- und Integrationsminister Joachim Herrmann gleich zur Begrüßung bei den Muslimen in Bayern, „die das Land so vielfältig bereichern“.
Religiöse Extremisten schaden eigener Gemeinschaft
Sein Ministerium hatte ein Aufklärungsvideo veröffentlicht, das vor den Gefahren des Salafismus warnt und das der Minister vorab nicht gesehen hatte: „Dabei sind von der beauftragten Agentur Bilder verwendet worden, die aus meiner Sicht einfach nicht akzeptabel sind, darum habe ich das gestoppt“, erklärt der Politiker gegenüber innehalten.de in einer Tagungspause. Sie hätten den Eindruck erwecken können, „dass es sich um eine Attacke gegen die islamische Welt insgesamt handelt“. Dennoch sei es auch „notwendig und richtig“ vor den Gefahren des Salafismus zu warnen, „das gehört zur Arbeit des Innenministeriums und des Verfassungsschutzes“.
Dass islamistische Gewalttäter die Demokratie bedrohen und gleichzeitig die eigene Religion, davon ist auch Benjamin Idriz überzeugt. Der Imam der Moschee im oberbayerischen Penzberg fordert seine Gemeinde bei jedem Freitagsgebet dazu auf, Mordanschläge wie vor wenigen Wochen in Solingen klar zu verurteilen und sich selbst für die Demokratie zu engagieren, auch um sie vor Extremisten zu schützen.
Entfaltungsmöglichkeit für Religionen
Gleichzeitig beklagt der islamische Geistliche, dass die zunehmenden Anschläge, Beleidigungen und Übergriffe gegen Muslime gerne kleingeredet würden und wenig öffentliche Beachtung fänden. Auch das gefährde ein demokratisches Gemeinwesen, dessen Wert gerade er und mit ihm die meisten Muslime in Deutschland zu schätzen wüssten, erklärt Idriz im Gespräch mit innehalten.de: „Weil ich glaube, nur in der Demokratie können die Religionen sich entfalten und entwickeln, und nur in der Demokratie kann der interreligiöse Dialog blühen“. Dieser Dialog will bei allen Unterschieden einen unverrückbaren gemeinsamen Kern der monotheistischen Religionen herausschälen: die Würde des Menschen zu verteidigen, der nach ihrer Überzeugung ein Ebenbild Gottes ist, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten.
„Darum ist Religion schon immer in der Demokratie, durch das Recht auf Leben und die Gerechtigkeit, die sie verlangt“, unterstreicht Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, in seinem Impulsvortrag auf dieser Tagung. Das schließe insbesondere die Rechte und den Schutz Minderheiten mit ein. Doch gerade als Jude spüre er, „dass der Wind schärfer geworden ist, schärfer als ich mir das als gebürtiger Nürnberger bisher vorstellen konnte“.
Mehr Dialog, nicht weniger
Um diesem Klima der Angst und Unsicherheit etwas entgegenzustellen und das demokratische Gemeinwesen mitzugestalten, wünscht sich der Augsburger Bischof Bertram Meier, dass die Religionen „wieder einen Schulterschluss wagen“. Nach den Anschlägen und politischen Ereignissen im vergangenen Jahr hätten sich viele die Frage gestellt, „ob der interreligiöse Dialog nicht auf den Prüfstand gestellt werden muss und überhaupt noch einen Sinn hat“. Der Vorsitzende der Unterkommission Interreligöser Dialog in der Deutschen Bischofskonferenz fordert „aber gerade jetzt nicht weniger, sondern mehr Dialog“. Natürlich müsse dabei darauf geachtet werden, mit wem ein Gespräch geführt werden kann, „das von Respekt und Wahrhaftigkeit geprägt ist“. Doch gerade in „Zeiten, in denen die Demokratie auf den Prüfstand steht, wo völkisch-nationalistische Gedanken oder menschenverachtende Ideologien wieder entstehen, etwa beim Umgang mit Menschen mit Behinderung“, hätten die Religionen eine wichtige Aufgabe. Dabei könnten die Religionen auch von der Demokratie lernen: „Denn andererseits neigt jede Religion zur Verabsolutierung und zur Theokratie“.
Demokratie als respektvolle Kommunikationsform
Für Bertram Meier bedeutet Demokratie das Gegenteil „von dem, was wir vom Schafkopfen kennen: der Ober sticht den Unter“. Er begreift sie als „Kommunikationsform“ und als ständige Frage des respektvollen Umgangs miteinander: „Es ist ein Geben und Nehmen, und die demokratischen Gesellschaften tun gut daran, den Religionen ihren Platz im Zusammenleben zu garantieren“.
Die Religion aus Politik und Gesellschaft heraushalten zu wollen, wäre zudem „ein Akt der Geschichtsvergessenheit“, unterstreicht die frühere Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler: „Weil die entscheidenden Werte unserer Verfassung aus der Religion, aus der christlich-jüdischen Tradition kommen“. Die Religion aus dem demokratischen Diskurs zu verdrängen, „würde vielleicht auch dazu führen, dass man den Sinn dieser Werte nicht mehr hochhält und das wäre höchst bedauerlich, weil es in ihnen um die Achtung vor jedem Menschen geht“, so Susanne Breit-Keßler, die auch Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates und stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung ist.
Zu viel Nabelschau bei Religionen und Kirchen
Bekümmert ist die evangelische Theologin allerdings darüber, dass die Religionen zurzeit keine besonders aktive Rolle im demokratischen Diskurs spielen: „Leider sind sie im Moment sehr mit sich selbst befasst“, sagt sie im Gespräch mit innehalten.de und nennt als Beispiel die Kirchen, „die besorgt sind über die Abwanderungstendenzen“. Darüber vergäßen sie oft, „dass man Leute vielleicht gerade dadurch gewinnen könnte, dass man sich in der Gesellschaft engagiert und Menschen begeistert, mitzumachen und zu gestalten“. Da hofft sie auf Besinnung und wieder auf einen offenen Blick der Kirchen: „Wenn man nur Nabelschau betreibt, und schaut, was haben wir für Strukturen, was haben wir für Finanzen, das haut keinen mehr vom Hocker“. Die christlichen Kirchen, ebenso wie die anderen Religionen, müssten wieder deutlicher machen, „was ich für mein Leben profitieren kann von diesem Glauben“. Das könnte eine Demokratie im besten Sinne herausfordern und bereichern, und dazu braucht sie die Religionen.