Glaubenswelten
20.05.2025

Eine Enzyklika für die tägliche Gewissenserforschung

Rolf Lohmann ist Deutschlands katholischer „Umweltbischof“ und damit auch für das zehnjährige Jubiläum der Enzyklika Laudato si zuständig. Sie gilt als wegweisendes päpstliches Lehrschreiben, das sich ganz der Ökologie widmet. Im Interview spricht Weihbischof Lohmann über die bleibende Bedeutung der Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus. Ein Gespräch über Glaubwürdigkeit, Schöpfungsverantwortung und den langen Weg zu einer nachhaltigeren Kirche.
    

Logo der Deutschen Bischofskonferenz zum Laudato si Jubiläum. Logo der Deutschen Bischofskonferenz zum Laudato si Jubiläum. Foto: © DBK

Herr Weibischof Lohmann, zehn Jahre 10 Jahre Laudato si: Angesichts der fortschreitenden Umweltvernichtung muss man sich fragen, gibt es da etwas zu feiern?

Es hört sich vielleicht merkwürdig an: aber es ist ein Grund zu feiern, dass ein katholisches Kirchenoberhaupt in dieser Klarheit auf die von Menschen gemachten Missstände in der gesamten Schöpfung aufmerksam gemacht hat. Der am Ostermontag verstorbene Papst Franziskus hat von dem einen gemeinsamen Haus gesprochen und verdeutlicht, dass Tiere, Pflanzen und Menschen ein Ganzes bilden. Das führt diese Enzyklika eindrucksvoll vor Augen, verbunden mit dem Hinweis, dass in dieser Welt vieles nicht mehr stimmt und viel mehr passieren muss, um sie an nächste Generationen weitergeben zu können.

Anzeige


Worauf führen Sie zurück, dass vor zehn Jahren gerade diese Enzyklika so stark eingeschlagen hat? Liegt es nur an ihrem wuchtigen Stil oder am Thema?


Es liegt an einer Welt, die zunehmend durcheinandergerät.

Viele junge Menschen haben bei zahllosen Demonstrationen daran erinnert, dass es so nicht weitergehen kann, dass wir uns anders um diese Welt kümmern müssen. Vor diesem Hintergrund ist Laudato si entstanden und gelesen worden.

Deswegen, meine ich, ist es richtig, nicht nur daran zu erinnern.  Es ist kein Text von gestern. Diese Enzyklika ist ein Text, der uns heute beschäftigen muss, und ich bin sehr dankbar, dass er so stark rezipiert wird, gerade im außerkirchlichen Bereich. Das hat es zuvor nicht gegeben, dass ein Papst so dezidiert zu einer solchen Thematik eine solche Stellungnahme abgibt und eine solche Aufmerksamkeit über nationale und religiöse Grenzen erreicht. Nicht zuletzt deshalb, weil er den Reichtum und die Weisheit aller Kulturen würdigt, die helfen können, die ökologische Zerstörung aufzuhalten.

[inne]halten - das Magazin 12/2025

Geist der Freiheit

Für Kardinal Reinhard Marx ist Freiheit mehr als ein politisches Schlagwort - sie ist das zentrale Thema seines theologischen Denkens. Im Interview spricht er über ihre Wurzeln im chistlichen Glauben, über die Entwicklung der Kirche zur Verteidigerin von Freiheitsrechten und darüber, warum Freiheit immer auch Verantwortung bedeutet.

Lesen Sie im [inne]halten-Magazin unseren Themenschwerpunkt und weitere Geschichten und Berichte aus dem kirchlichen Leben.


Klingt so, als ob der Papst gar nicht seine eigene Kirche und ihre Gläubigen angesprochen hätte.


Die Bewahrung der Schöpfung ist eine der wichtigsten Aufgaben, die Gott uns übertragen hat. Die Kirche hat sich dieses Thema durch die Enzyklika noch einmal stärker angeeignet. Denn Glaubwürdigkeit können wir nur erreichen, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen:  in der Art und Weise, wie wir leben, wie wir mit der Schöpfung und Ressourcen umgehen. Daran werden wir gemessen. Ich würde sagen, Laudato si ist sowohl nach innen gerichtet als auch nach außen.


Innehalten-Buchempfehlungen

In unserem Michaelsbund-Shop haben wir Bücher-Highlights zum Thema "10 Jahre Laudato si" für Sie zusammengestellt. Lassen Sie sich inspirieren! Hier geht es zu unseren Buchtipps.


Inwiefern hat denn die Enzyklika tatsächlich etwas innerhalb der Kirche in Deutschland verändert?

Ich sehe das etwa daran, wie sich die Kirchengemeinden damit beschäftigen. Da geht es um die nachhaltige und energieeffiziente Ausstattung der Pfarrheime: die Photovoltaikanlage auf dem Dach oder das Heizungssystem. Ich glaube, Laudato si hat beschleunigt und ermutigt, was schon im Gang war. Auch bei scheinbaren Kleinigkeiten, etwa ob beim Pfarrfest Mehrwegbesteck und -geschirr verwendet wird.  Engagierte Gläubige, die das wollen, haben jetzt die Autorität einer Enzyklika auf ihrer Seite. Andererseits können viele nichtkirchliche Umweltverbände oder NGOs auf Laudato si verweisen, wenn die Kirche der Enzyklika nicht gerecht wird. Und sie hat die Deutsche Bischofskonferenz dazu veranlasst, 2021 erstmals einen Umweltschutzbericht vorzulegen. Mit entsprechenden Handlungsempfehlungen, etwa beim Thema Mobilität.


Weihbischof Rolf Lohmann. Weihbischof Rolf Lohmann. Foto: © Bistum Münster/Achim Pohl

Rolf Lohmann ist Weihbischof in Münster. In der Deutschen Bischofskonferenz ist der 62-Jährige Mitglied der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen und Vorsitzender der Arbeitsgruppe für ökologische Fragen. Zu dieser Aufgabe gehört auch die Erinnerung an das zehnjährige Jubiläum der Papst-Enzyklika Laudato si.


Auf der jüngsten Bischofskonferenz habe ich sehr viele Dienstwagen mit Verbrenner-Motoren gesehen und es soll dort auch üppig Fleisch zu den Mahlzeiten geben.

Ich gebe es zu: Auch bei uns gibt es grundsätzlich viel Luft nach oben. Aber es geht nicht im kleinklein darum, wer auf was verzichten muss. Ich halte es auch für bedenklich, wenn wir meinen, das Leben bis ins kleinste Detail regeln zu können. Aber Laudato si zwingt dazu, sich Fragen zu stellen, auch in Hinblick auf die weltweite soziale Gerechtigkeit. Da geht es nicht nur darum, dass Verzicht gut für den eigenen Körper gut sein kann, sondern um das gerechte Teilen von Ressourcen. Das hat ja sogar eine Entsprechung in traditionellen Riten der Kirche: etwa der Freitag als fleischfreier Tag oder die Fastenzeit. Da berühren sich Spiritualität und Politik ganz eng. Fragen der Ökologie haben auch in der Liturgie vorzukommen, müssen da einen Platz haben. Sie gehören in die Verkündigung der Botschaft Gottes, eines Gottes, der diese ganze Schöpfung liebt. Daraus entstehen ein Verantwortungsbewusstsein und eine ständige Gewissenserforschung, in der jeder Gläubige sein persönliches Handeln prüft und weiterentwickelt. Das führt, glaube ich, zu nachhaltigeren Veränderungen als eine Vorschrift, wie viel Fleisch bei einer Bischofskonferenz auf den Tisch kommen darf.

Wie lässt sich der Geist von Laudato si über die Predigt hinaus in der Liturgie entfalten?


Das kann in den Fürbitten sein oder in der bewussten Pflege oder auch Wiederentdeckung von sehr sinnvollen Traditionen. Etwa das Ritual der Wassersegnung, das ja deutlich macht, dass es der Quell des Lebens ist. Das gilt auch für die oft vergessenen Bittgänge für das Gedeihen der Feldfrucht. Wasser und Boden, das beschäftigt im Augenblick die ganze Welt.  Unser kirchlicher Auftrag ist zu zeigen, dass es eine Aufgabe vor Gott und den Menschen ist, verantwortungsvoll damit umzugehen und dafür dankbar zu sein.

Inwiefern hat sich denn Laudato si auf Ihr persönliches Verhalten ausgewirkt?


Die Auseinandersetzung hat bei mir gedanklich und spirituell viel auf den Weg gebracht. Mit meiner Haushälterin spreche ich mittlerweile sehr genau ab, was und wo wir einkaufen, achten auf Regionalität und Tierwohl. Es steht auch kein Diesel mehr in der Garage, sondern ein Elektroauto, für das der Strom von der Photovoltaik auf dem Dach kommt.

Trotzdem weiß ich, dass ich selbst bei vielem noch Luft nach oben habe. Aber das ist auch etwas, was mir diese Enzyklika gegeben hat: die Schöpfungsverantwortung in die tägliche Gewissenserforschung und in mein Gebet hineinzunehmen.
Alois Bierl
Artikel von Alois Bierl
Chefreporter und Kolumnenautor
Beschäftigt sich mit wichtigen Trendthemen wie Spiritualität.