Achtsamkeit
09.01.2025

Musik kann überirdisch sein

Michael Friedrich ist erster Violinist im BRSO, des in aller Welt bekannten Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Im Interview spricht der Musiker auch über die spirituelle Dimension seines Berufes.

Spielte auch schon in der New Yorker Carnegie Hall: Michael Friedrich. Spielte auch schon in der New Yorker Carnegie Hall: Michael Friedrich. Foto: © privat

Michael, du bist erster Geiger und auch ein hoch geschätzter Geigenlehrer. Was schafft die glücklichsten Momente: lehren, lernen oder einfach „nur“ spielen?

Das ist eine gute und eigentlich nicht zu beantwortende Frage, denn ich persönlich finde die Kombination aus den drei Optionen beglückend. Und das ist dann nicht ein Moment, sondern die Vielfalt der Berufsausübung, wo das eine ja das andere befruchtet. Denn wenn ich im Orchester oder in der Kammermusik tolle Erfahrungen mache, gebe ich die natürlich beim Unterrichten weiter. Und ich bin begeistert darüber, dass man auch selbst immer lernen kann, sein ganzes Leben lang. Das gehört ja zu unserem Beruf dazu. Das heißt, jedes Element; lehren, lernen und musizieren ist fantastisch, aber die Kombination aus diesen dreien empfinde ich eigentlich als das Schönste.


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Was sind „Fehler“ für dich: hörbare Verspieler, bei Kollegen, gar bei dir selber? Wie „gnädig“ bist du da? Ich hab in der Schulzeit immer mit zitternden Knien „vorgespielt“ in Prüfungen und Konzerten. Immer in der Angst, nicht richtig zu treffen. Es war fürchterlich. Aus Protest habe ich irgendwann meine Geige grün angestrichen.

Für mich gibt es sehr unterschiedliche Arten von „Fehlern“. Also hörbare Verspieler sind für mich überhaupt kein Problem, denn wir sind Menschen und nobody is perfect, das passiert, das gehört dazu. Da bin total gnädig, denn das ist eine zu tiefst menschliche Sache.

Aber was ich manchmal schwer ertragen kann, sind Fehler im Sinne von Leichtsinnsfehlern oder Unaufmerksamkeiten. Wenn das Orchester meinetwegen in einer Brucknersymphonie übersieht, dass ein Crescendo über 16 Takte geht, und schon im dritten Takt beim forte angelangt ist. Und dann 14 Takte lang nichts mehr passiert, dann empfinde ich das als störend. Oder wenn bei kurz zu spielenden Noten eilig gespielt wird aus Unkonzentriertheit.

Fehler, die bei Schülern passieren, weil sie nicht gut genug geübt haben, das ist natürlich eine ganz andere Hausnummer. Da kommt es darauf an, wie man die Schüler dazu bringt, so zu üben, dass diese Fehler nicht passieren. Mit zitternden Knien vorspielen, wie du das erwähnst, das ist wahrscheinlich ein Resultat daraus, wenn man nicht weiß, wie man Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit vermeidet. Das ist eine Frage des sich richtig Vorbereitens und Übens. Ich habe die Erfahrung gemacht, je besser man vorbereitet ist, desto weniger taucht die Angst auf.

Ich habe einmal gelesen, dass du sehr gern übst und viel ausprobierst beim Üben, sogar auf dem Rücken liegend. Wie geht das? Erdet dich das besonders?

Ja, ich übe sehr gerne und probiere viel aus. Weil nur durchs Ausprobieren lernt man neue Dinge kennen und erfahren. Das auf dem Rücken liegen ist eine rein physische Angelegenheit. Dass man nach drei Minuten Liegen einen sehr entspannten Rücken hat und spüren kann. Es hat nicht direkt etwas zu tun mit dem Sich Erden.

Das ist vielleicht übertragbar auch auf andere Berufszweige? Sich ein paar Minuten auf den Boden legen, um, na ja, eben doch runterzukommen? Dazu passt vielleicht die Frage, ob und wenn ja, wie du mit dem Atem arbeitest? Auch Musik muss ja atmen!


Das Atmen, ja, das ist natürlich ein sehr wichtiger Aspekt. Für Sänger, auch Bläser sowieso, aber auch bei den Streichern. Das Kombinieren von auf dem Boden liegen und atmen kann man natürlich immer gut einsetzen, um sehr bewusst zu entspannen. Ich hab viel gelesen und gelernt über den Atem, wie darüber auch gerade in östlichen Philosophien gelehrt wird. Das hilft mir enorm beim Üben und Geigen.

Die Geige bieten unendlich viele Möglichkeiten der Intonation. Die Finger der linken Hand bestimmen ja die Tonhöhe, und ein hundertstel Millimeter Verrutschen verursacht eine andere Schwingung. Bedeutet das grenzenlose schöpferische Freiheit oder völlige Überforderung?


Auf jeden Fall gibt es hier grenzenlose schöpferische Freiheit. Das ist ganz klar, das kann man auf dem Klavier ja überhaupt nicht, da hat man keine Möglichkeit, mit der Intonation zu spielen, auf dem Streichinstrument sehr wohl. Das bietet unglaublich viele Möglichkeiten der Klanglichkeit oder um eine bestimmte Atmosphäre zu erschaffen. Überfordert fühlt man sich – da sind wir wieder beim Üben - wenn man nicht gut genug vorbereitet ist oder falsch übt.

Passt für dich Musik, dein Beruf und Spiritualität zusammen? Gibt es Musik ohne Spiritualität?

Ein spannendes Thema. Ich würde da den Beruf ausklammern, da gehst du einer Erwerbstätigkeit nach mit all den Schattenseiten und Problemen, die es in einem Kollektiv geben kann. Aber Musik und Spiritualität, da gibt es eine ganz enge Verbindung. Doch nicht bei jeder Musik. Also wenn ich Straußwalzer oder Polkas höre, dann kommt mir da keine Spiritualität in den Sinn. Wenn ich allerdings eine Matthäuspassion oder h-Moll Messe von Bach höre oder ein spätes Beethovenquartett, da ist unglaublich viel Spiritualität drinnen.

Hier ein kurze Nachfrage: wenn ich als Musikant Walzer und Polkas auf dem Tanzboden spiele und Menschen damit glücklich mache, und zwar sichtbar, wenn die Paare sich glückselig vergessen im Sich Drehen und „den Augenblick“ genießen und leben? Das berühmte „im Jetzt sein“? Das kenne ich durchaus aus meiner Geigenmusikzeit. Da würde ich schon auch eine spirituelle Dimension sehen können!

Das kommt darauf an, wie man Spiritualität definiert. Natürlich ist es super, wenn man Menschen glücklich macht. Auch über Tanzmusik, das habe ich in jungen Jahren als Trompeter tatsächlich auch erlebt. Für mich geht Spiritualität weit über das „im hier und jetzt sein“ hinaus. Für mich heißt Spiritualität, dass man in eine geistige Welt eintaucht. Spiritualität ist in geistlicher Musik ganz wesentlich spürbar für mich und ganz unmittelbar. Oder - eine anderen Art von Spiritualität - wenn die Musik wie zum Beispiel bei Schostakowitsch eine so existentielle Dimensionen hat.

Wann wird ein Ton, eine Melodie zu etwas Geistigem?

Da fällt mir ein Zitat ein, ich weiß nicht mehr, von wem es stammt. Aber es besagt: damit etwas Großes entstehen kann in der Musik, bedarf es zweier Dinge: einmal des großen Geistes des Publikums, der Aufnahmefähigkeit. Und gleichzeitig eines großen Geistes der Ausführenden, die auf dem Podium sitzen. Wenn beides gegeben ist und sich trifft, dann kann es eine geistige Dimension erreichen, die einmalig ist.

Magst du uns deine Lieblingsmusik verraten?


Das ist für mich schwer zu beantworten, weil oft genau das, womit man sich grad beschäftigt, das Schönste ist. Aber Bach gehört auf jeden Fall zu meiner Lieblingsmusik. Bach ist ein großer faszinierender Geist. Aber auch Wagner gehört dazu. Es ist etwas Berauschendes, in Bayreuth im Orchestergraben zu sitzen und dabei zu sein, wenn die Vorstellung gut glückt. Aber auch in den fantastischen Beethovenquartetten oder Haydnquartetten kann man in einen Flow geraten.

Bringt dich Musik dazu, über die großen Fragen des Lebens nachzudenken?


Die Musik bringt einen natürlich dazu, ohne dass das aber unbedingt ganz konkret wird. Ich empfinde bei Musik Zustände, die eine ganz tiefe emotionale Dimension haben und eine Geistigkeit, die weit über das irdisch Menschliche hinausweist. Wenn man im Konzert sehr berührt wird, als Zuhörer oder Musiker, dann kommt man in diese Bereiche. Ich bin manchmal den Tränen nahe bei besonderen Stellen in Musikwerken. Und da geht man im Fühlen doch weit über das irdische Dasein hinaus. Diese Stellen gibt es in geistlicher Musik ganz stark, aber es steckt zum Beispiel auch im Tristan von Richard Wagner eine große Sehnsucht nach Erlösung.

Was ist dein Herzenswunsch für 2025?


Es gäbe einige, aber vielleicht der wichtigste: mehr Friede auf der Welt, mehr Verständnis füreinander unter den Menschen, und dass die Kunst, in meinem Fall natürlich die Musik, immer wieder einen winzigen Beitrag dazu leisten kann.

Hörtipp
Monika Drasch
Artikel von Monika Drasch
Musikerin, Podcasterin
Alpenrock-Fans kennen sie als die Frau mit der Grünen Geige. "Lieder zwischen Himmel und Erde" heißt ihr monatlich erscheinender Podcast auf innehalten.de.