Sankt Martin trifft Ramadan und Channuka
Es gibt Kindergärten und Schulen, die den Sankt Martins-Tag zu einem Sonne-Mond-und-Sterne-Fest umdeuten, um religiöse Neutralität zu demonstrieren. Eine kirchliche Grundschule im niedersächsischen Osnabrück geht ganz andere Wege.
In den Klassen hängen Advents-, Ramadan- und Chanukka-Kalender. So darf jedes Kind einmal im Jahr ein Türchen aufmachen - je nachdem, welche religiöse Fastenzeit gerade ist. Das macht Bräuche und Feste an der Osnabrücker Drei-Religionen-Schule hautnah erfahrbar. Und das ist nur ein kleines Beispiel.
Birgit Jöring leitet die private Grundschule in Trägerschaft der Schulstiftung im Bistum Osnabrück. Der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte sie, die Schule stelle sich sehr bewusst der Frage: „Wie gehen wir damit um, dass wir so viele verschiedene Dinge glauben?" Auch wenn gemeinsames Beten nicht möglich sei, sollten die Kinder möglichst viel voneinander kennenlernen. Das bedeute eben keinen Verzicht auf das Feiern religiöser Feste aus gegenseitiger Rücksicht, sondern ein bewusstes Gestalten. Und die Kinder der jeweils anderen Religion sind dann als Gäste dabei.
An Sankt Martin gebe es für die erste Klasse einen Martinskreis mit dem Erzählen der Geschichte und Martinsliedern. „In der Regel singen da alle Kinder mit, weil die das alle aus dem Kindergarten kennen", so Jöring. Außerdem seien die Kinder jedes Jahr eingeladen, beim großen Martinsumzug in der Stadt mitzugehen.
Äpfel mit Honig für alle
„Im Advent treffen wir uns mit der ganzen Schule im Adventskreis, den die christlichen Kinder gestalten. Die anderen Kinder schauen dann zu." Im islamischen Fastenmonat Ramadan würden nach dem gleichen Muster die muslimischen Kinder aktiv. Jöring erklärt, je nach Fest würden auch Filme gezeigt oder Inhalte über Rollenspiele vermittelt.
Die Schulleiterin berichtet, zum jüdischen Neujahrsfest hätten sie einen Rosch Haschana-Kreis ins Leben gerufen. Dabei erzähle ein jüdischer Lehrer mit Unterstützung von Kindern, was das Fest bedeute und wie es im Judentum gefeiert werde. Er habe den Kindern gezeigt, dass man von einem Buch des Lebens ausgehe, und dass Gott am Versöhnungsfest Jom Kippur einen Stempel hineinsetze. „Der Kollege hat einen großen Stempel dabei gehabt - für die Kinder war das sehr einprägsam." Weil im Judentum ein gutes und süßes neues Jahr gewünscht werde, bekamen anschließend alle Kinder Äpfel mit Honig.
Weihnachts- und Ramadanlieder
An der Drei-Religionen-Schule werden Weihnachtslieder nicht einfach so gesungen: „Diese Lieder werden bei uns in den Klassen besprochen: Was singen wir da eigentlich?" Die Kinder, die in Osnabrück aufwachsen, seien in ihrem Alltag von christlichen Weihnachtsliedern umgeben, meint Jöring. Da sei es wichtig zu wissen, worum es dabei eigentlich gehe.
Sie berichtet, ein muslimischer Kollege habe sich etwas Neues ausgedacht, weil er durch die christlichen Lieder im Advent die Stimmung so schön finde: Gemeinsam mit einem christlichen Liedermacher aus Bremen habe er eine CD mit Ramadanliedern entwickelt. Viele christliche und jüdische Kinder hätten an dem Projekt mitgewirkt. „Es ist ja nicht so, dass sie dann gleich die Religion wechseln, wenn sie ein Lied mitsingen. Bei uns geht es ums Kennenlernen", sagt die Schulleiterin.
Neue Sprachfähigkeit
In den zwölf Jahren, in denen sie an der Schule arbeitet, hat Jöring gemerkt: „Man wird auch in der eigenen Religion sprachfähiger." Dazu trage bei, dass die Kinder mit Unterstützung ihrer Lehrer den anderen Kindern erklärten, wie ihre Familien zu Hause religiöse Feste feiern und was sie bedeuten.
An Projekttagen und in Projektwochen besuchen die Schülerinnen und Schüler auch Gebetsorte der drei Religionen. So haben alle am Ende ihrer Grundschulzeit mindestens einmal eine katholische und evangelische Kirche, eine Synagoge und eine Moschee von innen gesehen. Durch Begegnung und gegenseitiges Kennenlernen sollen die Kinder lernen, sich mit all ihren unterschiedlichen Traditionen und Gebräuchen anzunehmen, sagt Jöring.
Auch der Nikolaus besucht die Drei-Religionen-Schule: „Wenn die Kinder hören, der kommt aus Myra, also aus der Türkei, dann ist das für viele wieder besonders interessant - wenn sie feststellen: Da wohnen meine Oma und mein Opa auch." Insgesamt kämen die Kinder mit viel Neugier für religiöse Fragen und Feste in die Schule, bilanziert die Schulleiterin. „Das Wichtige ist, nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen", sagt Jöring. „Dann sind wir irgendwann beim Areligiösen - das ist nicht das Ziel der Schule."
Lisa Maria Plesker