Kolumne
Ins Blaue sprechen
Im Urlaub soll der Alltag verschwinden. Weil das selten so richtig klappt, geht unsere Kolumnistin Susanne Niemeyer in Kirchen.
Im Urlaub gehe ich manchmal in Kirchen und hänge da ein bisschen mit Jesus rum – also, er hängt und ich setze mich, dritte Bank vorne rechts. Weil es in Kirchen kühl ist, und wenn es sich nicht gerade um den Kölner Dom handelt, dann ist es auch still. Ich tue nichts Spezielles, ich lasse die Welt einfach draußen. Im Augenblick ist die Lage nämlich ziemlich mau.
Zwar ist Sommer und alle Welt sollte zwischen Aperol und Abendsonne vor sich hindümpeln, aber die Krisen machen keinen Urlaub. Schon bald ist September, und es werden Rechtsextreme in Landtage gewählt. Im November ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein narzisstischer Autokrat eines der mächtigsten Länder der Erde beherrscht. Bei all dem wird mir blümerant. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, ist die ganze Urlaubsfreude dahin – und ich brauche Urlaub! Ich muss einfach abschalten.
Was das Leben lebenswert macht
„Sag doch mal“, sage ich zu Jesus, „was das Leben lebenswert macht. Trotz allem. Einer wie du muss doch Profi darin sein: Auch in prekärer Lage Hoffnung zu verbreiten.“ Aber Jesus schweigt. Das überrascht mich nicht, Jesus schweigt eigentlich immer. Ich habe noch nie mit Jesus geredet, und die Leute, die behaupten, das zu tun, überfordern mich, weil ich mich sofort frage, ob ich was falsch mache. Ich sitze einfach da, und Jesus hört meinem Selbstgespräch zu, und das ist ja auch schon mal was. Dass jemand einfach zuhört und dir nicht sofort Lösungsstrategien an den Kopf knallt.
„Weißt du, was gut ist?“, murmele ich. „Holunderbrause mit selbst gemachten Zitroneneiswürfeln. Und dann noch ein Blatt Minze. Überhaupt Minze: Das ist so ein tröstliches Kraut. Wenn du Minze einmal gepflanzt hast, bleibt sie für immer.“
Holunderbrausetrotz
Wir schweigen ein bisschen, und ich frage mich, ob man trotz Weltuntergangsstimmung an Holunderbrause denken darf, und ich kann nicht behaupten, dass Jesus nickt. Aber ich merke, wie ich nicke, weil ich plötzlich sicher bin, dass es wichtig ist, Brause zu trinken und Stockbrot zu essen und nach Sonnencreme zu riechen und Blumen ins Haar zu flechten, weil der Sommer kurz ist, und es ein Jammer wäre, ihn mit Sorgen zu vergeuden.
Und dann stehe ich auf und gehe hinaus ins Blaue und denke: Selbstgespräche sind mit Jesus irgendwie besser.
Zum Weiterdenken
Geh und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dein Tun hat Gott schon längst gefallen. Lass deine Kleider weiß sein und nie fehle duftendes Öl in deinem Haar. Genieße das Leben mit dem Menschen, den du lieb hast, solange das Leben dauert, das dir Gott unter der Sonne geschenkt hat.