Sad Beige Moms: Der Minimalismus-Trend und seine Auswirkungen auf Familien
Minimalistisch eingerichtete Wohnräume in Erdtönen sind auf Social Media im Trend. Doch wie beeinflusst dieser Lebensstil das Wohlbefinden von Familien und Kindern? Experten geben Einblicke.
Wer durch Videos auf Instagram oder TikTok wischt, hat diesen Einrichtungstrend sehr wahrscheinlich schon gesehen. Unter anderem Kim Kardashians Schlafzimmer soll auf einem viralen Foto abgebildet sein: minimalistisch, in Erdtönen gehalten, ein Bett und viel leerer Raum. Nichts liegt herum, Möbel sind szenisch platziert, sodass sie ein Gesamtbild ergeben. Kaum vorstellbar, dass hier tatsächlich jemand wohnt. Doch der strukturierte, harmonisch wirkende Stil findet viele Nachahmer. Für das Phänomen hat sich der Begriff der „Sad Beige Moms“ durchgesetzt – übersetzt: traurige beige Mütter. Während manche sogar Wohnungen anmieten, um sie entsprechend zu dekorieren, zu filmen und auf Social Media auszuspielen, richten andere ihr eigenes Zuhause entsprechend ein.
Einen solch „perfekten“ Zustand zu erhalten, bedeutet viel Aufwand. Wofür das Ganze? „Das ist eine bestimmte Art und Weise, zu präsentieren, wie man lebt. Nämlich so, wie sich auch bekannte Personen präsentieren; eine Statuspräsentation, eine Präsentation des eigenen ,Wertes'“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Pädagogische und Entwicklungspsychologie an der TU Chemnitz, Laura Ackermann. Ein permanenter Blick auf die eigene Außenwirkung kann allerdings dazu führen, dass im Vergleich die tatsächlichen eigenen Bedürfnisse oder die der Familie geringer priorisiert werden.
Die psychologischen Folgen des Vergleichens
Fotos des Wohnensembles werden verschickt und gepostet, Besucher empfangen oder Feiern ausgerichtet – Momente, in denen das Zuhause zur Schau gestellt wird. Dadurch kann das eigene Verhalten durch Bewunderung von anderen Personen noch zusätzlich verstärkt werden, erklärt Ackermann. Ein grundlegendes Problem sei dabei die Reihenfolge des Denkens: Zu überlegen, wie etwas nach außen gut wirke, was gerade Mode sei oder erwartet werde, sollte nicht der erste Gedanke und primäre Fokus sein. Dieses Denken betreffe häufig weitere Lebensbereiche, da die Definition des Selbstwerts über Bewertungen von außen stattfinde. Das könne dazu führen, dass das eigene Wohlergehen aus dem Blick gerate.
Die „Sad Beige Moms“ weiten den Trend indes auch in die Kinderzimmer aus. Möbel, Teppiche, Wände in gedeckten Farben – selbst das Spielzeug wird farblich passend gekauft oder angesprüht. Wie wirkt das auf Kinder aus?
Der Einfluss auf Kinderzimmer: farbliche Anpassung
Da bunte Farben auch außerhalb der Wohnung vorkommen, sei dies nicht unbedingt problematisch, sagt Ackermann. Doch je stärker und breiter bestimmte äußere Erwartungen oder Modeerscheinungen das eigene Leben bestimmten, desto stärker wird bereits von Kindesbeinen an gelernt, dass das Leben einem bestimmten äußeren Bild entsprechen soll und nicht umgekehrt. „Das Kind merkt: Es gibt eine präsentable Welt, einen Zielzustand – und dieser wird dann als normaltypisch angestrebt.“ Die Entwicklungspsychologin betrachtet insbesondere das Gefühl, bestimmten Standards entsprechen zu müssen, als problematisch: „Es ist die ungünstigste Konsequenz, wenn ein Kind erlernt, nur dann gut genug zu sein, wenn es bestimmten äußerlichen Anforderungen entspricht.“
Das Kind könne sich unter Druck gesetzt fühlen, sich stets einem bestimmten Schema entsprechend zu verhalten - auch emotional. „Wenn man dann einen schlechten Tag hat oder etwas nicht funktioniert wie gedacht, dann nimmt man das umso negativer wahr und kann, umso schlechter damit umgehen - und daraus können sich dann emotional-psychische Folgen ergeben“, erklärt die Expertin.
Langfristige Auswirkungen auf die Eltern-Kindern-Beziehung
Dazu gehöre etwa, Emotionen zu unterdrücken oder nur positive, erwünschte Emotionen zu zeigen. Auch der Drang, Misserfolge unter allen Umständen zu vertuschen, könne entstehen. Das wiederum könne dazu führen, dass negative Gefühle, Zustände oder Misserfolge psychisch noch mehr belasten.
In der Familie können auf diesen Druck hin Belastungen und Konflikte entstehen. Ein alltägliches Beispiel dafür sind Fotoaufnahmen: Wenn Kinder keine Lust darauf haben, für Fotos zu posieren und als Reaktion darauf mehr Druck auf die Kinder ausgeübt wird, verstärkt das die Abwehrhaltung der Kinder. Finden solche Situationen immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen statt, belastet das Aufzwingen von Verhaltensweisen im schlimmsten Fall die Eltern-Kind-Beziehung: „Die Probleme potenzieren sich oder können sich über die Zeit noch verschärfen oder ausweiten“, so Ackermann.