Beziehung
08.02.2025


Kolumne

Mein Auto ist dein Auto! – Wie Großzügigkeit unser Leben verändert

Was passiert, wenn jemand uns überraschend großzügig begegnet? Andreas Knapp erlebt eine Großzügigkeit, die ihn tief berührt, und erzählt, was die erlebte Freigebigkeit in ihm auslöst.

Ich bin Mitglied einer kleinen Ordensgemeinschaft und lebe mit zwei Mitbrüdern in einem Plattenbau in Leipzig. Als Gemeinschaft der „Kleinem Brüder vom Evangelium“ wollen wir einen möglichst einfachen Lebensstil pflegen und besitzen daher auch kein Auto. Manchmal bin ich  etwa für einen größeren Transport  darauf angewiesen, mir ein Auto zu leihen. Ich bat also Yousif, der aus Aleppo nach Leipzig geflüchtet war, mir sein Auto auszuleihen. „Selbstverständlich!“, sagte er: „Mein Auto ist dein Auto!“

Dann passierte es: Ich fuhr etwas zu schnell und wurde geblitzt. Ich habe Yousif darüber informiert und es war für mich selbstverständlich, dass ich die Strafgebühr zahlen werde. Als ich Yousif ein paar Wochen später wieder traf, fragte ich, ob der Strafzettel angekommen sei. „Alles schon erledigt!“, meinte Yousif. „Nein!“, entgegnete ich. „Ich werde die Gebühr selbstverständlich bezahlen!“ Doch Yousif erwiderte: „Ich habe dir doch gesagt: „Mein Auto ist dein Auto! … Und dein Strafzettel ist mein Strafzettel“!

Ich war baff! Mit einer derartigen Großzügigkeit des Teilens hatte ich wirklich nicht gerechnet. Beeindruckende Erfahrungen von Solidarität und Großzügigkeit habe ich freilich immer wieder machen können. Ich habe mehrere Jahre in einer Niederlassung meiner Ordensgemeinschaft in Bolivien gelebt. Wir Brüder waren in einem Indio-Dorf sehr gut integriert: Wir wurden oft zum Essen eingeladen, und ich habe in den ärmsten Hütten eine großzügige Gastfreundschaft erlebt, die mich fast beschämt hat. Menschen, die wirklich nur das Nötigste besitzen, haben ihr Letztes gegeben, um uns reichhaltig zu bewirten. Aber auch bei wohlhabenden Menschen habe ich immer wieder eine bewundernswerte Großherzigkeit erleben dürfen.


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Beschenkt-Werden macht freigiebig

Lässt sich Großzügigkeit lernen? Ich bin in meinem Leben oft sehr reich beschenkt worden und bin überzeugt, dass mir das geholfen hat, um selbst freigiebiger zu werden. Auch Jesus lenkte den Blick immer wieder auf die Großherzigkeit Gottes: Wenn du von Gott so viel empfangen hast, kannst du dann nicht auch etwas davon weiterschenken? (vgl. Mt 18,23-35)

Jesus selbst hat in seinem Leben oft Gastfreundschaft erlebt: Als Wanderprediger besaß er kein Haus, doch es fanden sich Menschen, die ihm ihr Haus und ihr Herz öffneten. Manchmal wurde ihm zum Vorwurf gemacht, dass er bei Sündern einkehrt. Doch gerade jene, die wegen ihrer Knausrigkeit berüchtigt waren, wie die Zöllner, konnten sich durch die Begegnung mit Jesus von einer ganz neuen, großzügigen Seite zeigen. (vgl. Mt 9,9-13)

[inne]halten - das Magazin 6/2025

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Fastenzeit

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Wer sich an Jesus orientiert, will sich etwas von seiner Großzügigkeit zu eigen machen

Wo Mangel herrschte, lud Jesus zum Teilen ein. Und so konnten die wenigen Brote und Fische viele Menschen satt machen. Jesus machte sich die Geste des Teilens so zu eigen, dass sie zu seinem Erkennungsmerkmal wurde. In der Emmausgeschichte heißt es am Ende: „Die beiden Jünger erkannten ihn, als er das Brot mit ihnen brach.“

Das Miteinander-Teilen wurde auch zu einem Charakteristikum der ersten Christengemeinde: „Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ (Apg 2, 44 f.)

Solidarität ist in allen Kulturen ein Kennzeichen von Menschlichkeit. Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass Projekte wie „Gemeinschaftsgärten“ oder „Carsharing“ weite Verbreitung gefunden haben. Solche Modelle sind nicht nur ökonomisch und ökologisch sinnvoll, sondern sie lassen auch etwas vom tieferen Sinn des Menschseins erahnen: Wir leben nicht erfüllter, wenn wir eine immer größere Fülle von Dingen ansammeln. Vielmehr können wir im Teilen Verbundenheit, Nähe und Freundschaft erfahren. Und was könnte unser Leben mehr bereichern?!?

Andreas Knapp
Artikel von Andreas Knapp
Priester und Dichter
Gehört zur Ordensgemeinschaft der "Kleinen Brüder vom Evangelium". Tätig als Putzkraft, Joghurt-Verkäufer, Saisonarbeiter, Gefängnisseelsorger und in der Flüchtlingshilfe. Andreas Knapp ist einer der bekanntesten christlichen Lyriker im deutschsprachigen Raum.