Künstliche Intelligenz
Wenn ChatGPT die Predigt schreibt
Schon mehrfach wurde mit KI-generierten Predigttexten im Gottesdienst experimentiert – ist das mehr als nur eine Spielerei?
Was bleibt von einem Gottesdienst meist in Erinnerung? Wahrscheinlich wird es oft die Predigt sein, da sie vom vorgegebenen Ablauf der Feier durch die relative Freiheit ihrer Gestaltung abweicht. Denn die Auslegung der gelesenen Texte der Heiligen Schrift ist besonders von den predigenden Personen geprägt. Das macht die Predigt nicht selten zum Gesprächsstoff, zumal das Predigen auf Kommunikationsebene ein Geschehen von Mensch zu Mensch ist: Da hat sich jemand ansprechen lassen von den Texten und sich mit ihnen auseinandergesetzt, um den Anwesenden etwas von der enthaltenen Heilsbotschaft zuzusprechen und um diese auch mit einem Anspruch zu verbinden, danach zu handeln; und die Zuhörenden lassen sich bestenfalls hineinnehmen in die Gedanken, entwickeln für sich ihre Perspektive auf den Text und seine Bedeutung fürs eigene Leben und Glauben. Predigen ist also ganz offensichtlich etwas, das den Menschen braucht.
Manche Texte wirken seltsam hölzern
Medienberichte aus der letzten Zeit, wonach für Predigten mittels künstlicher Intelligenz (KI) Texte generiert und versuchsweise vorgetragen wurden, lassen folglich Fragen aufkommen. Beispielsweise ganz grundsätzlich, ob KI predigen, also das Wort Gottes auslegen kann. Gut, bisher nicht in dem Sinne, dass sie von sich heraus aktiv würde. Interessant dürfte daher sein, wie man die „Komponente Mensch“ im Entstehungsprozess einer Predigt und wie im Moment des Predigens weiterhin verortet. Denn in der Diskussion wird besonders die Rolle von KI als Werkzeug betont, um Gedanken zu schärfen und einen Ausgangstext für die Weiterarbeit zu erhalten. Und manche KI-Texte wirkten außerdem seltsam hölzern oder trivial. Doch die KI wird rasant besser, und wer sie für die Predigtvorbereitung nutzt, wird auch in der Anwendung geschickter.
Beschwichtigend heißt es, dass die menschliche Komponente und die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text und dem Glauben damit erhalten blieben. Und greift die KI nicht stets nur auf das zurück, was im Netz von Menschen sowieso zurückgelassen wurde, nämlich Texte? Und wenn überdies die KI schön formuliert und so viele andere Dinge oft die Zeit zum Predigtschreiben rauben, ist sie da nicht eine Lösung? Wäre man aber somit nicht unter Umständen fast selbst eine Art Werkzeug der KI, trüge man nur deren Texte vor? Und wer will schon, überspitzt formuliert, von einem Roboter die Predigt hören? Etliche weitere Fragestellungen tauchen also auf, nicht nur pragmatischer Art.
Mit Gottes Wort ernst machen
Was bedeutet es denn, dass es sich bei den Ausgangstexten um die Heilige Schrift, um Gotteswort in Menschenwort handelt? Steht nicht zu Beginn des Johannesevangeliums: Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und es war sogar selbst Gott? Exegetisch versierten Gläubigen kommt vermutlich in den Sinn, dass im griechischen Urtext vom Lógos die Rede ist, einem Begriff, der nicht nur Wort meint, sondern auch Rede, Gedanke, Sinn. Erfordert das nicht, den KI-Einsatz zu minimieren oder wenigstens gut zu dosieren? Läuft man sonst nicht Gefahr, sich des Anspruchs zu entledigen, sich von Gott ansprechen zu lassen und davon den Menschen weiterzuerzählen, eben mit Gottes Wort ernst zu machen? Damit rückt auch die Frage in den Blick, was eine qualitätvolle Predigt ausmacht – kann hier KI zu Verbesserungen führen? Letztlich geht es um eine Problematik, die das ganze Volk Gottes betrifft, nicht nur diejenigen, die predigen. Es ist der Tisch des Wortes, zu dem wir alle eingeladen sind – und wer möchte nicht an einem liebevoll gedeckten Tisch gestärkt werden?
Stephan Mokry, Referent für Theologische Erwachsenenbildung an der Domberg-Akademie Freising