Leo XIV. – sein Baseball-Team und andere Grundsatzfragen
Der Jesuit Godehard Brüntrup ist Philosophieprofessor und lehrt jeweils eine Hälfte des Jahres in den USA und die andere Hälfte an der Hochschule seines Ordens in München. Eine Einschätzung des Amerikakenners über die Herausforderungen des neuen katholischen Kirchenoberhaupts aus Chicago.

Innehalten.de: Was bedeutet denn der erste us-amerikanische Papst für die katholische Kirche in diesem Land und ihre Gläubigen?
P. Godehard Brüntrup SJ: Für die Amerikaner ist das eine riesige Anerkennung. Sie haben immer geglaubt, dass ein Amerikaner nicht Papst werden kann, weil dieses Land sowieso schon sehr mächtig ist. Ich habe am Abend der Wahl verschiedene amerikanische Sender geschaut, auch aus seiner Heimat Chicago. Es ist eine wirklich großartige, festliche Stimmung. Nicht nur katholische oder christliche, sondern auch jüdische, religiöse wie nichtreligiöse Amerikaner freuen sich über „ihren“ Papst. Der außerdem auch afroamerikanische Vorfahren hat. Manche sagen daher, Leo XIV. sei der erste schwarze Papst, so wie Barack Obama der erste schwarze US-Präsident war. Hinzu kommt, dass Amerika von vielen demokratischen Ländern nicht mehr so positiv gesehen wird wie in der Vergangenheit. Da empfinden viele in diesem Land die Wahl von Robert Francis Prevost als Anerkennung für die ganze Nation. Es gibt wohl auch einige, denen er zu liberal ist, aber die allermeisten freuen sich.
Innehalten.de: Die katholische Kirche in den USA scheint aber noch gespaltener zu sein als die in Deutschland. Und die Reaktion der us-amerikanischen Bischöfe, die war jetzt nicht enthusiastisch, sogar Präsident Trump war deutlich euphorischer.
P. Godehard Brüntrup SJ: Ich denke, wenn die amerikanischen Bischöfe das jetzt laut gefeiert hätten, wäre das gar nicht so gut angekommen. Wenn man ein Geschenk erhält, nimmt man das mit einer gewissen Demut an. Ich würde aus der verhaltenen Reaktion nicht schließen, dass er jetzt schon viele Gegner unter den Bischöfen hat. Zunächst freut man sich.
Trotzdem ist es richtig, dass die katholische Kirche in Amerika enorm
gespalten ist. Es gibt einen großen konservativen Flügel gibt, der viel
stärker und radikaler ist als etwa der konservative Flügel in der
Deutschen Bischofskonferenz. Leo XIV. ist auch sicherlich kein
Revoluzzer oder Progressiver. Genauso wenig wie sein Vorgänger
Franziskus, der in der Lehre nichts geändert hat, aber sehr viel in der
seelsorgerlichen Praxis mit der bedingungslosen Zuwendung zu den Armen
und den Ausgegrenzten. Der neue Papst wird versuchen, einen gemeinsamen
Boden zu finden zwischen den beiden Lagern. Denn was konservative wie
progressive US-Bischöfe eint, ist die breite Ablehnung der Trumpschen
Einwanderungspolitik.
Innehalten.de: Hat Präsident Trump also nicht „seinen“ Papst im Apostolischen Palast, dem er vom Weißen Haus aus sagt, wo´s langgeht?
P. Godehard Brüntrup SJ: Überhaupt nicht. Kardinal Prevost hat sich ja, bevor er Papst wurde, in den sozialen Medien öffentlich scharf gegen Trump und auch gegen den katholischen Vizepräsidenten Vance geäußert. Er hat deren Einwanderungskurs und ihren Nationalismus kritisiert. Das wird von den Trump-Anhängern zur Kenntnis genommen und sie werden den neuen Papst bestimmt nicht immer lieben.
Innehalten.de: Kann dieser Papst denn auf die amerikanische Politik einwirken, die ja einen oft verstörenden Ton anschlägt.
P. Godehard Brüntrup SJ: Ich glaube, er wirkt jetzt schon auf die politische Stimmung in seinem Heimatland ein. Wir haben dort das Motto Trumps, das sagt: „Make America great again“, macht Amerika wieder groß. Und wir haben jetzt ein katholisches Kirchenoberhaupt das sagt: „Make America care again“, macht Amerika wieder zu einem Land, das sich kümmert, sich um Entrechtete, um die Armen, um Flüchtlinge sorgt. Um diejenigen, die jetzt in noch in größere Nöte geraten, weil die US-Hilfsgelder drastisch gekürzt oder gar nicht mehr ausgezahlt werden. Da wird der Papst aus Chicago ein Gegenmodell und für die vielen, die Trump nicht gewählt haben, eine wichtige Stimme sein.
Innehalten.de: Inwiefern sehen Sie denn ein bewusstes politisches Signal, das die Kardinäle mit der Wahl vom 8. Mai gesetzt haben?
P. Godehard Brüntrup SJ: Ich war ja offensichtlich nicht dabei und es ist schwierig, darüber zu spekulieren, was da besprochen wurde oder gar im Kopf der Einzelnen vorging. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das eine Rolle gespielt hat. Viele Kardinäle wissen wie viel weltpolitisch auf dem Spiel steht und wie sehr die Trump-Regierung auf nationalen Egoismus setzt. Gleichzeitig gab es noch nie so viele Katholiken in einem US-Kabinett wie unter diesem Präsidenten. Dass die Kardinäle dazu bewusst ein mahnendes Gegengewicht setzen wollten, mag ich nicht ausschließen. Es ist Spekulation, aber der Gedanke drängt sich auf.
Innehalten.de: Wie könnte sich denn der amerikanische Stil des neuen Papstes zeigen, in welchen Symbolen oder welchen Gesten könnte sich der äußern?
P. Godehard Brüntrup SJ: Na, zuerst einmal dadurch, dass er kein Fußballfan ist, sondern Baseballfan. In seiner Heimatstadt Chicago gibt es eine freundschaftliche Rivalität zwischen den „Cubs“ und den „White Sox“. Jeder in Chicago muss sich für den einen oder anderen Club entscheiden, sonst ist man kein Einheimischer. Am Abend nach der Papstwahl war die ganze Stadt völlig aufgeregt: Ist Leo XIV. für die „Cubs“ oder die „White Sox“? Dann hat ein Mitbruder aus dem Augustinerorden, dem der Papst angehört, ihm nach der Wahl tatsächlich eine SMS mit dieser Frage geschickt. Und das neue katholische Kirchenoberhaupt antwortete prompt: „White Sox“. Das zeigt, wie menschennah der neue Papst ist. Die Amerikaner, die ihn kennen, hatten in den Interviews auch immer Schwierigkeiten, den neuen Papst nicht „Bob“ zu nennen, also die Koseform von Robert. Die Amerikaner haben eine große menschliche Wärme, auch wenn das weltpolitisch momentan etwas untergeht. Diese menschliche Wärme umgibt auch diesen „Bob“, der jetzt Papst ist und der aus einer ganz normalen Familie im Süden von Chicago stammt. Er kommt aus diesem selbstverständlichen und bodenständigen US-Katholizismus, der unhinterfragt das Leben prägt. Dieser „amerikanische Stil“ ist schon bei seinem ersten Auftritt als Papst zu erkennen gewesen.
[inne]halten - das Magazin 10/2025

Schlüsselübergabe
In die Trauer mischt sich Aufbruchstimmung, die Welt blickt auf die Papstwahl.
Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe hat das Konklave in Rom begonnen. Welche Aufgaben muss der Nachfolger von Papst Franziskus angehen? Wie kann er die Kirche überzeugend führen? Vatikan-Experte Ludwig Ring-Eifel gibt Antworten.
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Innehalten.de: Welche Veränderungen oder Neuausrichtungen erwarten Sie denn von Leo XIV. für die Weltkirche?
P. Godehard Brüntrup SJ: Also niemand kann die Zukunft vorhersehen und erst recht nicht das Wirken des Heiligen Geistes und die Amtsgnade. Man hat ja auch von Benedikt XVI., unserem deutschen Papst, gesagt, dass er sich doch sehr geändert hat nach der Papstwahl, eine andere Ausstrahlung hatte. Wenn wir auf den bisherigen Werdegang von Leo XIV. schauen, würde ich sagen, dass eine große Kontinuität zu erwarten ist. Wie bei Franziskus ist eine konservative Haltung zur Lehre festzustellen. Die verbindet sich aber mit einer großen Offenheit und auch Experimentierfreudigkeit im Bereich der Seelsorge und einer Zuwendung zu den Menschen. Die Lehre der Kirche zu Fragen der Homosexualität oder der Sexualmoral bleibt unangetastet, aber im Umgang mit Homosexuellen oder mit wiederverheirateten Geschiedenen hat sich Entscheidendes geändert.
Da gibt es eine radikale Hinwendung zu den Menschen in ihrer Verschiedenheit, unabhängig von deren sexueller Orientierung, Nationalität oder Rasse. Dass Leo XIV. offen ist und den Menschen zugewandt, wird ja auch wird aus seiner Tätigkeit als Bischof in Peru berichtet. Also es ist zu erwarten, dass in einer Welt der kalten nationalen Egoismen von Putin bis Trump dieser Papst ein Gegenbild abgibt, jemand, der die Menschheitsfamilie als große Gemeinschaft sieht.
Innehalten.de: Welche Schwierigkeiten werden dem Papst in den nächsten Jahren denn am schärfsten begegnen?
P. Godehard Brüntrup SJ: Er wird das Problem haben, dass er es keiner großen Strömung in der katholischen Kirche rechtmachen kann. Da gibt es etwa diejenigen, die in der Frauenfrage dringend Fortschritte erwarten. Auch in Amerika, das zeigen jüngste Statistiken, gibt es einen Exodus von Frauen aus der katholischen Kirche, weil sie sich nicht gerecht behandelt und repräsentiert fühlen. Gleichzeitig kommt es zu einem großen Zulauf von jungen konservativen Männern. Unter denen ist es gerade in den USA schick katholisch, rechtskatholisch zu sein. Die eine Strömung wird erwarten, dass er schnell z.B. das Diakonat der Frau auf den Weg bringt. Die anderen wünschen sich ein Ende der Grauzonen zwischen pastoraler Güte und Reinheit der Lehre, ein Ende vom „Wischiwaschi“ unter Franziskus und endlich wieder klare Grenzlinien. Zwischen diesen beiden Lagern wird es nicht leicht sein der Pontifex, eben wörtlich der Brückenbauer zu sein.

Innehalten.de: Wie sehen Sie denn das Verhältnis des neuen Papstes zur katholischen Kirche in Deutschland und deren Bemühen, mehr Synodalität, also Beteiligung und Mitbestimmung aller Gläubigen zu ermöglichen?
P. Godehard Brüntrup SJ: Also in dieser Sache kenne ich auch nur einzelne Interviewäußerungen von ihm. Aber mein Eindruck ist, dass da bei Leo XIV. eine positive Offenheit und keine Ablehnung zu spüren ist. Er wirkt jetzt nicht unbedingt begeistert, als ob das genau seine Sache sei. Aber dieser Papst ist tolerant und hält das Dach der katholischen Kirche für sehr groß und weit. Unter diesem Dach darf sich sehr vieles versammeln. Das ist eine grundsätzlich positive Einstellung zu dem, was in der katholischen Kirche in Deutschland passiert. Das ist nicht in Rom überall so. Mir hat dort ein Kardinal einmal gesagt: Die Häresien, die aus Deutschland kamen, waren früher schon mal besser.
„Es ist zu erwarten, dass in einer Welt der kalten nationalen Egoismen von Putin bis Trump dieser Papst ein Gegenbild abgibt, jemand, der die Menschheitsfamilie als große Gemeinschaft sieht.“
Der 68-jährige Jesuitenpater Godehard Brüntrup lehrt seit 2003 an der Hochschule für Philosophie in München. Seit 2013 unterrichtet er regelmäßig als Extracurricular Professor an der St. Louis University in Missouri. Schon zuvor war er an verschiedenen us-amerikanischen Universitäten tätig. Er kennt die Vereinigten Staaten von San Francisco in Kalifornien bis hinauf zu den großen Seen bei Chicago und hat zahlreiche Verbindungen zur katholischen Kirche in den USA.