„KI weiß nicht, was wahr und gut ist“
Künstliche Intelligenz (KI) ist im Alltag von Kindern längst präsent. Viele Eltern sind bei diesem Thema unsicher: Ist die neue Technologie eine Hilfe oder ein Risiko? Michael Brendel, ein KI-Experte aus dem Emsland, gibt Antworten und Tipps.

Künstliche Intelligenz (KI) in Kinderhänden – ist das tatsächlich ein so großes Thema für Familien?
Brendel: Ob das ein Thema in allen Familien ist, weiß ich gar nicht, denn oft wird nicht bemerkt, wo KI schon überall drin ist: in Sprachassistenten wie Alexa, in den Streaming-Plattformen, in den Apps auf dem Handy, selbst im Staubsaugerroboter. Und spätestens mit dem ersten Smartphone kommen Kinder damit in Berührung. Denken Sie nur an die KI-Chatbots (virtuelle Gesprächspartner) in Snapchat oder jetzt mit dem blauen Kreis in Whatsapp. Das kommt sozusagen frei Haus. Da kommen Familien gar nicht drumherum.
Stecken in dieser Technologie für Kinder und Eltern mehr Chancen oder mehr Risiken?
Das ist schwer zu sagen, weil die Technologie sich gerade so schnell
entwickelt. Chancen gibt es auf jeden Fall – zum Beispiel im Bereich
Bildung und Schule. Wir haben mit den KI-Modellen einen riesigen
Wissensspeicher, der Information ausgibt, zusammenfasst und
zugeschnitten auf meinen persönlichen Lernstand in meiner Sprache
erklären kann. Und das in einer Geduld, wie es keine Mutter, kein Vater
und keine Lehrkraft vermutlich jemals könnte. Das ist ein wichtiger
Schritt zu individueller Unterstützung beim Lernen. Und außerdem gibt es
dort schöne Inspirationen, gerade im kreativen Bereich.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie KI den Lernprozess positiv beeinflussen kann?
Die KI kann zum Beispiel bei Fremdsprachen Vokabeln abfragen oder genau für mich passende Grammatikübungen vorschlagen. Bei der Vorbereitung für Klausuren kann diese Technik den Stoff sinnvoll portionieren, um Struktur zu bekommen. Und man könnte auch über einen KI-Chat mit Personen aus einem Buch wie Wilhelm Tell „reden“, um einen Bezug herzustellen.
Spüren Sie mehr Anfragen zu dem Thema?
Es gibt immer mehr Nachfragen von Schulen, tatsächlich. Das freut mich. Ich wünsche mir da einen Dreiklang von Fortbildungen für Lehrkräfte, Elternabende und Infos für Jugendliche. Bei dieser Technologie, die wir alle noch lernen müssen, finde ich diesen gemeinsamen Weg am besten. Denn eins ist klar: KI geht nicht wieder weg und das passiert alles in einer Geschwindigkeit, die wir so noch nie erlebt haben. Es ist absolut wichtig, sich dem Thema zu stellen und sich zu informieren.
Welche Risiken sehen Sie bei dieser Technologie?
Wir haben eine Technologie vor uns, die nicht weiß, was wahr, gut und richtig ist. Das sind statistische Modelle, die Wahrscheinlichkeiten berechnen und Zeug zusammenschreiben, das auch einfach mal grober Unfug sein kann. Es gaukelt uns eine Realität vor, die es so nicht gibt. Das ist ein Paradigmenwechsel und zudem eröffnen sich damit auch ungeahnte Manipulationsmöglichkeiten für Fake-News. Das muss uns immer bewusst sein. Ein anderes Problem ist, dass die Chatbots zunehmend für menschlich, für „Freunde“, gehalten werden. Bisher haben Menschen mit Menschen geredet und mit Gott. Jetzt haben wir Maschinen, die Sprache nutzen und das manchmal erstaunlich gut. Das halte ich für wirklich bedenklich. Wir müssen KI als reines Werkzeug begreifen und so nutzen. Ich umarme ja auch nicht meinen Hammer, und auch mit dem muss ich verantwortlich umgehen.
Worauf müssen Eltern und Kinder also achten?
Eltern sollten im Blick haben, wo ihre Kinder mit KI in Berührung
kommen – also durchaus mal die Apps anschauen, die die Kinder auf dem
Handy oder Tablet nutzen. Das halte ich für legitim, bis zu einem
gewissen Alter. Und wir sollten mit den Kindern darüber reden und
gemeinsam KI-Tools ausprobieren. Bei der Technologie sind wir alle
Anfänger, da können wir uns gemeinsam schlaumachen und eine Haltung dazu
finden. Wie kann ich das sinnvoll nutzen und wo endet meine Zustimmung?
Zu sagen, dieses will ich und jenes nicht – das ist wichtig.
[inne]halten - das Magazin 12/2025

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Für Kardinal Reinhard Marx ist Freiheit mehr als ein politisches Schlagwort - sie ist das zentrale Thema seines theologischen Denkens. Im Interview spricht er über ihre Wurzeln im chistlichen Glauben, über die Entwicklung der Kirche zur Verteidigerin von Freiheitsrechten und darüber, warum Freiheit immer auch Verantwortung bedeutet.
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Haben Sie praktische Tipps für zu Hause?
Ich habe meinen Kindern einen Zugang zu KI gegeben, wo ein gewisser Filter darunter liegt. Da ploppen dann Warnungen auf und ich kann in die Chats reinschauen. Das kann ein Weg sein. Eltern müssen sich selbst informieren und auch Dinge ausprobieren. Ich weiß: Das auch noch tun zu müssen, ist eine Hürde, aber anders geht es nicht. Es gibt Online-Kurse, wo man selbst Wissen dazu bekommen kann, und ich biete demnächst auch Elternabende dazu an
Sie haben das Stichwort „Haltung“ benutzt ...
Wir brauchen eine Haltung dazu, das ist nötiger denn je. Wir haben jetzt die Chance, nachzuholen, was wir damals beim Start ins Internet nicht gemacht haben: darüber zu sprechen, was wir wollen und was wir eben nicht wollen. Eltern sollten ihren Kindern vorleben, dass Technik und Digitalisierung kein Selbstzweck sind. Wir entscheiden und wir bestimmen. Ich setze zum Beispiel bei Chatbots immer ein Ausrufezeichen dahinter, um mir selbst zu signalisieren, dass ich der Auftraggeber bin und die KI der Befehlsempfänger. Ich muss da auch nicht „Danke“ sagen. Das ist ein statistisches, mathematisches Modell. Nicht mehr.
Und wie sollte sich die Kirche dabei positionieren?
Kirche muss erst mal anerkennen, dass diese Technologie ins Innerste des Glaubens zielt. Wir sind eine Wort-Religion, in der das Wort heilig ist. Und jetzt haben wir eine dritte Seins-Form, die Sprache nutzt, der wir Bedeutung geben. Kirche muss Stellung beziehen auch zu denjenigen, die KI als Heilsbringer verstehen. Da werden Götzen gebaut! Kirche muss Position beziehen gegen diesen Technikglauben und sollte dem immer beliebiger werdenden Wahrheitsbegriff Echtheit und Authentizität entgegensetzen.
Von Petra Diek-Münchow