Gesellschaftsspiel "Weimar"
Spielend die Demokratie retten
Im vergangenen Jahr hat ein außergewöhnliches Brettspiel für Furore gesorgt: „Weimar: Der Kampf um die Demokratie“ – eine epische Politiksimulation, für die vier Spieler ab 14 Jahren bis zu sechs Stunden Zeit einplanen müssen. Wie man so ein Spiel entwickelt und was wir heute aus der Weimarer Republik lernen können, haben wir mit dem Spieleerfinder Matthias Cramer besprochen.
Herr Cramer, Sie sind von Beruf …
CRAMER: Seit einem Jahr Spieleautor – oder Game Designer, wie es auf Englisch heißt. Davor war ich in der IT tätig.
Klingt nach einem Traumberuf. Wie wird man das?
Indem man einfach damit anfängt, eigene Ideen zu haben und diese zu Papier – oder besser: zu Pappe – zu bringen. Ich habe vor 15 Jahren meine ersten eigenen Entwürfe gemacht.
Wie viele Spiele haben Sie schon entwickelt?
Veröffentlicht habe ich 30 Spiele, zehn bis 20 weitere sind im Papierkorb gelandet, weil sie nicht gut genug waren.
Basteln Sie in der Entwicklungsphase die Spielmaterialien selbst?
Das gehört dazu, denn ein Großteil der Spielentwicklung besteht aus Testen, Testen, Testen. Ich muss das Spielmaterial basteln, und zwar so, dass es Menschen auch testen können. Das Spiel braucht zum Beispiel eine klare Symbolsprache, sodass die Mitspieler vieles von selbst verstehen, ohne dass ich es erkläre.
Nun zu „Weimar“. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Spiel?
Ich wollte immer schon eine politische Simulation machen. Zuerst habe ich über die junge Bundesrepublik nachgedacht, bin aber dann bei Weimar gelandet, weil ich es für geschichtlich interessanter halte. Und es war eine gute Gelegenheit, sich mit Populismus auseinanderzusetzen.
Können Sie Inhalt und Ziel des Spiels in zwei Sätzen zusammenfassen?
Es geht um die ganze Bandbreite der Weimarer Republik. Jeder Spieler verkörpert eine politische Strömung beziehungsweise Partei. Und diese Parteien entscheiden über Erfolg und Misserfolg der Republik. Das Besondere dabei ist: Es gibt den Konflikt zwischen links und rechts, es gibt aber auch den Konflikt zwischen Demokraten und Antidemokraten – und das ist nicht die gleiche Linie.
Wie lang hat es gedauert, „Weimar“ zu entwickeln?
Die reine Entwicklungszeit waren sieben Jahre. Das liegt auch daran, dass das Spiel so komplex ist. Eine komplette Partie, die bis 1933 durchläuft, dauert rund sechs Stunden, das kann man nicht mal kurz am Abend testen.
Wie muss man sich die Testphase vorstellen? Wo bekommen Sie die Mitspieler her, die bereit sind, sich stundenlang hinzusetzen und zu testen?
Bei „Weimar“ war das wegen der Länge schon sehr speziell. In der Regel teste ich mit meiner Frau und im Freundeskreis, und erst wenn ein Spiel so weit ist, dass ich es auf Außenstehende „loslassen“ kann, teste ich auch außerhalb. Da gibt es dann z. B. Veranstaltungen, bei denen sich Spielebegeisterte treffen und noch nicht veröffentlichte Spiele ausprobieren.
Wissen Sie auswendig, wie viele Einzelteile das Spiel enthält?
Nicht genau, auf jeden Fall eine hohe dreistellige Zahl … „Weimar“ enthält allein schon 170 unterschiedliche Karten, und das war die „Monsterarbeit“ bei diesem Spiel. Jede Karte symbolisiert einen Aspekt oder ein Ereignis. Daneben gibt es Spielpläne, Tableaus und viele Holzteile.
Auf der Spielschachtel ist auch Albert Einstein abgebildet. Was hat er mit dem Spiel zu tun?
Dem habe ich eine Spielkarte spendiert. Ich wollte nicht nur die politischen Fakten und geschichtlichen Daten erzählen, sondern das Spiel soll ein Gefühl für die damalige Zeit vermitteln, und da gehört auch Albert Einstein dazu, stellvertretend dafür, dass Deutschland damals wissenschaftlich führend war. Auch das Bauhaus kommt vor, oder dass der Hamburger Sportverein Deutscher Fußballmeister wird und die Massen an den Radiogeräten hängen …
Welche Rolle spielt die NSDAP?
Die NSDAP ist keine Spielerfraktion, weil ich nicht wollte, dass man die NSDAP übernehmen kann. Sie ist aber da, wird vom Spiel gesteuert und macht den Spielern unmoralische Angebote. Man kann durch sie z. B. einen ganz tollen Vorteil haben, wird aber dadurch zum Steigbügelhalter der NSDAP. Wenn das zu oft passiert, übernimmt sie irgendwann die Macht, und das Spiel geht für die Spieler verloren.
Das Spiel war nach wenigen Monaten ausverkauft. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Ich glaube, die Leute finden es aus zweierlei Gründen spannend. Zum einen ist die Weimarer Republik im öffentlichen Bewusstsein im Gegensatz zu den beiden Weltkriegen etwas unterrepräsentiert. Zum anderen ist wohl auch wegen des Erstarkens der AfD das Bedürfnis da, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen und sich zu fragen, was damals eigentlich zum Aufstieg der NSDAP geführt hat.
Aktuell wird in Deutschland wieder vor „Weimarer Verhältnissen“ gewarnt, viele stellen eine Zunahme von Polarisierung und Gewaltbereitschaft fest. Wie erleben Sie die momentane Situation?
Es gibt heute Parallelen, aber auch große Unterschiede zu damals – zum Beispiel haben wir heute ein Grundgesetz, das es damals nicht gab. Ich denke, man sollte aus der Geschichte lernen, etwa aus dem damaligen Umgang der Konservativen mit der NSDAP. Auf heute übertragen: Konservative sollten nicht glauben, dass es möglich ist, die AfD zu enttarnen, indem man sie mit an die Macht lässt.
Kann man also beim Spiel „Weimar“ etwas fürs echte Leben lernen?
Ich denke schon, ja. Es ist eine spielerische Auseinandersetzung mit Politik und mit den Kräften, die da aufeinanderprallen. Man kann zum Beispiel die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) oder die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) spielen, die beide die Republik bekämpfen. Ich spiele diese Fraktionen nicht gerne, aber indem ich mir diese Schuhe einfach mal für einen begrenzten Zeitraum anziehe, kann ich verstehen, wie solche Mechanismen ablaufen: Wie funktioniert Populismus? Wie kann ich ein Thema benutzen, um etwas völlig anderes zu erreichen, als das Thema eigentlich ausdrückt?