Kultur und Wissen
08.11.2024

In Bibliothek der Münchner Erzdiözese entdeckt

Mitschriften von Philosoph Hegel werden restauriert

Experten sprechen von einem Jahrhundertfund: In der Bibliothek der Erzdiözese München und Freising wurden vor wenigen Jahren Mitschriften aus einer Vorlesung des großen Philosophen entdeckt. Bevor die inhaltliche Erforschung der Dokumente richtig anlaufen kann, steht zunächst eine aufwendige Restauration an.

Einleitung zur „Philosophie des Geistes“ Einleitung zur „Philosophie des Geistes“ Foto: © Erzbischöfliches Ordinariat München

Als vor zwei Jahren der Hegel-Biograf Klaus Vieweg, Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in der Diözesanbibliothek des Erzbistums München und Freising umfangreiche Mitschriften von Vorlesungen des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) in einem Karton entdeckte, war dies, gelinde gesagt, eine wissenschaftliche Sensation. Denn große Teile von Hegels Philosophie sind nur durch solche Mitschriften dokumentiert, die damit eine besondere Bedeutung für das Verständnis seines Denkens besitzen.

Die Handschriften umfassen fast alle Teile von Hegels enzyklopädischer Philosophie-Systematik. Der Fund vor zwei Jahren entpuppte sich überraschend als eine schon lange gesuchte Mitschrift einer Ästhetik-Vorlesung in Heidelberg, über die es bisher noch keine anderen Unterlagen gab – und ist deshalb von außergewöhnlicher Bedeutung für die Hegel-Forschung.


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4.700 Blätter Handschrift

Die rund 4.700 Blätter umfassenden Mitschriften stammen aus der Feder von Friedrich Wilhelm Carové (1789–1852), einem der ersten Hegel-Schüler an der Universität Heidelberg. Der katholische Schriftsteller und Politiker war einer der führenden Intellektuellen seiner Zeit und einer von Hegels engsten Mitarbeitern. Diese Mitschriften von Carové erhielt einst der Bonner Philosophieprofessor und Mediziner Karl Joseph Hieronymus Windischmann als Geschenk, der mit Hegel in Verbindung stand. Mit dem Nachlass seines Sohnes Friedrich Windischmann gelangten sie dann in den Besitz der Münchner Erzdiözese. Dieser war Professor für katholische Theologie in München, Domkapitular und von 1845 bis 1856 Generalvikar der Erzdiözese.

Unter Fachleuten gilt der Münchner Fund als „Star“ unter den Hegelschen Vorlesungs-Mitschriften. „Näher als mit dieser Mitschrift“, so Roland Götz, stellvertretender Archivdirektor der Erzdiözese, „kommt man an die Vorlesungen Hegels nicht heran.“ Inhaltlich auswerten kann man sie aber erst dann, wenn diese Seiten entsprechend restauriert sind. Aufgrund ihrer hohen Bedeutung wird die Konservierung deshalb nach höchsten Maßstäben durchgeführt und auch der finanzielle Aufwand ist beträchtlich: Von den insgesamt 32.000 Euro Kosten übernimmt die Diözese 12.000 Euro, 20.000 Euro kommen von der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK).

Die Originale sind angefressen und beschädigt

In der Münchner Buchwerkstatt Schiedeck ist die Restaurierung der bedeutsamen Blätter bereits in vollem Gange. Wie aufwendig diese Arbeit ist, demonstriert die beauftragte Restauratorin und Geschäftsinhaberin Andrea Fellinger. Die Originale sehen nicht mehr schön aus, sondern sind angefressen und beschädigt: durch Schimmel, Papierzerfall, Flecken, Vergilbungen oder Fehlstellen von Buchstaben. Um den weiteren Verfall zu stoppen, werden die Seiten mit hauchdünnem Japanpapier (ein Quadratmeter davon wiegt nur zwei bis drei Gramm) verfestigt, das noch dünner als Blattgold ist – und ebenso rasch beim geringsten Windhauch davonsegelt. Die beschädigten Papierstellen werden dabei nicht ergänzt, sondern mit ihren Ausfransungen und Rissen so belassen. Das verleiht diesen einseitig beschriebenen Blättern eine Aura von Authentizität.

Die laut Professor Vieweg „für die Geistesgeschichte der ganzen Menschheit bedeutsamen Funde“ sollen eben auch materiell erhalten blieben. Denn Hegels Philosophie erhebt den Anspruch, die gesamte Wirklichkeit in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen zusammenhängend, systematisch und definitiv zu deuten. In ihrer Wirkung auf die westliche Geistesgeschichte ist sie mit dem Werk von Platon, Aristoteles und Kant vergleichbar. Sein Werk „Phänomenologie des Geistes“ aus dem Jahre 1807 zählt zu den wirkmächtigsten Werken der Philosophiegeschichte überhaupt. Hegel ist der bedeutendste Denker der Moderne. Seine zentralen Begriffe – auch heute noch mehr als aktuell – sind „Vernunft“ und „Freiheit“.

Karl Honorat Prestele