Erich Fromm, Humanist und Kritiker
Schon vor Jahrzehnten warnte Erich Fromm vor einer Welt, in der Menschen ausschließlich funktionieren. Er analysierte Liebe, Freiheit und Verantwortung – mit tiefgründigem Blick, der zeitlos bleibt. Zum 125. Geburtstag werfen wir einen Blick auf einen kritischen Menschen, der seiner Zeit voraus war.

Was hätte er wohl zu künstlicher Intelligenz (KI) gesagt? Vielleicht, die Menschen seien „nicht mehr in Gefahr, zu Sklaven zu werden, sondern zu Robotern“. Zur grassierenden Einsamkeit passt seine Erkenntnis, wie entscheidend die Sicherheit sei, „zur übrigen Menschheit“. Und zu Dating-Apps wie Tinder hätte er womöglich angemerkt, bei ihnen gehe es vorwiegend um „die Befriedigung von künstlich stimulierten Fantasievorstellungen“. Der Urheber dieser Zitate ist seit 45 Jahren tot – doch Erich Fromm war seiner Zeit in vielem voraus.
Am 23. März 1900, vor genau 125 Jahren, wurde er in Frankfurt am Main in eine strengreligiöse jüdische Familie geboren. Zunächst wollte er Rabbiner werden, erhielt Talmud-Unterricht und engagierte sich als Student in zionistischen Kreisen. Nach seiner Hochzeit mit der Psychoanalytikerin Frieda Reichmann begann er selbst eine Ausbildung in diesem Fachgebiet, und das Paar gab die jüdisch-orthodoxe Lebensweise auf.
Kritik an Kirchen, Plädoyer für den Glauben
Erst spät sollte Fromm wieder zur Religion finden – über Buddhismus und Zen-Buddhismus. So sagte es Rainer Funk einmal dem Deutschlandfunk; der letzte Assistent des humanistischen Denkers verwaltet dessen Nachlass und leitet das Erich-Fromm-Institut in Tübingen. Fromm habe kirchlichen Machtmissbrauch verachtet und sei „sehr atheistisch eingestellt“ gewesen. Später äußerte er beißende Kritik am aufkommenden Esoterik-Markt – und mahnte, ohne Glaube werde der Mensch „steril, hoffnungslos und bis ins Innerste seines Wesens furchtsam“.
Ab 1930 leitete Fromm die Sozialpsychologische Abteilung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers verließ er Deutschland gen USA. 1940 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, später engagierte er sich in der Friedensbewegung. Sein konsumkritisches Spätwerk „Haben oder Sein“ (1976) wurde in den entsprechenden Kreisen zu einem regelrechten Kultbuch. Zeitweise lebte der Analytiker in Mexiko und in der Schweiz, wo er 1980 nach mehreren Herzinfarkten starb.
Medienkritik und Größenwahn
Fromm führte Ideen von Sigmund Freud oder Karl Marx weiter, bezog etwa Marx’ Ausspruch von Religion als „Opium für das Volk“ auf Fernsehen oder Sportveranstaltungen: Blieben sie den Menschen längerfristig verweigert, drohten Nervenzusammenbrüche oder Angstzustände. Die Übertragung auf Smartphone und Streaming-Dienste scheint aus heutiger Perspektive ein kleiner Gedankensprung zu sein.
Wer wiederum Fromms Überlegungen zu Autoritarismus und Narzissmus liest, wird fast zwangsläufig manch zeitgenössischen Politiker vor Augen haben: Menschen, die Großartigkeit erleben wollten, neigen nach Worten des Analytikers eher dazu, narzisstischen Personen zu folgen. In „Die Flucht vor der Freiheit“ (1941) beschreibt er den Wunsch nach strikt vorgegebenen Linien in unsicheren Zeiten. Die aktuelle Jahrestagung der Erich-Fromm-Gesellschaft befasst sich mit „Kommunikation in Krisenzeiten“.
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Liebe als Kunst, nicht als Kitsch
Auch zählt Fromm zu jenen Wissenschaftlern, die früh den Zwiespalt des modernen Menschen beschrieben, zwar in größerem materiellem Wohlstand und größerer Freiheit zu leben als je zuvor, aber zugleich massiv von psychischen Erkrankungen betroffen zu sein. Einen Grund dafür sieht der Autor darin, dass der Einzelne zumeist nach seinem „Marktwert“ beurteilt werde, austauschbar und unpersönlich, und sich äußeren Verpflichtungen anpassen müsse, um zu bestehen. Auf Dauer führe dies zu einer Entfremdung von sich selbst und von anderen, erklärt Fromm: Wachstum müsse menschlich vonstattengehen, und Sinn sei eher jenseits von Konsum zu finden.
Seine Definition menschlicher Grundbedürfnisse – Verbundenheit, Kreativität, Verwurzelung, Gefühl für Identität sowie ein Orientierungsrahmen – wird heute ebenso wie seine Auffassung von Liebe immer wieder zitiert. Liebe sei nicht einfach ein schönes Gefühl, sondern erfordere aktives Bemühen, könne – und müsse – eingeübt werden. Die Positive Psychologie hat dies auf andere Regungen wie Mut oder Hoffnung übertragen – und „Die Kunst des Liebens“ (1956) gilt bis heute als Fromms meistgelesenes Werk.
Von Paula Konersmann (KNA)