Kultur und Wissen
04.02.2025


Seit 150 Jahren: Ehe ohne Kirche

Von der Wiege bis zur Bahre: Standesämter dokumentieren die Leben der Deutschen – und das seit 150 Jahren. Wiederholt sind sie auch zum Schauplatz gravierender gesellschaftlicher Veränderungen geworden.

Wenn Romantik auf staatliche Bürokratie trifft: Brautpaar im Trauzimmer eines Standesamts. Wenn Romantik auf staatliche Bürokratie trifft: Brautpaar im Trauzimmer eines Standesamts. Foto: © imago/Beautiful Sports

Der Pfarrer mag „schreien, toben und des Teufels sein; wenn die Worte einmal ausgesprochen sind, seid ihr Mann und Frau“ – so hatte es die katholische Kirche im 16. Jahrhundert festgelegt, und so blieb es jahrhundertelang: Bekundeten katholische Brautleute vor ihrem Ortspfarrer in Anwesenheit von zwei Zeugen ihren Willen zur Ehe, galt der Bund fürs Leben als geschlossen. Die Eheschließung wurde in den Kirchenbüchern dokumentiert.

Doch damit war vor 150 Jahren Schluss: Am 6. Februar 1875 beschloss der Deutsche Reichstag das „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“, das 1876 in Kraft trat. Der Staat übernahm die Regie beim „Bund für das Leben“, gründete Standesämter, führte eigene Geburts-, Heirats- und Sterberegister ein und ernannte die Standesbeamten. Auch Ehescheidungen wurden nun im ganzen Reich möglich. Zuvor hatte Preußen 1874 die verpflichtende Zivilehe eingeführt.


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Abnehmende Macht der Kirchen

Ein Signal für die abnehmende Macht der Kirchen: Bereits 1794 hatte Preußen den Kirchen vorgeschrieben, wie sie die Kirchenbücher zu führen hatten. 1803 richteten die Franzosen in den von Napoleons Truppen eroberten Gebieten Deutschlands zivile Standesregister ein. Bürgermeister, Bäcker oder Apotheker wurden zu ehrenamtlichen Standesbeamten ernannt und teilweise als „Herr Civil-Pastor“ tituliert. In der Frankfurter Paulskirche sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten 1848 für eine obligatorische Zivilehe aus – ein Gesetz, das mit der Revolution scheiterte.

Erst in den 1870er Jahren wurden klare Verhältnisse geschaffen: Anlass war der 1871 ausgebrochene Kulturkampf, in dem Bismarck den Einfluss der katholischen Kirche und der Zentrumspartei zurückschrauben wollte. Doch es gab auch eine Reihe ganz praktischer Gründe, die für eine Trennung von Staat und Kirche in diesem Bereich sprachen: beispielsweise immer mehr konfessionsverschiedene Ehen, Heiraten und Sterbefälle von Nichtchristen oder Zweitehen, denen die Kirchen ihren Segen verweigerten.

Verlängerter Arm der Rassepolitik

Seitdem führt der Staat über Geburts-, Heirats- und Sterbedaten aller seiner Bürger genauestens Buch. Eine Entwicklung, die auch ihre Schattenseite hatte: Denn während der NS-Zeit wurden die Standesämter zum verlängerten Arm der Rasse- und Eugenik-Politik: Jüdinnen und Juden mussten zusätzlich zu ihren Vornamen die Vornamen „Sara“ und „Israel“ tragen. Standesbeamte mussten Eheverbote zwischen vermeintlichen Ariern und Juden und bei behinderten Menschen durchsetzen. Ohne die Vorlage eines amtlichen Ehegesundheitszeugnisses durfte kein Standesbeamter eine Eheschließung vornehmen.

Seit den 1990er Jahren haben sich die Standesämter stärker zu kundenorientierten Dienstleistern entwickelt, wie Volker Hilpert, Studienleiter beim Bundesverband der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten, analysiert. Seit 2009 werden alle Daten nur noch elektronisch verwaltet. Geheiratet wird auch außerhalb der traditionellen Trauzimmer – auf Schlössern, Burgen und Schiffen, in Mühlen und Sternwarten. Liberalisiert hat sich auch die Vergabe von Vornamen: Seit 2009 gilt nur noch die Einschränkung, dass der Vorname nicht dem Kindeswohl widersprechen darf. Laut Hilpert landen nur noch wenige Einzelfälle vor Gericht.

Namensführung von Eheleuten

Zugleich bilden die Standesämter das stark veränderte Familienverständnis ab: 1998 wurden die Aufgebote und überholte Ehehindernisse abgeschafft. Gleich mehrfach änderte der Gesetzgeber die Regelungen zur Namensführung von Eheleuten – im kommenden Mai steht die neueste Reform an. So können Eheleute künftig einen gemeinsamen Doppelnamen führen.

Ins Zentrum der Auseinandersetzung um die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare rückten die Standesämter Anfang der 90er Jahre. Bei der „Aktion Standesamt“ am 19. August 1992 wollten Schwule und Lesben bundesweit die Ämter stürmen und ihr Aufgebot bestellen – begleitet von einem gewaltigen Medienaufgebot. Als die Standesämter sich weigerten, zogen mehr als 100 Paare vor Gericht – letztlich aber ohne Erfolg.

Lebenspartnerschaft und Geschlechtswahl

Trotzdem: Die „Aktion Standesamt“ hat den Ball politisch ins Rollen gebracht. 2001 wurde die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ rechtlich anerkannt. Seit 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland standesamtlich heiraten. Ähnlich einschneidend dürfte das seit November geltende neue Selbstbestimmungsgesetz werden: Künftig können Bundesbürger ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag ändern lassen – durch eine einfache Erklärung im Standesamt.

(Christoph Arens/KNA)

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Artikel von KNA
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