Achtsam Abschied nehmen
Mia Fleischer ist Münchens jüngste selbstständige Bestatterin. Mit achtsamen Formen des Abschiednehmens möchte sie Tod und Trauer aus der gesellschaftlichen Tabuzone herausholen. Wir haben die 22-Jährige in ihrem Bestattungshaus in München besucht.
Frau Fleischer, was machen Sie als junge Bestatterin anders?
Das merkt man schon daran, wenn man bei mir ins Geschäft kommt. Insofern, dass es alles sehr hell ist, sehr offen. Man wird hier kein Schwarz finden, tatsächlich deshalb, um die Trauerarbeit und Bestattungstätigkeit zu enttabuisieren. Leider wird da immer noch viel unter den Teppich gekehrt, obwohl es uns irgendwann einmal alle betrifft. Und im Endeffekt ist mir persönlich wichtig, dass man einfach den Menschen, der verstorben ist, noch einmal in die Mitte holt, dass man herausbringt, wer war dieser Mensch eigentlich. Auch in der Lebens- oder Abschiedsfeier. Wir hatten da schon alles: Sektempfänge, die Lieblingsspeisen des Verstorbenen, oder es wurde Bier ins Grab gekippt. Manche Familien bringen auch die Lieblingsstücke des Verstorbenen zur Lebensfeier mit, die wir dann mit dekorieren. Das ist wirklich ganz unterschiedlich. Wir wollen zeigen: Wer war dieser Mensch, dieses ganze Leben wollen wir würdigen und feiern.
Wie reagieren die Menschen auf Ihr Konzept?
Es kommen tatsächlich Leute zu mir rein und sagen: Frau Fleischer, bei Ihnen ist es aber schön. Hier kann ich jetzt runterkommen, hier kann ich ankommen. Ich sage auch immer, ich bin hier generell so ein bisschen in meiner Blase. Ich habe mir einen Wohlfühlort geschaffen und auch einen Wohlfühlort für alle meine Familien. Und auch wenn ich zu den Kunden nach Hause komme, ist es oft ein erleichtertes Gefühl insofern, dass eine junge Frau vor Ihnen steht und kein älterer Herr im Anzug.
Das ist dann auch ein Stück Seelsorge, das Sie betreiben.
Ja. Was zum Beispiel öfters vorkommt, ist, dass Familien mehrmals zum Gespräch kommen, auch wenn es nur auf einen Kaffee ist, einfach weil sie Redebedarf haben. Ich habe auch ein Pferd zur Trauerbegleitung, was vor allen Dingen für Kinder, bei denen ein Elternteil verstorben ist, da ist. Das mache ich in meiner Freizeit quasi hobbymäßig und begleite da einfach Familien. Also aktiv in diesem Moment für ein paar Stunden dem verbleibenden Elternteil und den Kindern die Natur nahezubringen, und dass sie die Möglichkeit haben, Kraft zu tanken, sich zu erden.
Alles, was dann über monatelange Trauerbewältigung geht, also wo es dann vielleicht auch wirklich professionelle Begleitung braucht durch Trauerbegleiter oder Psychologen, die professionell ausgebildet sind, das bilde ich nicht ab. Da muss ich eine Grenze ziehen. Da empfehle ich gerne tolle Kollegen, die auch meine Werte vertreten.
Seit gut eineinhalb Jahren gehen Sie als Bestatterin unkonventionelle Wege. Haben Sie mit Blick auf die Zukunft noch mehr Ideen, die Sie umsetzen möchten?
Ja, denn ich möchte noch ganzheitlicher werden. Mein Wunsch wäre zunächst ein größeres Objekt, vielleicht irgendwo weiter draußen im Speckgürtel von München. Dort könnte ich dann große Feiern vielleicht auch im Außenbereich anbieten. Eben größere Feiern, als ich sie hier anbieten kann, auch im Innenbereich. Aktuell haben wir keinen Platz dafür. 23 Personen inklusive Hund geht noch, aber dann sind wir wirklich voll. Das geht. Das würde ich gerne noch vergrößern, einfach um noch mehr Abschiedsräume zu haben, auch einen Versorgungsraum direkt bei mir im Bestattungshaus, um einfach alles aus einer Hand tun zu können. Das wäre mein Wunsch für die nächsten zehn Jahre.
An anderer Stelle haben Sie einmal über Ihren Berufsstand gesagt: „Wir sind wie Hebammen, nur rückwärts." Das müssen Sie erklären.
Im Endeffekt helfen wir aus dem Leben heraus. Zu meinen Familien sage ich, ich bin gerne schon vorher für euch da. Das heißt, sie dürfen auch zu mir kommen, wenn es noch nicht akut ist. Und wenn es nur ein paar Mal zusammensitzen mit einem Kaffee ist, und wir darüber sprechen, was die nächsten Monate bevorsteht für den Menschen, der vielleicht schwer krank ist, und wo es absehbar ist, dass er stirbt. Für mich fängt die Begleitung schon an diesem Punkt an. So helfe ich ein bisschen aus dem Leben heraus, wie Hebammen eben hineinhelfen.
Und wenn es dann so weit ist, haben Sie eine bestimmte Geste, mit der Sie sich von dem Verstorbenen verabschieden.
Ich mache das schon seit Jahren: Ich streichle immer noch einmal die Hand nach der Versorgung, bevor ich den Sarg schließe und die verstorbene Person auf ihre letzte Reise entweder auf den Friedhof oder ins Krematorium schicke. Diese Geste bedeutet mir sehr viel, weil ich ja die letzte Person bin, die die Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Ein letzter Gruß gehört für mich einfach dazu.
Interview: Willi Witte